Der chinesische Einzelhandels-Markt entwickelt sich derzeit rasant. In Zukunft wird er voraussichtlich sogar zu einem der wichtigsten Einzelhandelsmärkte überhaupt aufsteigen. Ein triftiger Grund für den Einzelhandel, diese Handelskultur besser kennenzulernen. Shopdesigner und Händler sollten deshalb sichergehen, dass sie die Wünsche der Zielgruppe verstehen.
Gerade im Bereich Shopdesign tut sich in China einiges. Das wurde unter anderem auf der C-star deutlich, der Tochterveranstaltung der EuroShop in Düsseldorf, die in diesem Jahr erstmalig in Shanghai stattfand. Internationale Retail-Designer zeigten ihre Konzepte, die dem neuen Bedarf der chinesischen Kunden nach Erlebnis, anspruchsvollem Design und Shop-Technologien Rechnung tragen sollen.
Chinesische Händler: Viel Expansion, wenig Zeit
Einer, der in diesem Land schon an einigen Shop-Projekten mitgewirkt hat, ist Architekt Peter Ippolito. Im Laufe seiner Arbeit - auch in Ländern wie Russland oder der Schweiz - hat der geschäftsführende Gesellschafter der Ippolito Fleitz Group sehr unterschiedliche Herangehensweisen der Kulturen in Sachen Shopdesign kennengelernt. Er beschreibt: "Gerade chinesische Händler gehen ganz anders an Shopplanung heran als beispielsweise europäische. Projekte werden hier viel schneller umgesetzt, weil die Unternehmen oftmals unter enormem Expansionsdruck stehen."
Was in Deutschland mit zehn Läden ein mittelständisches Unternehmen sei, habe dort 100 bis 300 Läden. "Die Dimensionen und vor allem die Zeitfenster sind einfach ganz andere. Kreative Ideen werden viel schneller umgesetzt als anderswo. Das ist für uns als Designer natürlich eine besonders spannende Herausforderung und wir können uns austoben. Allerdings kommen Testphasen, wie sie in Deutschland typisch sind, meist nicht in Frage oder sind extrem kurz gehalten", berichtet Ippolito. Da komme es schon einmal vor, dass von der Unterzeichnung des Dienstleistungsauftrages bis hin zur Eröffnung des Shops bloß zweieinhalb Monate verstreichen.
Solche Erfahrungen hat auch das Logistikunternehmen Lehnkering Logistics gemacht. Als Spezialist in Sachen Logistik für den Ladenbau kennt Geschäftsführer Michael Sterk die Herausforderungen für Lieferungen der Shopelemente im viertgrößten Land der Welt: "Gerade in China ist es besonders wichtig, die Waren vor dem Versenden auf Qualität und Anzahl hin zu prüfen. Es ist viel zu teuer, beispielsweise einen Tisch dreitausend Kilometer durch China zu transportieren, um dann zu bemerken, dass es nicht der richtige ist." Deshalb prüft das Unternehmen in Shanghai die Lieferungen, um Kosten und Zeit zu sparen.
Die unterschiedliche Wahrnehmung von Ware und Licht
Die zeitliche Komponente ist die eine Besonderheit. Die andere ist die Kultur der Kunden an sich. Ganz andere Erwartungen, Kauf- und Sehgewohnheiten müssen hier berücksichtig werden. Ein Projekt der IFGroup für einen Juwelier macht das deutlich.
Um das Shopkonzept und -design zu entwickeln, analysierte die IFGroup zunächst die Zielgruppe und die Auffassung von Schmuck als Ware. Peter Ippolito fasst zusammen: "Die Chinesen kaufen Schmuck zum einen nur zu besonderen Anlässen. Zum anderen wird er als Wertanlage gekauft - da zählt mehr das Gewicht als das Aussehen. In unseren Breiten dagegen ist Schmuck ein alltägliches Accessoire."
Bei der Zielgruppe achteten die Architekten sehr auf die kulturellen Besonderheiten: Anvisiert wurde "die 25-jährige Chinesin" von heute. "Sie trägt aufgrund der Ein-Kind-Politik viel Verantwortung, denn ihre Eltern haben viel für sie aufgegeben, um ihr eine Ausbildung zu ermöglichen. Der Stress der Stadt, der Smog und der Druck im Beruf bewirken, dass sie hin- und wieder das Bedürfnis verspürt, sich etwas zu gönnen", erklärt der Designer und ergänzt, "Das meist verkaufte Produkt der letzten Jahre ist bezeichnender Weise eine Gesichtsmaske."
Mit diesem Hintergrundwissen entstanden die ersten Ideen für das Design und die Anordnung der Einrichtung. In einem sehr kurzfristigen Testaufbau fanden die Beteiligten heraus, wie beispielsweise der Counter stehen muss, so dass der Wert des Schmucks und der Aspekt, dass die Kunden nur sehr selten dort einkaufen, betont werden. Dabei halfen auch Rollenspiele mit den Verkäuferinnen.
Der allgemeine chinesische Trend zu kindlich romantischen Stilelementen, die beispielsweise an Paris erinnern, floss mit in die Gestaltung ein. Der Look des Shops ist geprägt von Scherenschnitten, die saisonal anpassbar sind und dem romantischen Bild entsprechen. Sie sind unter dem Titel "Enchanting Forest" zusammengefasst. "In besonderem Maße spielte das Licht eine Rolle", so Ippolito, "denn entgegen dem europäischen Trend zu warmem Licht wünschen chinesische Kundinnen ein eher kaltes, das ihr Schönheitsideal von blasser, vornehmer Haut hervorhebt."
Experimente zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Peter Ippolito gibt ohne Umwände und mit einem Schmunzeln zu: "Manche der ersten Versuche für neue Shops in China enden für uns extrem schmerzhaft. Auch wenn bestimmte Projekte augenscheinlich viel zu teuer und so im Roll-out für eine ganze Reihe von Shops nicht umsetzbar sind, werden sie trotzdem gebaut." Das liege vor allem an den Designvorstellungen der Unternehmensinhaber. "Sie reisen viel, sehen die Shops der Welt und wollen auch so erscheinen. Da liegen Wunsch und Wirklichkeit und vor allem das Budget und Zeitfenster oft noch sehr weit auseinander."
Die Herausforderung für den Designer liege also vor allem darin, sehr schnell und sehr präzise zu arbeiten. "In China setzt man sehr auf Vertrauensbildung, die dort wichtiger ist als der Prozess selbst", glaubt der Designer, "Sie haben nämlich große Angst, Geld zu verlieren."
Exkurs nach Russland
Während im chinesischen Markt stets die Zeit drängt und unzählige Läden in kurzer Zeit entstehen, bleibt in Russland beispielsweise auch schon einmal ein Projekt für drei Jahre liegen - einfach so. "Dafür wird für manche Shops extrem viel Geld in die Hand genommen. Sogar Haushaltsgeräte bekommen hier ihren eigenen Flagshipstore", erzählt der weitgereiste Architekt. "Die Luxusmarke Bork eines Elektrogeräteherstellers beispielsweise ließ uns ihre Küchengeräte wie kleine Stars präsentieren, in eigens dafür designten kubischen Einbuchtungen in den Wänden, mit einzelner Beleuchtung von oben und den Seiten."
Der Shop ist mit Materialien wie Naturstein und Holz ausgestattet. Verbunden wird das Design mit Erlebnissen: Kochveranstaltungen und Gelegenheit zum Selbermachen und Ausprobieren werden angeboten - Teetrinken inklusive.
Ippolito betont: "Ein solcher Shop würde in Deutschland nicht funktionieren. Dafür gibt es hier keine Zielgruppe. In Russland dagegen schon - eine wachsende Mittelklasse und eine nicht mehr ganz so exzentrische Oberschicht haben den Trend 'sich eine Küche einrichten und selber kochen' entdeckt und geben für diese Geräte Hunderte von Euro aus. Besonders Männer spricht dieses Konzept an." Der Store ist sehr erfolgreich.
Ob nun China, Russland oder Deutschland: Für alle Länder gilt es aus Sicht des Händlers, die Zielgruppe zu verstehen und die kulturellen Gewohnheiten mit einzubeziehen, um die Präsentation der Ware und auch die Art des Services richtig einsetzen zu können. Mit europäischen Gepflogenheiten nach Asien zu gehen, um dort einen Shop zu inszenieren, würde nicht gelingen.