Interview • 27.11.2012

„Der Handel sollte experimentierfreudiger sein“

iXtenso-Interview mit Professor Christian E. Elger von der Life & Brain GmbH

Prof. Christian E. Elger: Wichtig beim Marketing ist auch, welche Emotionen mit...
Prof. Christian E. Elger: 'Wichtig beim Marketing ist auch, welche Emotionen mit der Marke verbunden sind.'
Quelle: Klinik für Epileptologie Bonn

Der Neurologe Professor Christian E. Elger ist wissenschaftlicher Geschäftsführer der Life & Brain GmbH in Bonn und ein Experte auf den Gebieten Neuromarketing und Neuroökonomie. iXtenso erklärt er, was im Gehirn passiert, wenn wir eine Kaufentscheidung treffen und wie der Handel diese Prozesse für sich nutzen kann.

Professor Elger, heute sind Sie Experte auf dem Gebiet des Neuromarketing. Was hat Ihr Interesse am Zusammenhang von Neurologie und Marketing geweckt?

Im Marketing werden Reize gegeben, die wir in der neurobiologischen Untersuchung so nicht gegeben werden, weil sie sehr komplex sind. Da aber diese Marketingreize Alltagsreize sind, war es für uns spannend zu sehen, was mit diesen im Gehirn passiert. So sind wir auf die Neuroökonomie gekommen, von der das Neuromarketing eine Untergruppe ist.

Was genau also ist Neuromarketing?

Im Neuromarkting betrachten wir Marketingabläufe mithilfe moderner neurobiologischer Methoden, wie z. B. der Kernspintomographie. Wir untersuchen etwa, wie bestimmte Key-Visuals, also mit einer bestimmten Marke verbundene Symbole oder Reize, im Gehirn verarbeitet werden. Im Gegensatz dazu stehen dann rationale Werbebotschaften, wie etwa die von Gesundheitsprodukten. Das hat ergeben, dass die Emotionsregion im Gehirn von diesen Key-Visuals in einer ungewöhnlich starken Weise aktiviert wird und damit entscheidend zur Gedächtnisbildung beiträgt.

Haben Sie dafür auch ein Beispiel?

Ja, etwa die Dove-Werbung von vor ein paar Jahren, in der statt der üblichen Models normale und natürliche Frauen Werbegesichter und -körper waren. Aus dem damaligen Werbe-Hype ging hervor, dass von der Sympathieebene her, die natürlichen Models den professionellen Models überlegen waren. Im Kernspintomographen dagegen fanden wir heraus, dass auch bei Frauen, die Angaben, die natürlichen Models zu bevorzugen, beim Anblick der klassischen Models dieselben Regionen viel intensiver aktiviert wurden, wie bei den natürlichen Models.

Daraus haben wir abgeleitet, dass trotz des kurzzeitigen Trends zu natürlichen Modellen, eine Werbebotschaft mit Magazinschönheiten langfristig erfolgreicher ist. Bei Dove wirkte da auch der Neuigkeitseffekt. So wurde eine etwas angestaubte Marke neu etabliert und Dove ist, wie wir heute sehen, anschließend wieder auf das klassische Model-Konzept umgestiegen, sobald der Hype abgeklungen war.

Und wie sind Sie darauf gekommen, den Zusammenhang von Neurologie und Marketing gezielt im Hinblick auf Marketing- und Produkterfolg im Handel zu untersuchen?

Wir haben einfach andere Möglichkeiten als das klassische Marketing. Mit unseren Methoden sagen wir etwas anderes aus, als wenn im klassischen Marketing eine Befragung durchgeführt wird. Bei den herkömmlichen Methoden kommt es zu ungenauen Antworten, politisch korrekten Äußerungen oder Aussagen, die getroffen werden, weil die Probanden denken, dass das die richtigen Antworten sind oder sie einem gewissen Bild ihres Selbst nach außen hin entsprechen möchten.

Es ist einfach so, dass wir bei Fragebögen selten unser Inneres offenbaren. Unsere Untersuchungen, ermöglichen ein manipulationsfreies Ergebnis, da die Probanden nicht genau wissen, was wir untersuchen und dementsprechend kann das Ergebnis nicht direkt beeinflusst werden. Wir bekommen Antworten auf der bewussten und auf der unbewussten Ebene.

Wie funktioniert eine Kaufentscheidung im Gehirn und wie ist es auszutricksen?

Durch Abwägung und Rabattierung. Vor dem Kauf eines Produktes wägen wir rational ab, ob wir etwas jetzt brauchen oder nicht und ob es uns das Geld wert ist. An diesen rationalen Entscheidungen ist der mittlere Stirnlappen beteiligt. Schafft der Handel es allerdings, unser Belohnungszentrum, das in bestimmten Hirnregionen sitzt, zu aktivieren, hat der Mensch einen Verlust an rationaler Entscheidungsqualität. Das heißt – und das kennt wirklich jeder – wir kaufen etwas, das wir für den vollen Preis nicht genommen hätten, nur, eben weil wir uns über das Schnäppchen freuen.

Also lassen sich Kaufentscheidungen durch gezieltes Neuromarketing beeinflussen?

Ich denke schon. Das menschliche Gehirn hat vier Bereiche, die für das Marketing wichtig sind: die Aufmerksamkeit, die Gedächtnisbildung, die Emotionen und das Belohnungssystem. Durch gezieltes Marketing können diese vier Bereiche gezielt angesprochen werden. Wird eine hohe Aufmerksamkeit erzielt, bleibt das Produkt besser im Gedächtnis. Und wenn es dann noch gelingt, ein Gefühl der Belohnung zu erzeugen, etwa durch Rabatte, gefühlte Wertigkeit, ein Biosiegel oder ein besonderes Gesicht, fühlen wir uns so gut dabei eingekauft zu haben, dass wir diese Handlung wiederholen oder weiterempfehlen.

Wie kann der Handel die Funktionsweise des Gehirns für sich nutzen?

Inzwischen ist es im Handel ja so, dass diese ganzen Rabatt-Aktionen, etwa für Autohändler, ruinös sind. Da kann man mit gezielten neurobiologischen Methoden ein für die Händler besseres Ergebnis erzielen. Etwa durch „Priming“, das ist ein unbewusstes Prägen durch indirekte Informationen. Nehmen wir an, Sie wollen ein Auto kaufen. Der Händler kann versuchen, Ihren Kauf durch eine indirekte Rabattstrategie zu beeinflussen. Nehmen wir an, er stellt Ihnen zwei Automodelle vor. Das eine Modell ist aktuell schwer zu bekommen und wenn, dann auch nur mit einem Rabatt von höchstens sieben Prozent. Das andere Modell hingegen gäbe es sofort für einen Rabatt von fünfzehn Prozent. Dem potenziellen Käufer erscheint das teurere Modell sofort wertiger und die Kaufbereitschaft dafür wächst.

Glauben Sie dran, dass es eine „In den Warenkorb“-Funktion im Gehirn gibt und dass die Kunden irgendwann dahingehend unterbewusst zum Kauf manipuliert werden können?

Es gibt eine Reihe von Dingen, mit denen man das Belohnungssystem erreichen kann und wodurch die Kunden unkritischer werden. Emotionen spielen dabei eine wichtige Rolle. Einem freundlichen Verkäufer, der uns bei einem netten Gespräch Schokolade angeboten hat, mit dem wollen wir nicht auf „Teufel komm raus!“ um das günstigste Angebot feilschen. Da schalten sich die archaischen Verhaltensmuster im Menschen auch wieder ein. Auch wir möchten vom Gegenüber, das nett zu uns war, gemocht werden und deshalb kaufen wir ihm auch aus einem gewissen sozialen Pflichtgefühl heraus die Ware ab.

Wichtig beim Marketing ist auch, welche Emotionen mit der Marke verbunden sind. Denn der Markenname ändert unsere Wahrnehmung. Nehmen wir mal den bekannten Coca Cola-Versuch. Ohne zu wissen, welches Getränk sie zu sich nehmen, schmeckten die Versuchspersonen keinen Unterschied zwischen Coca Cola und Pepsi oder mochten Pepsi sogar lieber. Wissen die Probanden um welches Getränk es sich handelt, schmeckt den meisten die Cola besser. Oder nehmen wir Apple-Produkte. Sie sind nicht unbedingt besser als andere Marken, haben aber einen Lifestyle-Ruf und gelten inzwischen als Kult. Das ist alles eine Sache der emotionalen Prägung und solange die Produkte gut sind, finde ich das auch nicht problematisch.

Professor Elger, wo sehen Sie Ihre Disziplin in zehn bis zwanzig Jahren?

Ich denke, dass wir in Zukunft einen festen Platz im Marketing haben werden. Heute haben die klassischen Marketingleute noch etwas Angst vor uns und fühlen sich bedroht. Aber wie heißt es in Fachkreisen immer so schön? Fünfzig Prozent des Marketings sind unnütz – wir müssen nur rausfinden, welche Hälfte es ist. Bei dieser Auslese kann eben das Neuromarketing helfen.

Der Handel müsste aber schon heute einfach mal experimentierfreudiger werden. Bei meinen Vorträgen habe ich oft volle Säle mit begeisterten Zuhörern. Aber es kommt selten jemand im Anschluss auf mich zu und will konkret ausprobieren, ob unsere Erkenntnisse in der Praxis oder eher im Handel auch funktionieren.

Interview: Elisabeth Henning, iXtenso.com

Themenkanäle: Handel, Marketing-Planung

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