Browsen ohne Hürden

Die Mehrzahl der Webseiten weist große Mängel auf. Oft verursacht unsaubere Programmierung zu lange Ladezeiten. Erst allmählich erkennen Unternehmen die Vorteile des barrierefreien Internets. Fraunhofer-Forscher entwickeln Tools, mit denen sich die Einhaltung von Webstandards überprüfen lässt.

Barrierefreiheit ist für Unternehmen in Deutschland bislang kein drängendes Thema – das bestätigte auch eine Testreihe, die das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnologie FIT in Sankt Augustin im Jahr 2011 durchgeführt hat. Die Wissenschaftler des Web Compliance Centers prüften mit ihren Analyse-Tools die Internetangebote deutscher Dax-Unternehmen auf ihre "Web Compliance" – die Einhaltung internationaler Webstandards. Das Ergebnis: Neunzig Prozent der Webseiten wiesen erhebliche Mängel auf. Beispielsweise waren wichtige Informationen nur mühsam zu finden, die Webseiten hatten zu lange Ladezeiten oder wurden auf mobilen Geräten fehlerhaft dargestellt. "Web Compliance bedeutet nicht nur, Webseiten für die Nutzung durch behinderte und ältere Menschen zu optimieren", sagt Dr. Carlos Velasco vom Web Compliance Center des FIT. "Auch Suchmaschinen wie Google haben mit fehlerhaften Seiten erhebliche Schwierigkeiten. Eine Folge davon kann sein, dass die Angebote nicht gefunden werden oder kein gutes Ranking bei Suchanfragen erzielen. Daher sollte das Thema eigentlich eine hohe Priorität genießen."

Wirtschaftliche Vorteile durch Barrierefreiheit

Inzwischen erkennen immer mehr Firmen, dass Barrierefreiheit große wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. Hewlett Packard Italia, Public-I Group und Polymedia etwa beteiligen sich an dem EU-Forschungsprojekt "Inclusive Future-Internet Web Services (I2Web)". Das Projekt wird vom FIT koordiniert und ist mit einem Budget von 2,7 Millionen Euro auf zwei Jahre angelegt. Zu den Partnern gehören die Universitäten York (Großbritannien) und Ljubljana (Slowenien) sowie die Selbsthilfeorganisation für blinde Menschen National Council for the Blind of Ireland und die Foundation For Assistive Technology (FAST). Die beteiligten Unternehmen bieten Internet-Fernsehen, Video on Demand, Online-Banking sowie Content-Management-Systeme an – diese Angebote sollen künftig barrierefrei sein.

Soziale Netzwerke auf illegale Aktivitäten prüfen

Damit Seitenbetreiber ihre Angebote effizient überprüfen können, haben die FIT-Informatiker bereits 2004 die »imergo Web Compliance Suite« entwickelt. Sie umfasst eine Reihe von Tools, die sich in Content-Mangement-Systeme integrieren lassen. Sie überprüfen Websites auf die Einhaltung bestimmter Regeln hin und zwar nicht nur bezüglich Barrierefreiheit: So könnte man ein soziales Netzwerk wie Facebook auf bestimmte Wortgruppen hin überprüfen, die auf illegale Aktivitäten hinweisen. Ein Unternehmen könnte auch verifizieren, ob auf allen Unterseiten das Corporate Design eingehalten wird. »Oft pflegen mehrere Content Manager große Webangebote«, sagt Velasco. »Die Suite testet, ob sich auf jeder Seite etwa das Logo an der richtigen Stelle befindet.«

Das 2010 gestartete EU-Projekt »I2Web« ist eine Art Weiterentwicklung der "imergo Web Compliance Suite". Der Prototyp enthält zum Beispiel eine Entwicklungsumgebung für einen Expert-Viewer. Nicht alle Richtlinien für Barrierefreiheit lassen sich von einer Software automatisch checken. So sollten Fotos auf einer Webseite einen sinnvollen Alternativtext haben. Ein Prüftool erkennt zwar, ob ein Text existiert, aber nicht, ob er auch "sinnvoll" beschreibt, was auf dem Bild zu sehen ist. Der Expert-Viewer bietet deshalb eine Liste aller relevanten Bildtexte an, die von Redakteuren auf inhaltliche Korrektheit hin überprüft werden können. Ein wichtiger Teil des EU-Projekts ist die Konformität mit Schnittstellen, etwa wenn Kunden Video on Demand oder Internet-TV auf ihrem Fernseher nutzen möchten. "I2Web" stellt sicher, dass die Angebote auf möglichst allen Geräten reibungslos funktionieren und barrierefrei zu bedienen sind.

Dank der rasanten Entwicklungen des Internets geht den FIT-Forschern die Arbeit so schnell nicht aus – sie müssen ihre Tools immer wieder an neue Browser, aktuelle Mobilgeräte oder zusätzliche Schnittstellen anpassen. Doch die Arbeit lohnt sich: Open Text, einer der führenden Anbieter von Content-Management-Systemen, vertreibt erfolgreich die "imergo-Tools" als Zusatzoption zu seinen Produkten.
 

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