20 Jahre bei der gleichen Firma – damit ist Jürgen Berens von Rautenfeld eine Konstante im schnelllebigen IT-Business. Seine Online Software AG wird öfters mit dem Produkt gleichgesetzt: „Prestige“ heißt das Programm, das dem Handel die „Preiskommunikation“ erleichtern soll. Ging es zu Anfang um Preisschilder und Wobbler fürs Regal, kamen im Laufe der Zeit Plakate hinzu, zunächst einfarbig, dann bunt und mit Fotos. Jetzt steht mit Digital Signage eine neue Investitionswelle an – doch hier ist der Marktführer mit neuen Wettbewerbern konfrontiert.
Jürgen Berens von Rautenfeld ist sein bester Verkäufer. Die Marketing-Leiterin lobt ihren Chef bei der Online Software AG als „Marketing-Mann“. Dabei ist von Rautenfeld, Jahrgang 1964, eigentlich IT'ler, studierte in Paderborn und startete bei Nixdorf in die Handelswelt. Kurz vor der Übernahme durch Siemens ließ er sich an die Bergstraße abwerben, kam nach Weinheim, gründete zusammen mit Eric Wust in dessen elterlicher Garage eine Firma, die man heute ein Start-up nennen würde. Der Name Online Software zielte damals vor allem auf Telefonsupport, das Internet steckte noch in den Anfängen. Wust stieg bald aus, machte den Nebenjob als Radiomoderator zum Hauptberuf.
Ja, es gab im Laufe der Jahre einige Übernahmeangebote, sagt von Rautenfeld, der heute Vorstandssprecher ist und sich die Anteile an der AG mit seinem Kompagnon Volker Wissmann teilt. Er sei aber immer standhaft geblieben und habe das nie bereut. „Die Arbeit macht mir jeden Tag Spaß“, versichert er. Arbeitet er jetzt weniger, als Papa? „Nein“, sagt er und räumt ein: „Die Familie kommt eindeutig zu kurz.“ An Bürotagen ist er morgens ab halb acht im Büro. „Die Lebensmittelhändler sind Frühaufsteher“, sagt er, aber für den Lebensmittelhandel allein ist er nicht unterwegs. Sein Sohn Valentin ist 4 Jahre alt, bleibt abends meist auf bis der Papa um 8 oder 9 Uhr heim kommt.
Wandern und Tauchen in der Freizeit
Mit der Familie macht von Rautenfeld gern Wanderurlaub in den Bergen, zuletzt im Juli in den Dolomiten. Vier bis fünf Stunden marschiert der Kleine schon mit, Klettertouren macht der Vater jedoch allein und jeweils im Herbst gönnt er sich eine Woche Auszeit mit den Freunden vom Heidelberger Tauchverein – meist am Roten Meer, aber bisweilen auch an ferneren Tauchspots. Er bedauert, wie sehr die beliebten Reviere unter den Tauchtouristen leiden, liebt jedoch den Reiz der Tiefe. „Offiziell“ bis 40 Meter, wie es im Tauchschein steht; stets mit Buddy, wie die Taucher den Partner nennen, der auf die Sicherheit achtet.
„Die Firma läuft auch ganz gut ohne mich“, meint der Chef. Vorbild sein – das ist ihm wichtig. Klingt nach altem Adel. Die von Rautenfelds stammen aus dem Württembergischen. Ein Müller im 15. Jahrhundert kaufte den Titel. „Wir haben keine Ländereien“, sagt er schmunzelnd. Im Ausland ist der Name nicht immer leicht zu buchstabieren. Die Online Software AG verkauft ihre Standardsoftware vorwiegend in Europa und Russland, insgesamt 35 Länder.
Marktführer und neue Wettbewerber
Auf dem Markt der gedruckten Preiskommunikation ist „Prestige“ unangefochten der Marktführer. Bei Digital Signage – Bildschirmen für E-Plakate, Ladenfernsehen, Waagen und Kassen – werden die Karten gerade ganz neu gemischt. Hier spielen Agenturen und IT-Dienstleister mit und haben teilweise durchaus die Nase vorn, so etwa bei Edeka im Norden. Dort ließ man sich von einem Wettbewerber locken, der Werbeerlöse versprach, ein Dumping-Angebot machte und dafür eine lange Vertragsbindung bekam.
„Wir konnten und wollten da nicht mitmachen“, sagt Jürgen Berens von Rautenfeld. Er lebt vom Lizenzgeschäft, Support Upgrades und Updates sind dann inklusive. So seien die Kosten für die Anwender kalkulierbar. Rund 30.000 Anwender nutzen „Prestige“ und so kann der Chef-Verkäufer im Gespräch mühelos von einem Handelsunternehmen zum anderen wechseln. Baumarkt, Modekette, Drogerie, Sport, vor allem aber Lebensmittelhandel – von Lidl und Aldi über Edeka und Rewe bis hin zur Metro. Er weiß um den Wert der Frischetheken zur Abgrenzung von den Discountern. Und er glaubt fest daran, dass sich mit Werbebotschaften auf Waagen und E-Plakaten hier mehr verkaufen lässt. „Aber es kommt auf den Content an.“
Digital Signage ist mehr als schöne Bilder
Der Content – die Inhalte – das ist die zentrale Herausforderung für Digital Signage. Sowohl Bizerba als auch Mettler Toledo versuchen, dem Handel den Zugriff auf Bilderdatenbanken und Rezepte zu eröffnen. Mit Fotos von leckeren Früchten, Käsesorten und Fleischwaren ist es jedoch nicht getan. Gerade an der Frischetheke fehlen oft die Barcodes. Die Lieferanten kommen oft aus der Region. An Stammdaten oder gar EDI ist nicht zu denken. Nötig ist eine Software, die für den Handel leicht zu bedienen ist.
„Verkaufen muss Spaß machen“, sagt von Rautendeld. Und damit meint er das Verkaufen mit seiner Software. Als Beispiel nennt er die Verkäuferin in der Obstabteilung, die mit „Prestige“ rasch ein großes Plakat in professionellem Layout mit Appetit machendem Foto produzieren und aufhängen könne. „Plakat oder Bildschirm? – Am besten beides.“ So lautet die Empfehlung aus Weinheim. Sicher, solange die Bildschirme noch etwas Besonderes sind, wecken sie Aufmerksamkeit und steigern so den Absatz. Das gelte auch, wenn irgendwann Bildschirme in den Geschäften selbstverständlich sind.
Hart umkämpft ist das Terrain im Lebensmittelhandel. Angesichts knapper Margen tun die Zentralen sich schwer, eine neue Technik rasch in allen Filialen einzuführen. Einzelne Kaufleute, etwa bei Rewe oder Edeka, packen rascher zu. So stand von Rautenfeld kürzlich beim Branchenverband POPAI auf der Bühne und nahm zusammen mit Rewe-Händler Marcus Nüsken einen Award für Digital Signage entgegen.
Große Filialisten oder kleinere Fachhändler brauchen Preisschilder – und könnten Digital Signage nutzen, meint der Marketing-IT-Mann. Einzige Voraussetzung: Mit den passenden Bildern oder Videos muss man beim Verbraucher Emotionen wecken, den Wunsch, etwas zu kaufen. Selbstgemachte Inhalte reichen dafür kaum aus, mit dem Fernsehen seien die Verbraucher längst professionelle Sendungen gewohnt. „Wir haben doch schon früher im Kino gelacht, wenn vor den Filmen die Werbung von den heimischen Firmen kam.“
Attraktiver Standort
Die modernen, hellen Büros von Online Software sind nur zehn Fußminuten entfernt vom Weinheimer Marktplatz mit seinen Fachwerkhäusern. Alle duzen sich, wie oft in IT-Firmen. Es gibt keine Stechuhr, dennoch wird bis spät abends angepackt, wenn Not am Mann ist. Man grillt gelegentlich zusammen. Die Firma engagiert sich in der Ausbildung junger Menschen, früher von der Berufsakademie heute auf dem Weg zum Bachelor. Nachwuchssorgen hat man offenbar nicht. Weinheim an der Bergstraße kommt immer wieder im Fernsehen, wenn im Frühjahr hier die Mandeln blühen. Dennoch sei es nicht weit nach Heidelberg, Mannheim und Darmstadt. Jürgen Berens von Rautenfeld ist begeistert von der Region. Dabei stammt er eigentlich aus Hamburg. Das hört man nicht, den Rhein-Neckar-Raum allerdings auch nicht.
Der Chef freut sich durchaus, wenn er Post an die Firma Prestige auf seinen Schreibtisch bekommt. Auch der Postbote weiß, was gemeint ist. An eine Umbenennung des Ladens denkt man jedoch nicht. Die Wiederverkäufer sollen sich mit dem Produkt identifizieren können. Auf Messen trägt der Chef jedoch stets ein weißes Hemd mit Logo am Kragen. Es ist nicht das Firmenlogo, sondern das Signet von „Prestige“. Dann ist „Mister Prestige“ in seinem Element: Hände schütteln, Kontakte pflegen – und verkaufen.
René Schellbach, iXtenso.com