Interview • 01.09.2011
Suchmaschine plus Landkarte und Mengenlehre für Kioskterminals
Interview mit Regula Turtschi, Geschäftsführerin Hof3
Den ersten eigenen Stand auf einer Messe hatte Hof3 aus der Schweiz bei der EuroShop 2011. Die 1997 gegründete Firma entwickelt seit 2008 zusammen mit einem Software-Partner die Keryx-Produkte für interaktive Informations- und Leitsysteme im Bereich Digital Signage. Den Start bildete ein elektronisches Fußgängerleitsystem in Biel (Bienne), der größten zweisprachigen Stadt in der Schweiz. Keryx ist auch im Innenbereich einsetzbar. Es kombiniert eine Suchmaschine mit Kartentechnologie auf der Basis von Bubbles-Navigation. Mit den Bubbles, die mittels Mengenlehre gebildet werden, wenden sich die Entwickler ab von der üblichen hierarchischen Datenstruktur.
Welchen Vorteil bieten Bubbles bei der Navigation auf dem Touch-Bildschirm?
Die Bubbles-Navigation bietet den Vorteil, dass der User schnell und intuitiv auch durch große Datenmengen navigieren kann. Auch wenn wir große Datenmengen haben, sind wir nach wenigen Klicks bereits auf der Treffermenge. Die Treffermengen werden – im Gegensatz zu Google und den meisten anderen Suchmaschinen – nicht als Listen ausgespielt. Der Benutzer kann sich den Weg von seinem Standort zum Standort des Treffers anzeigen lassen.
Welche Technologie steckt dahinter?
Hinter Keryx steckt ein Java-Backend, dessen Entwicklung zehn Jahre brauchte. Es stellt eine ausgeklügelte Suchmaschine und Kartentechnologie mit einem raffinierten Routing-Algorithmus zur Verfügung.
Was fehlt Ihnen bei den bisherigen Digital-Signage-Anwendungen im Handel?
Der Content. Auf den Digital-Signage-Anwendungen wird bloß Werbung ausgespielt. Digitale Informations- und Leitsysteme sind noch sehr rar. Es gibt kaum Systeme, die kundenspezifische Inhalte verarbeiten können – oder es sind Speziallösungen, die explizit für einen Anbieter hergestellt worden sind.
Karten und Gebäude als Landkarte oder dreidimensional – was ist sinnvoll?
Die Frage stellt sich so nicht. Karten sind unserer Meinung nach sehr viel besser lesbar, wenn sie zweidimensional abgebildet werden. Das sind wir gewohnt, darin finden wir uns zurecht. Bei den Gebäuden macht eine dreidimensionale Ansicht Sinn. Beim Routing kommt es darauf an, wie man vorgeht. Wir werden bis Ende Mai ein neuartiges zweidimensionales Routing entwickeln. Der Ansatz dabei ist, ohne überflüssige Informationen den Weg zu weisen – und zwar so, dass der Benutzer sich den Weg merken kann – sei dies im Kopf oder auch via QR-Code auf dem Handy.
Wird Digital Signage auch von älteren Menschen angenommen? Was ist für diese Gruppe besonders wichtig?
Das lässt sich so nicht beantworten. Digital Signage besteht zurzeit vor allem aus nicht interaktiver Werbung. Da stellt sich dann die Frage, wie dieser Inhalt gestaltet ist, ob er sich auf die Zielgruppe der älteren Menschen bezieht oder nicht. Bei den interaktiven Anwendungen ist es wichtig, auch Zielgruppen zu erreichen, die nicht so geübt im Umgang mit Computern sind. Wir machen gerade da eine wichtige Erfahrung mit den Bubbles. Beobachtet man die Benutzer, fällt auf, dass die meisten als erstes auf die Bubbles drücken. Ein Mitarbeiter des Fraunhofer Instituts hatte dazu eine einfache und einleuchtende Erklärung: Ein Bubble sieht aus wie ein Knopf. Und Knöpfe kennen wir aus allen analogen Anwendungen, wenn wir da darauf drücken, passiert was. Deswegen funktioniert die Bubbles-Navigation sehr gut – auch bei älteren Menschen.
Wie suchen die Menschen, wenn sie ein Kioskterminal nutzen?
Es werden grundsätzlich unterschiedliche Suchverhalten beobachtet, es gibt ganz unterschiedliche Such-Typen. Das gilt auch für die Kiosksysteme. Der Eine gibt per Tastatur einen Begriff ein, der Andere spielt ein bisschen herum, sucht eigentlich nichts bestimmtes und der Dritte nutzt die Quick-Navigation oder die Bubbles, um zu seinen gewünschten Treffern zu gelangen.
Wie kann der Handel das Kioskterminal mit der Warenwirtschaft verbinden?
Wir bieten KeryxShop-in-Shop mit einer Schnittstelle zu allen gängigen Warenwirtschaftssystemen an. Wir verarbeiten xml-Dateien – das ist eines der gängigen Austauschformate für Datenbanken. Das System kann die Datenbank einer Warenwirtschaft oder eines Online-Shops einlesen und verarbeiten. Die Waren werden dann mittels der Bubbles ausgespielt. Dabei sind wir völlig unabhängig von der Branche – ob Schuhe, Pharma-Artikel, Kleider oder Möbel. Dabei setzen wir unseren Routing-Algorithmus ein und schaffen die Möglichkeit, dass der Kunde sich den Weg zum gewünschten Produkt im Laden anzeigen lassen kann.
Welche Refinanzierung durch kontextabhängige Werbung ist denkbar?
Alle Keryx-Produkte bieten kontextsensitive Werbeflächen an. Lassen Sie mich ein Beispiel machen: Sie haben Hunger und stehen an einer Stele mit KeryxOutdoor in einer Stadt und suchen nach einem Restaurant. Wenn Sie nun auf die Untergruppe Restaurants klicken, gibt es neue Untergruppen, gruppiert nach Art der Küche, beispielsweise italienische, thailändische, japanische, deutsche etc. An dieser Stelle kann anstelle der Quick-Navigation eine Werbung eines thailändischen Restaurants ausgespielt werden. Klicken Sie dort drauf, sind Sie auf dem Detaileintrag des beworbenen Restaurants und können sich den Weg dorthin anzeigen lassen. Zusätzlich zur kontextabhängigen Werbung gibt es auch die Werbung auf dem Home-Screen, die erscheint, wenn die Stele unbenutzt ist. Damit schaffen wir die Möglichkeit, die Investitionskosten zumindest teilweise zu refinanzieren.
Wann ist neben Kioskterminals auch die Navigation mit Smartphones möglich?
Gewisse Kurzinformationen können bereits in der Version 2.0 von Keryx via QR-Code auf das Handy geladen werden. Wir planen, auch Apps für Smartphones zur Verfügung zu stellen. Wann dieser Entwicklungsschritt realisiert wird, hängt unter anderem davon ab, ob wir genügend Investment für die Weiterentwicklung von Keryx finden.
Wie war die Resonanz der Messebesucher bei der EuroShop?
Wir konnten an der EuroShop zwar keine Verträge abschließen und hatten das auch gar nicht erwartet. Aber wir haben mehrere ernsthafte Leads von Retailers – teilweise sehr großen Ladenketten. Die Feedbacks waren ausnahmslos positiv bis enthusiastisch. Fakt ist, dass Keryx bis dato konkurrenzlos ist. Trendscouts, Consultants und Retailer bestätigten, dass der Markt genau danach sucht. Dabei scheint sich zu bestätigen, dass potenziellen Kunden nicht nur ein digitales Produktinformationssystem wollen, sondern auch ein Routing-System. Es scheint so, dass wir mit der App für iPhone- und Android voll im Trend des sogenannten Multichannelings liegen – was auf der EuroShop in aller Munde war.
Was sind Ihre nächsten Schritte?
Zurzeit sind wir daran, Investment für die nächste Entwicklungsphase von Keryx zu finden. Gleichzeitig steht bereits der nächste Messetermin vor der Tür: wir werden Ende Mai an der Digital Signage Expo in Essen teilnehmen. Wir gehen davon aus, dass wir ab Mitte des Jahres die ersten Rollouts haben werden, da wir mit einzelnen Offerten bereits weit fortgeschritten sind.
Interview: René Schellbach, EuroCIS.com
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