Alternative Kältemittel im Supermarkt: bis zu 51.000 Euro einsparen
Interview über die Entwicklung von Kältemitteln im Einzelhandel
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Sie sind wichtiger denn je: nachhaltige Konzepte für die Kältetechnik. Erst recht, seit Maßnahmen zur Reduzierung von extrem schädlichen Kältemitteln, die den Treibhauseffekt verstärken, auf EU-Ebene eingeleitet wurden. Das bedeutet: Auch Einzelhändler gerade im LEH müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen. Um ihnen unter die Arme zu greifen, hat die Universität Birmingham das Whitepaper “Refrigeration in Retail – Transition to Clean Cold” (Kühlung im Einzelhandel - Der Weg zu sauberer Kälte) in Kooperation mit dem Kühlexperten Emerson veröffentlicht.
Professor Toby Peters, Professor für Power and Cold an der University of Birmingham, UK und Eric Winandy, Director of Integrated Solutions bei Emerson verdeutlichen im gemeinsamen Interview die Dringlichkeit des Themas und geben Tipps für den Einzelhandel.
Herr Winandy, welche Art von Kühltechnologie sollten Einzelhändler bevorzugen?
Eric Winandy, Director of Integrated Solutions, Emerson: Da gibt es keine universelle Kühlungslösung, die für alle passt. Die verschiedenen Systeme eignen sich für die unterschiedlichen Bedürfnisse der jeweiligen Einzelhändler. Wichtig ist, dass Einzelhändler einen ganzheitlichen Ansatz für Kältemittelentscheidungen verfolgen und dabei nicht nur die Vorlaufkosten berücksichtigen, sondern auch die Ressourcen, die benötigt werden, um verschiedene Technologien über einen längeren Zeitraum aufrecht zu halten. CO2-Kühlsysteme sind beispielsweise in kälteren Klimazonen am effizientesten, wie beispielsweise in skandinavischen Ländern, aus denen sie stammen. Allerdings deutet eine Branchenanalyse darauf hin, dass Kohlenwasserstoffe wie beispielsweise Propan oftmals langfristig deutlich mehr Vorteile in Bezug auf Energieeffizienz und Wartungskosten bieten können. Das liegt daran, dass sie ein deutlich weniger komplexes System im Vergleich zu CO2 unterstützen.
Professor Peters, welche Vorteile haben alternative Lösungen?
Professor Toby Peters, University of Birmingham: Supermärkte haben die einmalige Gelegenheit, Kältestrategien zu entwickeln, die gleichzeitig betriebswirtschaftliche und ökologische Ziele vorantreiben. Strategische Entscheidungen bezüglich der Systemarchitektur machen es möglich, dass Lebensmitteleinzelhändler ihre innerbetrieblichen Kosten für Heizung und Warmwasser sowie für Kühlung senken können. Dies kann auch Möglichkeiten für eine stärkere Einbindung in lokale Energieverbünde eröffnen. Supermärkte können die negativen Preise von überschüssigen erneuerbaren Energien nutzen oder neue Einkommensquellen erschließen, indem sie Abwärme – oder überschüssige Kälte – an Fernwärmeleitungsnetze abgeben und dabei gleichzeitig drei international vereinbarte Ziele unterstützen: das Pariser Klimaabkommen, die in Kigali beschlossene Änderung des Montrealer Protokolls und die Ziele für nachhaltige Entwicklung.
Muss ich aus rechtlicher Sicht als Einzelhändler die neuen Kältemittel einsetzen?
Toby Peters: Die EU-Gesetzgebung war bisher eher auf Hersteller als auf Einzelhändler ausgerichtet. Momentan ist es nicht illegal, H-FCKWs einzusetzen. Allerdings bedeutet die EU-F-Gas-Verordnung, dass das Angebot hier rapide sinkt. Im Jahr 2018 wird das H-FCKW Angebot in Europa effektiv um 48 Prozent unter das Niveau des Jahres 2015 sinken. Bis 2030 wird es um fast 80 Prozent verringert werden, was Einzelhändler dazu zwingt, von H-FCKW-Modellen Abschied zu nehmen.
Wie teuer sind denn die umweltfreundlichen Kältemittel im Vergleich zu den üblichen Kühlmitteln?
Eric Winandy: Hier geht es weniger um den Anfangsaufwand, sondern vielmehr um den längerfristigen Nutzen, da die Wartungskosten stärker vom erstmaligen Installationspreis der Systeme abweichen. Wenn Einzelhändler jedoch die richtige natürliche Alternative wählen, könnten sie sehr reale Einsparungen in Bezug auf Effizienz und Wartung erzielen. So ergab eine kürzlich durchgeführte Branchenanalyse, dass eine Supermarktkette mit einem Propan-Integralsystem im Vergleich zu einem CO2-Kühlsystem über einen Zeitraum von zehn Jahren beispielsweise bis zu 51.000 Euro pro Ladengeschäft einsparen könnte.
Ich kann mir vorstellen, dass viele Einzelhändler schockiert sind, wenn sie realisieren, dass ihre Kühlsysteme nicht ganz so umweltfreundlich sind, wie sie vermutlich dachten. Gibt es für sie denn Unterstützung oder Informationen vonseiten des Staates oder der Wissenschaft?
Eric Winandy: Ich hoffe ja, Einzelhändler sind mittlerweile nicht davon überrascht, dass ihre Kühlsysteme ökologisch nachhaltiger sein könnten. In der Tat sind wir sehr von der Tatsache ermutigt, dass die Industrie anscheinend damit übereinstimmt, dass natürliche Kältemittel der beste Ersatz für H-FCKWs sind und dass sie kein Lückenbüßer-Kompromiss sind, der in ein paar Jahren einer ähnlichen Ausstiegsregelung ausgesetzt sein könnte. Aber hierzu gibt es sicherlich Unterstützung durch die Kälteindustrie. Ein Grund, warum wir dieses Whitepaper entwickelten, war es, Einzelhändler für den stufenweisen Ausstieg zu sensibilisieren und zu informieren, zusammen mit den natürlichen Alternativen, die zurzeit zur Verfügung stehen.
Was ist der Ausgangspunkt für einen Einzelhändler, der seinen Supermarkt mit neuen Kühlsystemen ausrüsten möchte?
Eric Winandy: Der wichtigste erste Schritt ist eine genaue Recherche der verfügbaren alternativen Technologien und deren Leistung über einen längeren Zeitraum. Ein Händler sollte zum Beispiel die Wartungskosten für den Wechsel zu einem komplexen CO2-Kühlsystem ermitteln und dann gegen die potenziellen Vorteile einer Installation von eigenständigen Kohlenwasserstoff-Systemen abwägen, die Propan verwenden. Kälteanlagen, die man heute installiert, werden die nächsten 15 Jahre in Betrieb sein. Daher ist es entscheidend, dass Einzelhändler sich der langfristigen Auswirkungen ihrer Entscheidungen bewusst sind.
Professor Peters, wie lange wird es dauern, alternative Mittel im Einzelhandel zu etablieren?
Professor Toby Peters: Während viele Einzelhändler bereits mit dem Wechsel von H-FCKWs zu alternativen Kältemitteln begonnen haben, deuten Industrieberichte jedoch darauf hin, dass die Branche ins Hintertreffen gerät. Das H-FCKW Angebot wird in Europa bis zum Jahr 2030 zwar um bis zu 80 Prozent reduziert sein, aber die meisten Einzelhändler werden bis dahin hoffentlich den Wechsel durchgeführt haben.
Die Hauptherausforderung besteht jedoch darin, dass ein Großteil des Energieverbrauchs in Form von thermischen Dienstleistungen einhergeht und das bedeutet Kühlung und Heizung. Wenn Kühlung nachhaltig sein soll, dann brauchen wir nicht einfach nur effizientere Kühlsysteme, sondern eine grundlegende Überarbeitung der Systemarchitektur. In diesem Zusammenhang müssen die Regierungen damit anfangen, mehr Anreize zu schaffen und in Forschung und Entwicklung zu investieren, um diese Entwicklung zu beschleunigen - statt einfach nur Ökostrom zu fördern.