Sie sprüht vor Einfallsreichtum: Karin Wahl, Visuelle Gestalterin für Schaufenster und Verkaufsfläche. Für jede Ware scheint sie eine Geschichte zu finden, um sie zu inszenieren und Passanten anzulocken. Im Interview geht es deshalb recht anschaulich zu …
Frau Wahl, Sie leiten Workshops zum Thema Warenpräsentation und bilden Visual Merchandiser aus. Was ist Ihrer Meinung das Wichtigste, das ein Schaufenster leisten muss?
Karin Wahl: Ein Schaufenster soll Passanten zum Stehenbleiben anregen. Man sagt, wenn jemand länger als neun Sekunden stehen bleibt, wird er zu 80 Prozent auch das Geschäft betreten.
Wie schafft ein Fenster das?
Wahl: Indem es Neugier weckt. „Storytelling“ bedeutet, mit der Ware eine Geschichte zu erzählen, mit der Ware zu spielen und zu überlegen, was zu ihr passt. Ein gutes Beispiel ist das Schaufenster von „We Built This City“ aus London. Ich bekomme sofort Lust, das Haus zu verlassen und dorthin zu gehen. Man sieht die Tauben und Backsteine und denkt sich: „Nanu? Worum geht es hier eigentlich?“. Außerdem werfe ich schon einen Blick in den Laden und denke: „Das ist aber originell, da möchte ich reingehen“. Besonders reizvoll finde ich hier das Schlichte und gleichzeitig Interessante.
Wie schätzen Sie die Kosten für die Neugestaltung eines Schaufensters ein?
Wahl: Schaufenstergestaltung muss nicht viel kosten. Das hängt vom Umfang und den Materialien ab. Brauche ich nur Kleinigkeiten oder muss ich zum Großhandel fahren, um bestimmte Dekoartikel zu besorgen? Vor allem die Idee zählt. Mit 200 bis 300 Euro für Material und 300 bis 400 Euro für einen Dekorateur sollte man rechnen. Wenn Händler das Schaufenster selbst gestalten, muss vielmehr der Zeitaufwand einkalkuliert werden. Wie im „We Built This City“-Beispiel müssen die Steine besorgt und gestapelt werden. Das braucht sicherlich einen Arbeitstag. Abzuwägen ist hier, ob man die Arbeit selbst übernimmt oder einen Profi engagiert.
Können Sie ermessen, welchen Mehrwert ein gut gestaltetes Fenster hat?
Wahl: Es ist nicht in Zahlen belegbar, was dem Händler die Präsentation an Umsatz einbringt. Allerdings ist klar, dass sich ein vernachlässigtes Fenster negativ auswirkt. Das Fenster ist 24-Stunden-Werbung – und billiger als jede Anzeige!
Was macht Händlern Probleme bei der Vorstellung, wie sie ihre Ware präsentieren können?
Wahl: Meiner Erfahrung nach ist das abhängig von der Branche. Buchhändler beispielsweise tun sich häufig schwer. Ich schätze, sie glauben gar nicht, dass jemand eine Inspiration brauchen könnte. Dabei können auch Passanten, die ursprünglich gar nicht in den Shop kommen wollen, zum Kauf animiert werden. Dabei hätten gerade Buchläden es so einfach, Themen zu finden. Mit jedem Buch haben sie ja schon eine Story vorliegen.
Das klingt nach den ersten Ideen …
Wahl: Stellen Sie sich einmal vor: Sie möchten ein Buch zum Thema Grillen bewerben. Dazu stellen Sie einen Grill ins Fenster mit Holzkohle und Zündhölzern, das Buch daneben und ein Schild mit der Aufschrift „Bei uns: Brennend heiße Ware“. So einfach. Das könnte einen Passanten spontan auf die Idee bringen, das Buch als Mitbringsel zur Grillparty mitzubringen.
Haben Sie einige Anekdoten für uns von gelungenen Warenpräsentationen?
Sehr amüsant fand ich einen Händler, der im August einen Nikolaus ins Fenster gestellt hat, und darunterschrieb: „Erster!“. Genau so funktioniert ein Blickfänger. So komme ich in Kontakt mit meinem Kunden. Oder ein Beispiel aus einem EDEKA abends um viertel vor Acht. Nur eine Schale Erdbeeren war im Eingangsbereich in der Frischetheke übrig. Ein Mitarbeiter hatte sich Gedanken gemacht und ein Herz aus Sprühsahneflaschen darum gestellt. Ist das nicht liebevoll? Und das sagt viel aus: Der liebevolle Umgang mit der Ware lässt auch auf den Umgang mit den Kunden schließen. Wenn ich das sehe, entscheide ich mich in Zukunft immer für diesen Laden.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach das Licht in der Schaufenstergestaltung?
Wahl: Licht ist ein Kernelement in der Schaufenstergestaltung. Es gibt einen natürlichen Feind – gerade im Sommer: die Sonne. Dann ist zu wenig Licht im Fenster. Dann muss noch viel mehr Lichtstärke ins Fenster gebracht werden. Pro laufendem Meter halte ich einen breiten Flutstrahler, der das Grundlicht herstellt und dann zwei bis drei Spots, die die Highlights hervorheben, für sinnvoll. Es sollte vor allem eine Strahlerschiene an der Decke geben, um die Strahler auch einmal verschieben zu können.
Bitte nicht in den Baumarkt gehen und für zehn Euro eine Lampe holen! Da sollte man schon etwas investieren. Dann lieber einen Lichttechniker anfragen und sich verschiedene Möglichkeiten zeigen lassen.
Was sagen Sie zu LED-Lampen?
Wahl: In diesem Bereich passiert gerade viel. Inzwischen gibt es verschiedene Lichtfarben, die auf unterschiedlichen Produkten auch sehr unterschiedlich wirken. Es macht Sinn, ein Lichtseminar zu besuchen, um diese Unterschiede und Möglichkeiten kennen zu lernen.
Wie kann ich noch mehr Aufmerksamkeit auf die Waren lenken?
Die Fernwirkung von Dingen, die von der Decke hängen, ist viel größer. Wenn alles auf dem Boden liegt, kriege ich einen Hexenschuss beim Ansehen. Das sieht man bei „We Built This City“ und auch im Beispiel mit den Maiglöckchen. Allerdings setzen sich Architekten vor der Installierung der Decken häufig nicht mit uns in Verbindung. Sie machen dann ganz wunderschöne glattgezogene Decken, wo man nicht einmal etwas aufhängen kann. Hier kann man ein paar Gardinenschienen anbringen, um auch Schilder daran aufhängen zu können.
Wie viel vom Laden sollte man durch das Fenster hindurch sehen können?
Wahl: Hierbei gibt es drei Möglichkeiten: In Kaufhäusern findet man häufig die geschlossene Variante – vom Shop dahinter ist durch die Rückwand nichts zu sehen. Für Gestalter bietet das natürlich tolle Möglichkeiten. Dann gibt es die offenen Schaufenster mit Durchblick in den Store. Hier wird dem Kunden klar, wie groß der Laden ist, was es dort gibt, wie viele Leute darin sind und wie die Atmosphäre ist. Dem Kunden wird hier jede Hemmschwelle genommen. Der Nachteil ist: Was Sie im Schaufenster präsentieren, geht schnell unter, weil so viel vom hinteren Bereich zu sehen ist. Meine Empfehlung ist dann, eine Art Teilrückwand zu schaffen. Beispielsweise mit einem Streifen Stoff hinter den Hauptprodukten, um den Fokus hierauf zu lenken.
Und zu guter Letzt: Woher weiß ich, dass mein Fenster gut wirkt?
Wahl: Indem ich mir die Zeit nehme, mich auf die gegenüberliegende Seite zu stellen und die vorbeiziehenden Menschen beobachte. Woher kommt die Laufkundschaft? Wo bleibt sie stehen? Bleibt sie überhaupt stehen? Danach kann ich auch die Ware ausrichten. Ich kann von Weitem auf den Laden zugehen und ihn auf mich wirken lassen. Oder jemand Außenstehenden fragen, der bewusst beobachtet und sich aufschreibt, wie es auf ihn wirkt. Und diese Aussage kann man positiv für sich nutzen. Ein neutrales Auge ist viel wert.