Logistik erobert den privaten Raum und lockt mit neuen Lieferoptionen
Online-Händler wollen zukünftig schneller liefern
Weihnachten steht vor der Tür und damit der alljährliche Geschenkekauf. Eine gute Zeit für den Online-Handel sollte man meinen. Aber trotz des guten eCommerce-Wachstums in 2016 gibt es immer noch ein letztes Ärgernis für Kunden, das viele Online-Händler bisher nur stiefmütterlich behandelt haben: die „letzte Meile“.
Gerade zur Weihnachtszeit stapeln sich die Abholzettel im Briefkasten, die Nachbarn werden zu menschlichen Paketstationen oder das Wunschobjekt landet im Paketshop, der natürlich schon geschlossen hat. Die Unzufriedenheit bei der Zustellung ist in allererster Linie ein Problem des Händlers und nicht des Logistikers.
Unkomfortable Zustellungs- und Lieferzeiten sowie mangelnde Lieferoptionen führen schnell dazu, dass der Online-Shopper von einem Kauf absieht. Eine Studie des Versandlösungsanbieters MetaPack (State of eCommerce Delivery Report 2016) hat herausgefunden, dass 45 Prozent der Befragten einen Online-Einkauf aufgrund unbefriedigender oder nicht vorhandener Lieferoptionen abbrechen. 38 Prozent würden sogar nach einem negativen Liefererlebnis nie mehr bei dem entsprechenden Online-Händler einkaufen.
Zeitfaktor beeinflusst Zufriedenheit des Kunden
Laut der EHI-Studie „Versand- und Retourenmanagement im eCommerce 2016“ will ein Großteil der Online-Händler in Zukunft innerhalb eines Tages oder noch schneller liefern. Der Aufwand sei zwar enorm, lohne sich aber durchaus. „Wenn ein Paket noch am selben Tag eingeht, verkürzt sich die Zeit bis zum nächsten Kauf um 40 Prozent“, so Nils Fischer, Geschäftsführer von Liefery, im Rahmen der diesjährigen Neocom. Je schneller die Zustellung außerdem erfolge, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde das Produkt retourniere.
Schnelligkeit beeinflusst wie noch nie zuvor die Last-Mile-Logistik. Innerhalb der nächsten drei Jahre wollen mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Händler die Geschwindigkeit noch einmal erhöhen und Same Day Delivery anbieten. 12 Prozent könnten sich sogar vorstellen, eine Lieferung in ein bis zwei Stunden anzubieten. Der Faktor Zeit bedeutet aber auch, dass der Käufer einen exakten Lieferzeitpunkt wählen kann. Dies umfasst neben dem Wunschtag auch den Lieferzeitpunkt. Dabei sind der Vormittag sowie die Abendstunden von 18 bis 21 Uhr die beliebtesten Zeitfenster. Viele Käufer lassen sich ihre Waren entweder zur Arbeit liefern oder möchten sie nach Feierabend zu Hause in Empfang nehmen.
Annahmestationen für zu Hause
Ein oder zwei Lieferoptionen pro Shop reichen definitiv nicht mehr aus, um sich vom Markt abzuheben. Daher bieten DHL, Parcellock oder myrenzbox Paketkästen an. Sie können ähnlich einer Briefkastenanlage im oder vor dem Haus integriert werden. Der Zusteller öffnet den Paketkasten mittels Schlüsselchip oder einer App und platziert die Sendung im Inneren. Auch Retouren können über solche Systeme abgewickelt werden.
Seit Mitte November steht darüber hinaus einzelnen Haushalten bundesweit der Paketbutler zu Verfügung, der von der Deutschen Telekom, dem Hamburger Unternehmen feldsechs und DHL entwickelt wurde. Der Empfänger platziert die faltbare Box direkt vor der eignen Wohnungstür und verankert sie zwischen Zarge und Tür. Zugriff haben dank moderner Kommunikationstechnologie lediglich autorisierte Personen und der Paketbote. Letzterer öffnet die Box über einen PIN, hinterlegt das Paket und schließt den Deckel. Der Paketbutler lässt sich prinzipiell von allen Lieferdiensten bestücken und eignet sich ebenfalls für Retouren.
Vorstoß in den privaten Raum – DHL testet Kofferraumlieferung
Derzeit erproben DHL und der Autohersteller Smart in einem gemeinsamen Pilotprojekt, ob und wie sich Autos als mobile Lieferadresse für Paketsendungen nutzen lassen. Die Lösung basiert auf einer Smartphone-App. Der Fahrzeughalter generiert für seine Online-Bestellung eine einmalig gültige Transaktionsnummer (TAN). Diese gibt er beim Online-Shop im "c/o"-Feld der Empfängeradresse ein. Das Fahrzeug muss für die Lieferung des Pakets dann lediglich in der Nähe der Lieferadresse geparkt sein. Gleichzeitig erhält der Zusteller via App Informationen über den gewünschten Lieferort sowie einen einmaligen, nur in einem bestimmten Zeitraum gültigen Zugang zum Fahrzeug. So kann er das bestellte Paket in den Kofferraum einlegen und eventuelle Retouren direkt wieder mitnehmen. Nach Verschließen des Fahrzeugs erlischt gleichzeitig die Zugangsberechtigung.
Menschlose Logistik – Hermes erprobt Lieferroboter
Dass Amazon schon länger Drohnen im Logistikprozess einsetzen möchte, ist nichts Neues und allein aus rechtlicher Sicht ein schwieriges Unterfangen. Hermes hingegen will Straßen und Gehsteige für sich nutzen und zwar mit Hilfe des Lieferroboters der Firma Starship Technologies aus Tallinn. Wie auch schon der PaketButler lässt sich der Roboter auf sechs Rädern nur vom Paketempfänger oder dem Zusteller öffnen. Er navigiert selbständig und bewegt sich maximal in Schrittgeschwindigkeit, weicht Hindernissen aus und erkennt, wann er eine Straße überqueren darf. Möglich machen dies spezielle Sensoren und Algorithmen. Während des aktuellen Pilottests in Hamburg setzt Hermes die Starship-Roboter ein, um im Paketshop hinterlegte Sendungen zum Empfänger zu bringen. Im Normalfall müssen solche Sendungen persönlich abgeholt werden. Klassische Zustelltouren, bei denen Pakete direkt vom Absender zum Kunden nach Hause geliefert werden, ersetzt der Roboter nicht. Dafür sind die Distanzen oft zu groß.
Lieferungen müssen planbar, individuell und transparent sein
Feststeht, dass Lieferungen, bedingt durch das stetige Wachstum des eCommerce, in Zukunft zunehmen werden. Der Online-Käufer erwartet dabei eine individuelle und planbare Lieferung. Sie möchten selbst entscheiden, wann, wo und wie ein Paket zugestellt wird. Egal welche Lieferoption ein Online-Händler anbietet, wichtig ist, dass der Kunde nach seinen eigenen Bedürfnissen entscheiden kann. Auch Transparenz wird in Zukunft eine weitere Rolle spielen. Dabei steht nicht nur die Nachverfolgung der Sendung oder die Vorankündigung via E-Mail oder SMS im Fokus. Der Logistikdienstleister Liefery teilt seinen Kunden beispielsweise mit, wie der jeweilige Kurier heißt und wie er aussieht. Vertrauensbildung wird die Logistik zukünftig vor neue Herausforderungen stellen, sollte sich der private Raum weiterhin öffnen.
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