Ethik im Handel – ein Aspekt, der selten im Fokus steht, aber immer mehr an Bedeutung gewinnt. Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und faire Wettbewerbsbedingungen machen ethisches Handeln für Unternehmen unverzichtbar.
Prof. Dr. Tobias Wollermann, VP Corporate Responsibility der Otto Group, erklärt, wie Händler*innen diesen Herausforderungen begegnen können, wer Vorreiter ist und warum Entwicklungen rund um Temu und Shein das Thema noch wichtiger werden lassen.

Tobias, Ethik ist nicht gerade ein gängiger Begriff im Handel. Was verstehst du darunter, wenn es um die Handelswelt geht?
Tobias: Ethik im Handel bedeutet für mich, dass Unternehmen Verantwortung übernehmen – gegenüber ihren Kund*innen, Geschäftspartnern, der Gesellschaft und der Umwelt. Es geht darum, gerechte Geschäftspraktiken zu fördern, die das Wohl aller Beteiligten im Blick haben.
Warum gewinnt Ethik im Handel gerade jetzt an Bedeutung?
Das hat mehrere Gründe.
- Das Bewusstsein der Verbraucher*innen für soziale und ökologische Themen nimmt stetig zu. Nur wer transparent ist und ethische Standards in seine Lieferketten integriert, kann langfristig erfolgreich sein.
- Globale Herausforderungen wie die Klimakrise und soziale Ungleichheit fordern alle gesellschaftlichen Akteure – und das schließt Unternehmen explizit mit ein.
- Gesetzliche Vorgaben spielen eine immer größere Rolle. Standards im Bereich Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung werden kontinuierlich strenger. Unternehmen, die sich nicht daran halten, riskieren nicht nur rechtliche Konsequenzen, sondern auch ihren Ruf und ihre Marktposition.
Wie sieht dieser Einsatz bei euch – bei der Otto Group – aus?
Für uns bedeutet das konkret, sich aktiv für bessere Arbeitsbedingungen in den Lieferketten einzusetzen – Bedingungen, in denen die Menschenrechte respektiert und die Umwelt geschützt werden. Unser Ziel ist es, Produkte anzubieten, die unter gerechten Bedingungen hergestellt werden, und gleichzeitig unseren ökologischen Fußabdruck so gering wie möglich zu halten.
Da sehe ich uns auch teils als Vorbild: Seit 1986 gehört Umweltschutz zu unseren zentralen Zielen. Bereits in den 1990er-Jahren haben wir begonnen, die Arbeitsbedingungen in unseren Lieferketten systematisch zu verbessern. Wir engagieren uns in Initiativen und Allianzen wie dem Internationalen Accord zur Arbeitssicherheit in der Textilindustrie oder der von Prof. Dr. Michael Otto mitgegründeten Stiftung KlimaWirtschaft.
Welche Unternehmen siehst du hier außerdem in einer Vorreiter-Rolle?
Ein gutes Beispiel ist Vaude, das Maßstäbe in der Branche setzt – etwa durch ressourcenschonende Produktion, langlebige Produkte und innovative Kreislaufwirtschaftsmodelle. Ein weiteres Vorbild ist Patagonia, das sich seit 1985 verpflichtet, 1 % seines Umsatzes für Umweltprojekte zu spenden und sich stark für soziale Gerechtigkeit engagiert.
Was für eine Rolle spielen Plattformen wie Temu und Shein hierbei?
Wettbewerb belebt das Geschäft – das steht außer Frage. Mit professionellem Interesse beobachten wir, wie Plattformen wie Temu und Shein junge Menschen durch Gamification, Rabattcodes und Influencer-Marketing in ihren Apps binden.
Allerdings gibt es auf diesen Marktplätzen auch Anbieter*innen, die sich nicht an grundlegende Regeln des fairen Wettbewerbs in Europa halten. Studien zeigen, dass dort Produkte angeboten werden, die nachweislich gesundheitsgefährdend sein können. Zudem verkaufen einige Anbieter*innen Nachahmerprodukte, umgehen Zollvorschriften oder nutzen öffentliche Subventionen für den Transport, was extrem niedrige Preise ermöglicht.
Wir wünschen uns, dass die negativen Auswirkungen solcher Fast-Consumption-Modelle gestoppt werden. Andernfalls laufen alle Bemühungen um gesunden und nachhaltigen Konsum ins Leere. Politik und Kontrollbehörden wie der Zoll müssen diese Geschäftsmodelle stärker in den Blick nehmen und regulatorische Konsequenzen ziehen. Faire Wettbewerbsbedingungen – ein „Level Playing Field“ – sind in einer öko-sozialen Marktwirtschaft unerlässlich.
Trotz aller Fortschritte, unter anderem auf europäischer Ebene: Wo siehst du die größten Herausforderungen und was bleibt zu tun?
Eine der größten Herausforderungen ist die bereits angesprochene Transparenz in globalen Lieferketten. Gerade bei komplexen Strukturen ist dies eine Mammutaufgabe.
Zudem ist der Wandel zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen oft zeit- und kostenintensiv, da bestehende Prozesse grundlegend überarbeitet werden müssen.
Ein weiteres Problem ist das fehlende Bewusstsein in der Gesellschaft. Verbraucher*innen müssen noch stärker für die Bedeutung nachhaltigen Konsums sensibilisiert und zu verantwortungsvollen Kaufentscheidungen motiviert werden.
Hinzu kommt die zunehmende Regulatorik im Bereich Nachhaltigkeit. Unternehmen in Deutschland und der EU sehen sich immer komplexeren Vorschriften gegenüber. Ein „Level Playing Field“, das gleiche Regeln für alle Akteur*innen schafft, ist daher unerlässlich. Leider gibt es Anbieter*innen, die sich nicht an grundlegende Wettbewerbsregeln halten.
Was sollte man deiner Meinung nach als Händler*in tun, um ethisch korrekt zu agieren?
Aus meiner Sicht gibt es kein allgemeingültiges Rezept, aber bestimmte Prinzipien und Strategien können als Leitfaden dienen.
- Es braucht eine klare Haltung und Werte zur Nachhaltigkeit. Die Haltung muss von der Führungsebene vorgelebt werden. Werte wie Transparenz, Fairness und Verantwortung sollten in alle Geschäftsentscheidungen einfließen, um eine ethische Handelsweise zu gewährleisten.
- Unternehmen müssen datenbasierte Entscheidungen treffen. Es ist entscheidend, klare KPIs zu definieren, um zu wissen, was erreicht werden soll und welche Ressourcen dafür benötigt werden.
- Es braucht technologische Innovationsbereitschaft. Händler*innen sollten neuen Technologien und Trends offen gegenüberstehen und diese nutzen, um ihre Prozesse zu optimieren und nachhaltige Praktiken zu fördern.“