Einzelhändler haben die Qual der Wahl, wenn sie entscheiden müssen, wie sie ihren Laden gestalten. Die große Vielfalt an Materialien von Holz bis Beton und die unendlichen Möglichkeiten von Farben und Formen der Raumelemente sind kaum zu überschauen. Und was ist eigentlich gerade Trend? Innenarchitekt und Mitinhaber der Raumprobe, Hannes Bäuerle, hat da einen erstaunlichen Überblick.
Herr Bäuerle, zusammen mit Ihrem Kollegen Joachim Stumpp wachen Sie in Ihrer Ausstellung Raumprobe in Stuttgart über eine riesige Materialsammlung. Gerade haben Sie den "Materialpreis" - die Auszeichnung für Material in Anwendung vergeben, darunter im Bereich "Farbe & Dekor" an die MRQT Boutique in Stuttgart. Was ist das Besondere an diesem Projekt?
Hannes Bäuerle: Im Materialpreis geht es darum, zu zeigen, welche Projekte Material innovativ und qualitativ höherwertig einsetzen. Die MRQT Boutique zeigt als zentrales Gestaltungselement des Ladens eine Wandinstallation aus 22.000 Holzstäben unterschiedlicher Länge und Ausrichtung, was an Formen und filigrane Strukturen textiler Stoffe und Gewebe erinnert. Sie bildet einen außergewöhnlichen Rahmen für die Waren an den Kleiderstangen vor der Wand. Zusammen mit den hellen Wänden und dem geschliffenen Zementboden entwickelt der Laden trotz der minimalistischen Gestaltung eine warme und einladende Atmosphäre.
Wie können bestimmte Materialien im Shopdesign die Wirkung auf den Kunden beeinflussen?
Bäuerle: Materialien vermitteln unter anderem Qualität und wecken Emotionen. In Kombination mit Farbe können sie außerdem gezielt aktuelle Trends darstellen. Der ganze Körper nimmt Materialien wahr. Haptik ist mehr als nur das Anfassen, denn wir erleben Oberflächen, indem wir sie ansehen, darüber laufen, mit den Händen berühren. Sie erwecken gewisse Erwartungen.
Allerdings ist dieses Wissen über die Haptik in unserer digital geprägten Welt in einen Dornröschenschlaf gefallen. Als tatsächlich wirksames Marketingmittel wird sie selten wahrgenommen. Deshalb schlummert hier ganz viel Potenzial.
Und worauf müssen Einzelhändler achten, wenn Sie ihren Shop einrichten und Materialien auswählen?
Bäuerle: Ich würde ihnen raten, professionelle Planer zu Rate zu ziehen. Das ist zum einen effizienter und hat zum anderen mehr Qualität. Es muss auch nicht doppelt so teuer sein, Ladenbauer und Handwerker haben oft schon Planungsabteilungen dabei. Diese können freier planen, kennen unterschiedliche Materialen und haben eine objektivere Sicht.
Sie können alle Faktoren berücksichtigen, von der Ausstrahlung der Materialien über deren Haltbarkeit, Reinigungsfähigkeit, Einmaligkeit bis hin zur Haptik. Nur auf den günstigsten Preis zu achten ist beim Discounter angebracht, sonst aber fehl am Platz. Ansonsten rate ich, dass Materialien auf jeden Fall im wahren Wortsinn "begriffen" werden sollten, um sie auszuwählen.
Welche Materialien sind gerade im Trend?
Bäuerle: Eine häufige Frage ist derzeit, ob matte oder glänzende Oberflächen gewählt werden sollen. Das kann ich beantworten: weder noch! Es sind supermatte und super glänzende neue Entwicklungen, die alles "normale" dagegen verblassen lassen. Bisher waren matte Oberflächen eher ungeeignet für den Shop, da dort dauernd Fingerabdrücke zurückblieben. Bei den neuen supermatten Flächen sind diese deutlich weniger sichtbar und zusätzlich ist die Lichtbrechung noch einmal höher. Die superglänzenden Looks sind noch brillanter und vor allem kratzfest. Somit bieten diese beiden Oberflächen ganz neue Möglichkeiten.
Ich glaube außerdem, die Zeit ist gekommen, in der Material wieder eine echte Patina kriegen darf. Messing darf beispielsweise über die Jahre wieder anlaufen, Spuren kriegen. Das Material darf eine Geschichte erzählen. Es muss nicht mehr aussehen, als wäre es gerade erst eingebaut.
Sie können über Klickzahlen in Ihrem Materialreport, in dem Sie online Materialien zeigen, auch sehen, welches die Lieblinge der Gestalter sind.
Bäuerle: Ja, das stimmt. Ein Dauerbrenner und immer noch zunehmend beliebter ist Holz mitsamt neuer holzbezogener Materialentwicklungen. Das liegt wohl auch daran, dass im Bauwesen ein gewisses Umdenken hinsichtlich Brandschutz besteht. Holz brennt zwar, doch bis die statischen Werte einknicken, vertragen Holzbauten extrem viel.
Welche Sinne beeinflussen Sie persönlich am meisten, wenn Sie einen Shop betreten?
Bäuerle: Natürlich gewinne ich meinen ersten Eindruck über die Augen, gekoppelt an Form und Farbe. Ich habe aber bemerkt, dass mich Ohren und Haptik nachhaltiger beeinflussen. Mir fällt es generell schwer, mich ohne haptische Erfahrung zu entscheiden, denn hiermit weiß ich intuitiv, ob ich ein Produkt für stabil oder qualitativ hochwertig halte. Alle Sinne anzusprechen, wird die zukünftige Herausforderung für den Handel sein.
Interview: Natascha Mörs; iXtenso.com