Interview • 01.05.2012
„Keramikfliesen sind integraler Bestandteil zeitgemäßer Architektur“
Interview mit Werner Ziegelmeier, Pressesprecher Agrob Buchtal
Seit über 30 Jahren arbeitet Werner Ziegelmeier für die Fliesen-Industrie. Als Pressesprecher bei Agrob Buchtal und der Konzernmutter Deutsche Steinzeug kämpft er gegen Vorurteile und hat dabei mehr parat als Werbesprüche: Keramische Fliesen bestehen aus natürlichen Rohstoffen und bieten viele Gestaltungsmöglichkeiten. Im Ladenbau und in Freizeit-Einrichtungen sind sie meist etwas Besonderes. Und im Schwimmbad, wo Fliesen quasi zu Hause sind, können sie beim Energiesparen helfen.
In Bamberg waren Sie am ersten Hallenbad in Europa beteiligt, das nach Passivhaus-Standard zertifiziert ist. Wie helfen Fliesen beim Energiesparen?
In der Tat wurden hier neue Wege beschritten durch ein gemeinsam mit Bauherr und Planungsbüro entwickeltes Beckenkopfsystem. Hauptkriterium war die deutliche Reduzierung der Verdunstung von Beckenwasser. Dieser Aspekt ist beim Bambados in Bamberg mit seinen insgesamt rund 1.800 Quadratmetern Wasserfläche und mehr als 400 Metern umlaufendem Beckenrand energetisch relevant. Um das angestrebte Ziel zu erreichen, wurden ausführliche Untersuchungen nach wissenschaftlichen Methoden durchgeführt. Das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen: Im Vergleich zu einem herkömmlichen Beckenrand liegt die Wasserverdunstung um stolze 45 Prozent niedriger. Dies spart wertvolle Energie sowohl bei der Wassererwärmung als auch bei den Klimatisierungsanlagen. Diese brauchen weniger Luft umzuwälzen, so dass der Energiebedarf für den Antrieb der Ventilatoren sinkt. Per saldo wird dadurch bei den insgesamt fünf Becken des Bambados Jahr für Jahr eine Senkung des Strombedarfs um 14.500 kWh prognostiziert.
Schön soll das Ganze natürlich auch sein. Sie sind stolz auf Ihre Design-Preise. Bietet die Vielzahl der Preise wirklich Orientierungshilfe?
Ästhetik spielt in vielen Lebensbereichen zu Recht eine wichtige Rolle. Dies gilt auch und gerade für Wand- und Bodenbeläge, die alleine durch ihren hohen Flächenanteil den Gesamteindruck maßgeblich prägen. Keramikfliesen bieten hier überragende gestalterische Möglichkeiten und haben sich längst als integraler Bestandteil zeitgemäßer Architektur etabliert. Ein sichtbares Zeichen dafür ist, dass wir in den vergangenen Jahren in Summe über 35 begehrte Design-Preise erringen konnten, darunter in schöner Regelmäßigkeit der „iF award“, der „red dot award“ oder der „Designpreis der Bundesrepublik Deutschland“ – traditionsreiche Auszeichnungen, die nicht nur wir zu den wichtigsten ihrer Art zählen.
Natürlich lässt sich über die Orientierungsfunktion trefflich streiten, aber solche Wettbewerbe erfüllen wertvolle Grundfunktionen: Hersteller können sich direkt mit der Konkurrenz messen und durch eine hochkarätige Fachjury beurteilen lassen. Potenzielle Käufer erhalten Hinweise auf Produkte mit überdurchschnittlicher Gestaltungsqualität – nicht mehr und nicht weniger.
Zusammen mit der Zeitschrift AIT haben Sie selbst einen Architekten-Preis ausgelobt. Warum?
Unser 2010 erstmals ausgetragener „Tile Award“ stieß auf so überragende Resonanz, dass sich eine Fortsetzung förmlich aufdrängte und der Wettbewerb daher nun erneut realisiert wird. Die Besonderheit ist, dass er sich an Architekten und Innenarchitekten unter 35 Jahren richtet, die wir hausintern liebevoll als „junge Wilde“ bezeichnen. So wie damals hoffen wir auf Ergebnisse, die selbst uns als „Fliesenmenschen“ positiv verblüffen.
Welche Trends sehen Sie gegenwärtig in der Architektur von Freizeiteinrichtungen?
Auf Grund unserer Kontakte mit Architekten aus unterschiedlichen Kulturkreisen können wir einen gewissen Pluralismus der Stile konstatieren. Die Bandbreite reicht von puristischem Minimalismus bis hin zu repräsentativer Opulenz und hängt stärkt vom Einzelfall ab, sprich: der konkreten Nutzung und natürlich den Vorstellungen des Investors und des Architekten. Unabhängig von der Stilrichtung gibt es eine großer Gemeinsamkeit: Aspekte wie Nachhaltigkeit rücken in den Fokus. Wir greifen dieses Thema gerne auf, weil Keramikfliesen extrem nachhaltig sind und sich auf diesem Gebiet seit Urzeiten bewähren, als es den Begriff noch gar nicht gab.
Stichwort Nachhaltigkeit oder „green builing“: Wie ist die Ökobilanz von Steinzeug-Fliesen?
Die Crux ist, dass Begriffe wie Ökobilanz, Nachhaltigkeit oder „green building“ national und erst recht international unterschiedlich interpretiert werden. Keramische Fliesen werden aus natürlichen Komponenten wie Ton, Kaolin oder Feldspat hergestellt. Wir beziehen den Hauptrohstoff Ton bewusst nicht aus der Ukraine oder anderen weit entfernten Lagerstätten, sondern aus eigenen Gruben oder Quellen im unmittelbaren Umkreis unserer insgesamt vier Werke, die übrigens alle in Deutschland liegen. Dies bedeutet kurze Transportwege und Umweltschutz von Anfang an. Natürlich kostet das Brennen von Keramik Energie, da es sich um „formbaren gebrannten Stein“ handelt wie auch an Begriffen wie Steingut oder Steinzeug deutlich wird. Dies ist jedoch nahezu vernachlässigbar, wenn man die Nutzungsdauer gegenüberstellt: Diese liegt bei Fliesen je nach Typus bei 30, 50 oder sogar 100 Jahren und mehr. Hinzu kommt, dass der Energie-Einsatz tendenziell weiter zurückgeht. Mit Erdgas wird einer der saubersten Energieträger überhaupt verwendet. Am Ende des langen Lebenszyklus' sind Keramikfliesen kein Sondermüll, sondern unkomplizierter Bauschutt, der etwa als Auffüllmaterial im Straßenbau sehr begehrt ist.
Wie können Schwimmbäder oder Badezimmer in älteren Hotels preiswert aufgemöbelt werden? Müssen alte Fliesen immer raus?
Gerade in den von Ihnen genannten Bereichen gibt es hohe funktionale, optische und auch finanzielle Anforderungen, denn ein Hotelier oder Schwimmbadbetreiber hat natürlich auch an den return on investment zu denken. Dennoch muss eine Modernisierung nicht zwangsläufig mit horrenden Kosten verbunden sein und alte Fliesen müssen nicht immer raus. Eine pfiffige Lösung ist zum Beispiel die Verlegung von neuen Fliesen auf alten Fliesen, so dass Lärm und Schmutz minimiert werden. Außerdem haben wir just im Moment unter dem Oberbegriff „Flatile“ eine neuartige Generation extrem dünner Fliesen kreiert. Damit können sogar andere Belagsarten wie der immer noch weit verbreitete Teppich in Hotelzimmern elegant, schnell und kostengünstig gegen einen langlebigen und Wert steigernden keramischen Belag ausgetauscht werden.
Werden die Bodenfliesen immer größer?
Mittelgroße Dimensionen um den Bereich 30 x 30 Zentimeter herum haben stark an Bedeutung verloren. Der Trend geht entweder zu kleinem filigranen Mosaik oder zu majestätischen Großfliesen wie zum Beispiel 60 x 120 Zentimeter, die souveräne Eleganz im XXL-Format vermitteln.
Wie hält man Fliesen-Oberflächen und Fugen in Schuss? Was sind die häufigsten Fehler in der Unterhaltung?
Der gravierendste Fehler ist, wenn unnötigerweise mit wechselnden Mittelchen aller Art experimentiert wird. Dadurch können sich klebrige Schichten bilden, welche die Reinigung behindern oder umgekehrt die Oberfläche so glatt machen, dass die Trittsicherheit negativ verändert wird. Die an und für sich schon hervorragenden Gebrauchseigenschaften steigern wir durch eine Veredelung, die bei hoher Temperatur dauerhaft in die Glasur eingebrannt wird. Neben extremer Reinigungsfreundlichkeit wirken diese Fliesen antibakteriell ohne Chemie und verbessern Raum- und Außenluft nachhaltig durch den Abbau von Luftschadstoffen oder störenden Gerüchen.
Wie kann man Dächer oder Fassaden mit Fliesen gestalten?
Hin und wieder werden unsere Produkte auch für Dächer eingesetzt. So haben wir zum Beispiel vor Jahren goldfarbene Fliesen für die Kuppel eines Sakralgebäudes in Afrika geliefert oder erst jüngst spezielle keramische Elemente für das Museum der Kulturen in Basel, das von Herzog & de Meuron geplant wurde. Realistisch betrachtet handelt es sich dabei jedoch um Ausnahmen, denn dies ist mehr die Domäne von Dachziegeln, die zwar werkstofftechnisch eng verwandt sind mit Keramikfliesen, sich aber in Bezug auf Optik und Anwendungstechnik unterscheiden.
Bei Fassaden denken selbst Architekten oder auch Investoren erst einmal nicht unbedingt an Keramik, obwohl diese Material aus guten Gründen dafür prädestiniert ist. Ich darf kurz einige von vielen Vorzügen herausgreifen. Keramik ist farb- und lichtecht selbst bei intensiver Sonneneinstrahlung. Ein anderer Aspekt, der gerade für Freizeiteinrichtungen mit hohem Publikumsverkehr absolut relevant ist: Fliesen sind unbrennbar, entwickeln keine toxischen Gase. Vor allem aber bieten sie die charmante Möglichkeit, sich vom üblichen Einerlei wohltuend abzuheben, gerade weil man sie nicht an jeder Fassade sieht.
Interview: René Schellbach, iXtenso.com
Linktipp zum Thema Ökobilanz
„Umwelt-Produkt-Deklaration keramische Fliesen und Platten nach ISO 14025“, herausgegeben vom Institut Bauen und Umwelt e.V.