Bericht • 01.11.2011

Leuchttürme und kleine Schritte zu mehr Nachhaltigkeit im Handel

Green-IT, Grüne Supermärkte, Grüne Produkte – grün ist „in“ auf der EuroShop. Der Handel hat den Trend zum nachhaltigen Wirtschaften erkannt. Wer die natürlichen Ressourcen schont, kann etwas fürs eigene Image tun. Doch Vieles wird erst gemacht, wenn es sich auch rechnet. Teilweise muss der Handel erst einmal kräftig investieren. Was ist Show, was ist wirklich nachhaltig?


Grüne Supermärkte sorgen seit einiger Zeit für Schlagzeilen. Anfang des Jahres besuchte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle den „Klimamarkt“ von Tengelmann, gegenüber der Tengelmann-Zentrale in Mülheim an der Ruhr. Der FDP-Politiker sagte: „Wir brauchen solche Pilotprojekte, um Erfahrungen zu sammeln, wie Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit in Einklang gebracht werden können.“ Der „Klimamarkt“, bereits im Dezember 2008 eröffnet, gilt für Tengelmann als „Deutschlands erster CO2-freier Supermarkt“.

Das Projekt hält einer harten Wirtschaftlichkeitsberechnung freilich nicht stand. „Abreißen und neu bauen wäre billiger gewesen“, räumt Tengelmann-Sprecherin Jutta Meister auf Anfrage ein. „Wir wollten aber zeigen, dass so ein Projekt machbar ist.“ „So ein Projekt“ – damit meint sie nicht nur, dass der Handel in Ökologie investiert, sondern den Umbau einer Bestandsimmobilie. „Die meisten Filialen im LEH gibt es schließlich schon“, sagt sie und grenzt sich damit auch ab von grünen Supermärkten, die ganz neu gebaut wurden (www.tengelmann-klimamarkt.de).

EuroShop.de berichtete bereits über das im November 2009 eröffnete „Green Building“, einen Vorzeige-Supermarkt von Rewe in Berlin-Rudow, der etwa 40 Prozent weniger Energie verbraucht als ein gewöhnlicher Rewe-Markt „von der Stange“. Dieser etwa tausend Quadratmeter große Pilot-Markt ist CO2-neutral. Das bedeutet: Heizungs-, Lüftungs-, Beleuchtungs-, Klima- und Kälteanlagen belasten die Umwelt nicht mit Kohlendioxid-Emissionen. 456 Kubikmeter des nachwachsenden Rohstoffes Holz wurden verbaut – Holz, das während seines Wachstums CO2 gebunden hat. Tageslicht-Architektur und Intelligente Lichtsteuerung, abhängig vom Tageslicht, reduziert den Stromverbrauch, der zu knapp einem Drittel durch Photovoltaik vom eigenen Dach gedeckt wird. Rewe bekam dafür bereits einige Preise, darunter vom HDE als „Store of the Year“.

Vorgestellt haben wir auch den Spar-Markt im österreichischen Murau – ebenfalls ein Neubau, eröffnet am 29. September 2010, Nutzfläche 1.035 Quadratmeter. Insgesamt will Spar in Murau jährlich etwa 80 Tonnen CO2 einsparen. Dies entspricht dem Verbrauch von 26 Haushalten. Dazu muss das Gebäude geplant werden wie ein Passivhaus.

Ökonomischer Aspekt der Nachhaltigkeit

Solchen Leuchtturmprojekten steht Tobias Walter von tegut kritisch gegenüber. Der Chef aller Filial-Bauprojekte der anthroposophisch orientierten Gutberlet-Stiftung begrüßt sie zwar, weil sie ein Umdenken im Handel signalisieren, zweifelt aber an ihrem praktischen Nutzen, weil sie sich kaum amortisieren werden. Nachhaltiges Wirtschaften ist für tegut fester Bestandteil der Geschäftspolitik – lange bevor der Begriff zur Mode wurde (http://www.tegut.com/qualitaet/nachhaltigkeit.php). „Wir haben damit lange kein Geld verdient“, sagt Sprecherin Andrea Rehnert. Inzwischen würden die Verbraucher aber umdenken. tegut verzeichnete beim Bio-Sortiment 2010 ein zweistelliges Umsatzplus und wächst damit in diesem Bereich stärker als der klassische Lebensmitteleinzelhandel. „Wir werden uns weiter mit Partnern für mehr lokale und ökologisch sinnvoll erzeugte Lebensmittel einsetzen – und zugleich unsere Märkte immer nachhaltiger gestalten“, betont Tobias Walter. „Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass es auch bei Supermärkten möglich ist, die vier Aspekte der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen und neben Ökologie, Ökonomie und dem Sozialen auch den Kulturanspruch eines ansprechenden Bauwerks zu erfüllen."

Mit seinem Kulturanspruch will tegut Kunden und Mitarbeitern „einen angenehmen, menschengemäßen Aufenthalt im Markt“ ermöglichen – durch Einsatz natürlicher Baustoffe wie Holz und Glas oder durch die „Entwicklung der Architektur aus dem Grundstück und der Umgebung heraus“, so Walter. Als gelungenes Beispiel dafür nennt er die tegut-Filiale in der Maberzeller Straße in Fulda: Auf einem dreieckigen Grundstück wurde der vorhandene Raum optimal genutzt. In Limburg zeichnete Walter verantwortlich für den Umbau eines denkmalgeschützten Bahnwerks – „eine tolle architektonische Symbiose aus alter Industriehalle und modernem Lebensmittelmarkt“, sagt er stolz.

„Besonderes Augenmerk liegt dabei stets auf dem ökonomischen Aspekt der Nachhaltigkeit“, sagt Walter. „Wir bauen schöne Märkte für unsere Kunden, die durch unser gesammeltes Know-how in der Regel nicht teurer sind als die sonst weitgehend üblichen 'Schuhkarton-Bauten'“. Im aktuellen EuroShop-Interview meint auch Kai Falk, Geschäftsführer Kommunikation und Nachhaltigkeit beim Einzelhandelsverband HDE: Investitionen in die Nachhaltigkeit haben im Handel auf breiter Front nur dann eine Chance, wenn sie sich auch wirtschaftlich rechnen.

Energiesparen rechnet sich besonders rasch

Die Energiepreise im Einzelhandel entwickeln sich zum kritischen Kostenfaktor für den Handel. Nach nur kurzer Erholungsphase aufgrund der Wirtschaftskrise ziehen sie noch kräftiger an als von vielen Händlern erwartet, ergab eine Umfrage des EHI Retail Institute in Köln zum Energiemanagement im Einzelhandel. Gingen die Händler 2009 noch von einer Steigerung um rund 8 Prozent aus, gaben 63 Prozent der aktuell befragten Handelsunternehmen an, dass die Energiekosten in ihrem Unternehmen 2010 um bis zu 10 Prozent gestiegen sind: Viele fürchten weitere Steigerungen ähnlichen Ausmaßes. Dabei hängt die Höhe der Energiekosten ab von der Branche. Im Food-Handel fallen laut EHI über 55 Euro pro Quadratmeter Verkaufsfläche für Energie an, wobei die Kühlung mit 44 Prozent der größte Stromverbraucher ist. Im Nonfood-Handel müssen im Schnitt 31 Euro pro Quadratmeter aufgebracht werden. Den größten Anteil mit 65 Prozent verursachen hier die Kosten für Beleuchtung.

Das EHI sieht beim Handel eine große Investitionsbereitschaft. 80 Prozent der befragten Händler seien bereit, in energiesparende Kühlsysteme und Anlagen zu investieren. Diese hohe Bereitschaft erklärt sich mit Einsparungserwartungen von bis zu 20 Prozent. Neben Investitionen in neue Kälteanlagen wird auch die Wahl des Kältemittels immer wichtiger, zumal die alten R22-Anlagen umgestellt werden müssen. Kühlen mit CO2 ist eines der großen Messethemen auf der EuroShop 2011.

Am deutlichsten verändert hat sich laut EHI die Investitionsbereitschaft im Bereich Gebäudetechnik und Bau. Waren hier 2008 nur knapp 28 Prozent der befragten Händler bereit zu investieren, sind es 2010 mit knapp 53 Prozent beinahe doppelt so viele. Ein energetisch optimiertes Gebäude, innovative Versorgungstechnik oder der Einsatz regenerativer Energien sorgen für eine hohe Energie-Effizienz. Im Nonfood-Handel werden hier auch längere Amortisationszeiten von bis zu fünf Jahren und mehr akzeptiert.

An der Studie „Energiemanagement im Einzelhandel 2010“ haben Handelsunternehmen mit einem Gesamtumsatz von 165 Mrd. Euro teilgenommen. Sie repräsentieren einen Anteil von rund 35 Prozent des D-A-CH-Einzelhandelsumsatzes. Dem Nonfood-Handel sind dabei 63 Prozent der Befragten, dem Food-Handel 37 Prozent zuzurechnen.

Viele kleine Schritte in der Praxis

Tengelmann hat keine weitere Filiale wie den „Klimamarkt“ gebaut. Bei gemieteten Neubauten komme es auf die Investoren an, bei Bestandsimmobilien seien die Umgestaltungsmöglichkeiten allzu oft begrenzt, sagt Sprecherin Jutta Meister. In einem Einkaufszentrum könne man kaum Photovoltaik aufs Dach setzen oder das Grundwasser zum Wärmeaustausch nutzen. Besonders wirksam ist für Tengelmann der Austausch der Kühlmöbel, insbesondere der Einsatz geschlossener Truhen und Schränke.

Rewe sieht sein „Green Building“ ebenfalls nicht als 1:1-Vorlage für weitere Märkte. Je nach Projekt würden einzelne Komponenten übernommen, heisst es. Der Konzern sieht das grüne Bauobjekt aber als Teil einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie. „Wir wollen mit nachhaltigen Produkten den Verbrauchern neue Impulse für einen umwelt- und sozialverträglichen Konsum geben“, sagte Alain Caparros, Vorstandsvorsitzender der Rewe Group am 19. April auf dem ersten Stakeholder-Forum des Konzerns in Berlin. Rewe stellte dort das Nachhaltigkeitssiegel „Pro Planet“ für Eigenmarken vor, das seitdem – auch bei den Töchtern toom und Penny – ausgebaut wird (www.proplanet-label.com).

Auch viele anderen Handelsunternehmen arbeiten an neuen Projekten und Initiativen. Kaum einer glaubt, es sich leisten zu können, nicht bei den grünen Themen dabei zu sein. Die kritische Öffentlichkeit wird aufmerksam beobachten, was Effekthascherei ist und was ein wahres Anliegen. Aber letztlich sind es die Verbraucher selbst, die umdenken müssen. Denn sie entscheiden, wo sie kaufen. Sie entscheiden, auf was sie verzichten wollen.

René Schellbach, EuroShop.de
 

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