Denkmalschutz ist nicht nur „schön“, sondern auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Diese Ansicht vertritt Dr. Ursula Schirmer von der Bundesstiftung Denkmalschutz. Im EuroShop-Interview beschreibt die Kunsthistorikerin, was Städte einmalig macht, wo sich die Kunden wohlfühlen. Was schützenswert ist und wie man restaurieren sollte, wird im Laufe der Zeit anders gesehen. So wachse langsam ein Bewusstsein für den Wert von guter Architektur aus den fünfziger und sechziger Jahren. Wenn der Handel seine Umbauten sorgfältig plant, werde der Denkmalschutz nicht zum Hindernis.
Frau Dr. Schirmer, was stört Sie als Kunsthistorikerin am meisten in deutschen Fußgängerzonen?
Wer mit offenen Augen durch Fußgängerzonen geht, wird leider oft feststellen, dass die historischen Fassaden erst mit dem ersten Obergeschoss beginnen. Wer nicht mit zurückgelehntem Kopf durch die Straßen geht, erkennt oft gar nicht mehr deren Schönheit. Die Erdgeschosszone wird meist nur durch große Glasflächen strukturiert, die Gebäude haben einfach keine Basis mehr, sie schweben sozusagen.
In welchen Städten fühlen Sie sich besonders wohl? Warum?
Die Städte, die sich ihrer gewachsenen Struktur und ihrer regionalen Besonderheit bewusst geblieben sind, sind für mich die Orte, in denen ich mich sofort wohlfühle. In Lüneburg, in Görlitz oder in Quedlinburg weiß ich sofort, wo ich bin. Die Orte, wo man Bauten, Fassaden und auch Ladenlokale austauschen kann, da kommt eine solche Identifizierung gar nicht erst auf. Wenn man in einer Stadt eigentlich gar nicht mehr erkennen und spüren kann, wo man ist, erübrigt es sich, dort hinzufahren. Erst die berühmten „Alleinstellungsmerkmale“ - gerade auch in der Architektur und im Städtebau – machen einen Ort zu einem interessanten und begehrten Reiseziel.
Denkmalschutz ist stets ein Kind seiner Zeit. Worauf legt Ihre Stiftung aktuell besonderen Wert – im Gegensatz zu den Gründungsjahren? Was ändert sich bei den Denkmalschutzbehörden?
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat im vergangenen Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum feiern können. Vier Jahre nach ihrer Gründung öffneten sich die Grenzen und es ergab sich ein völlig unvorhergesehenes Arbeitsfeld. Die Zeit der Wiedervereinigung mit dem Bedarf an schneller, leider auch flächendeckend notwendiger Hilfe hat dann 10 bis 15 Jahre unseren Arbeitsschwerpunkt gebildet. Erfreulicherweise ist in den östlichen Bundesländern in der Denkmalpflege unendlich viel erreicht worden. Ganze Stadtquartiere, berühmte Einzelbauten aber auch unbekannte Inkunabeln im ländlichen Raum sind gerettet worden.
Nun stellen wir fest, dass auch in den westlichen Bundesländern – vielfach wieder! – Hilfe notwendig ist. Nach einer großen Phase des Denkmalschutzes in den siebziger und achtziger Jahren ist leider eine kontinuierliche Pflege, die ja die eigentliche sinnvolle Aufgabenstellung beim Erhalt der historischen Bausubstanz ist, ausgeblieben. Deshalb fördern wir wieder verstärkt bundesweit und versuchen gerade auch dort unterstützend einzugreifen, wo diese Verantwortung wahrgenommen wird. Leider werden vielerorts die Denkmalgesetze, die Förderprogramme und die personelle Ausstattung der Denkmalämter infrage gestellt. Unter der Überschrift „schlanker Staat“ geht hier leider vieles an Bürgernähe, Serviceleistung, fachlicher Beratung und Unterstützung verloren. Das macht uns zunehmend Sorge, denn private Initiativen wie Vereine oder Stiftungen wie die Deutsche Stiftung Denkmalschutz können und wollen die öffentliche Hand nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Gerade privates Engagement braucht die Ämter als verlässliche Partner und Qualitätsgaranten.
„Wenn der Denkmalschutz kommt, dann wird ein Umbau teuer und dauert viel länger als geplant.“ Was sagen Sie zu diesem Vorwurf von Händlern? Reichen die Fördermöglichkeiten, um Händler zu ermutigen zur Erhaltung alter Bausubstanz?
Wenn ein Umbau teurer und länger wird, liegt das durchweg an der mangelnden Planung, die den individuellen Bau betrifft. Jeder Händler überlegt und prüft sehr genau, wenn es um die Lage, die Verkehrsanbindungen, das Umfeld seiner Geschäftsniederlassung geht. So viel Sorgfalt sollte man auch in den Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz stecken. Welches Potenzial hat ein Gebäude? Was kann ich darin wirklich unterbringen? Welche Besonderheiten kann ich für meine Zwecke nutzen? Wodurch wird mein Laden eine besondere Attraktion, die Kunden anzieht? Dieses Sich-Einlassen auf den Bau fällt vielen Kettenläden sehr schwer, wo eben alle Läden gleich aussehen sollen. Aber ist für Kunden wirklich die 08/15 Lösung attraktiv? In Lübeck etwa ist der Charme des Gebäudes – vom roten Backstein bis zur alten Wandvertäfelung, selbst die verwinkelten Räume – Teil des Marketing-Konzeptes der einzigartigen Läden in dieser historischen Stadt.
Alte Stadtkerne sind nicht für heutige Geschäfte gebaut worden. Wo sind Sie bei alter Gebäudesubstanz zu Kompromissen bereit?
Jedes Denkmal ist ein Einzelfall. Daher muss man natürlich immer Einzelfall-Lösungen suchen. Das mag aufwändiger sein, führt aber durchweg zu guten Ergebnissen – die auch den Händlern zugute kommen. Ein attraktiver Laden ist im Konkurrenzkampf ein Plus. Gerade in den Altstädten finden sich ja auch historisch bedingt viele Geschäftshäuser, die für diese Nutzung gebaut wurden. Da sind Kompromisse zu finden, wenn man frühzeitig das konstruktive Gespräch mit den Denkmalbehörden sucht. Eine gemeinsam entwickelte Lösung wird dann auch schneller und einfacher genehmigt.
Soll man alte Fassaden erhalten, auch wenn die Fenster nur noch Kulissen sind, weil die Gebäude entkernt und die Geschosshöhen verändert wurden?
Sie haben damit leider recht, dass in der Vergangenheit schon vieles zerstört wurde. Umso kostbarer sind die Reste. Gerade die Fassaden sind nicht nur die Hülle eines Einzelbaus, sondern prägen eben auch den Straßen- oder Platzraum. Mir ist es unverständlich, wie man einerseits mit dem Argument der Umsatzverbesserung einer Shopping-Mall Kulissenarchitekturen wie das Stadtschloss in Braunschweig baut, andererseits den Erhalt originaler Substanz als Zumutung ablehnt. Genauso, wie um jede Schaufensterflächenvergrößerung gestritten wird, um das Interesse der Kunden zu wecken – und ausgerechnet in der umsatzträchtigen Adventszeit werden dann genau diese Flächen künstlich mit aufgeklebten Sprossen und künstlichem Schnee verkleinert.
Große Filialisten nehmen keine Rücksicht auf städtische Belange. Stimmt das? Sind kleine Fachhändler offener für die Erhaltung ihrer historischen Bausubstanz?
Das hat vielfach damit zu tun, dass der örtliche Fachhändler einen engeren Bezug zu seiner Stadt hat. Oft sind es ja Familiengeschäfte mit langer Tradition, die man auch im Erscheinungsbild des Ladens dokumentiert. Vielfach sind sie ja auch die Gebäudeeigentümer, was sich in der Suche nach nachhaltigen und längerfristigen Planungen niederschlägt. Wenn ich nicht nur für die nächste Quartalsbilanz, sondern für die nächste Generation investiere, kann sich das für ein Denkmal nur positiv auswirken.
Beim Stichwort „historisch“ denkt man an „alt“ und „goldene Pracht“. Wann werden die fünfziger Jahre geschützt? Gibt es dafür Verständnis?
Die Inventarisation in einigen Bundesländern, wie etwa in NRW, hat bereits die sechziger Jahre erreicht. Die Nachkriegsbauten haben gerade in der jüngeren Generation ihre Fans gefunden. Die eleganten und schlichten Nachkriegsbauten faszinieren viele. Wenn ich etwa auf ein Denkmal wie das Hardenberghaus in Berlin hinweise, ist das nicht nur ein begehrter Bürobau, sondern es bietet auch attraktive Ladenlokale.
Wo steht der deutsche Denkmalschutz im europäischen Vergleich?
Die Denkmalpflege in Deutschland ist eigentlich gut aufgestellt. Sie hat eine lange Tradition und gute Fachleute in den Ämtern. Leider setzt die Politik den Rotstift immer besonders gern an der Kultur an. Oft wird vergessen, dass Denkmalschutz nicht nur „schön“ ist, sondern auch ein Wirtschaftsfaktor, ein weicher Standortfaktor. Denkmalschutz ist praktische Mittelstandsförderung. Europa beneidet uns um unsere verlässlichen fachlichen Maßstäbe - und um unser qualifiziertes Handwerk. Denn die angesprochenen Lösungen für Erhaltung und Umbau müssen gleichermaßen qualitätvoll und dem Denkmal gerecht umgesetzt werden. Und da ist das qualifizierte Handwerk genauso wie ein guter Architekt unverzichtbar. Denkmaleigentümer, Handwerker, Architekten und Denkmalpfleger sind damit letztendlich die Garanten für historische Stadtkerne, in denen sich die Menschen wohlfühlen, die sie gerne bereisen und in deren Läden sie auch gerne Geld ausgeben!