Menschen fällen Kaufentscheidungen oft aus dem Bauch heraus – beeinflusst von Sympathie für eine Marke, von einem ansprechenden Design oder dem guten Gefühl, sich mal etwas zu gönnen. Doch was passiert, wenn künftig autonome KI-Agenten für Kund*innen einkaufen? Was für viele nach einer abgefahrenen Zukunftsvision klingt, wird tatsächlich gerade Realität. Wir betrachten, was das für euch als Händler*innen bedeuten könnte und wie ihr euer Business auf dieses Szenario vorbereiten könnt.

Vom emotionalen Shopping zur KI-gesteuerten Transaktion
Agentische KI unterscheidet sich von klassischer, generativer KI: Sie beantwortet nicht nur Fragen, kreiert Inhalte oder macht Vorschläge, sondern handelt eigenständig – und das auch in der realen Welt. Konsumentinnen und Konsumenten können KI-Shopping-Agenten lediglich ein Ziel vorgeben („Ich brauche einen Bildschirm, der fürs Gaming geeignet ist, aber mein Budget nicht übersteigt“) und die KI recherchiert, bewertet, kauft und bezahlt autonom.
Die ersten Pilotprojekte mit agentischer KI laufen: Amazons „Buy for Me“ kauft bei Drittanbietern ein, Walmarts „Sparky“ wächst zum autonomen Einkaufsassistenten heran und Perplexity integriert mit PayPal die Transaktion direkt in die Suche.
Wann und wofür werden Verbraucher*innen KI-Shopping-Agenten einsetzen?
Kundschaft ist neugierig, aber vorsichtig. Laut einer Untersuchung durch Bain & Company haben viele bereits KI genutzt – autonome Käufe sind jedoch noch selten. Die Befragten gaben an, dass ihnen Zahlungssicherheit und Datenschutz wichtig sind und dass sie Sorge vor der „falschen“ Auswahl von Artikeln durch die KI haben. Gleichzeitig können klare Vorteile wie Bequemlichkeit sowie Zeit- und Kostenersparnis überzeugen.
KI-gestütztes Shopping ist zunächst bei Produkten denkbar, die kein großes Risiko eines Fehlkaufs bieten – das Nachfüllen von Routineprodukten wie Reis, Milch oder Spülmittel. Wo Stil, Erlebnis oder hohe Kosten involviert sind – bei Mode, Reisen, Veranstaltungen oder Luxusprodukten – wird wahrscheinlich erstmal der Mensch den Geldbeutel in der Hand behalten.
Agentengestützer Handel: ein Gamechanger für Retailer?
Menschen sind durch Marketing und Werbung in ihren Kaufentscheidungen beeinflussbar. Aber wie ist das mit KI-Agenten?
Eine aktuelle Studie der Universitäten Columbia und Yale unter Beteiligung von MyCustomAI hat untersucht, wie verschiedene KI-Modelle Kaufentscheidungen in simulierten Online-Marktplätzen treffen. Das Ergebnis: Agenten orientieren sich stark an klassischen Faktoren wie Preis, Bewertungen und der Platzierung auf der Seite. Interessant: Die Modelle (u. a. GPT, Claude, Gemini) unterschieden sich deutlich darin, welche Kriterien sie am stärksten gewichteten. Außerdem konnte bewiesen werden, dass die Kaufentscheidungen auch durch die Aufbereitung der Inhalte durch Händler beeinflusst werden konnten.
Das Fazit der Forschenden: Es gibt keine universelle Logik, nach der agentische KI Produkte auswählt. Für Händlerinnen und Händler heißt das zwar, dass Optimierungen wirken können. Das Problem dabei wird aber sein: Es ist nicht transparent, welches KI-Modell nach welchen Faktoren entscheidet und wie man Inhalte am besten daraufhin optimiert. Plus: Die KI-Anbieter könnten die „Spielregeln“ jederzeit ändern.
Chancen und Risiken für Händler*innen und Marken
Was bedeutet es für Retailer, wenn eine neue Form des Handels Einzug hält, bei der – zumindest teilweise – KI-Agenten die Entscheidungen treffen, nicht die Menschen dahinter? Wie meistens birgt diese Entwicklung für euch Chancen und Risiken.
Risiken
- Härterer Preiswettbewerb, wenn Agenten konsequent auf den besten Deal optimieren.
- Bröckelnde Markenbindung, weil die autonom agierende KI dazwischengeschaltet ist.
- Abhängigkeit von KI-Plattformen mit neuen, intransparenten „Ranking-Hebeln“.
- Weniger direkte Kundendaten bei Händlerinnen und Händlern.
Chancen
- Qualitativ hochwertiger Traffic mit klarer Kaufabsicht statt ziellosem Browsen.
- Höhere Konversionsraten durch hyperpersonalisierte, KI-gestützte Kaufvorgänge und gut recherchierte Produktauswahl.
- Effizientere, datengetriebene Prozesse über die gesamte Wertschöpfungskette.
- Bessere Sichtbarkeit für Nischenanbieter durch KI-Optimierung der Inhalte.
Neue Strategien für Handel und Marken für den agentenbasierten Commerce
Die Herausforderung für Händler*innen besteht darin, gleichzeitig die KI-basierten Shoppingassistenten und die Menschen dahinter anzusprechen. Findet eine Balance zwischen der faktenorientierten Sprache der KI mit harten Kaufkriterien und der emotionalen Ansprache von Konsumentinnen und Konsumenten, die auf Vertrauen, Loyalität, Mehrwert und Storytelling setzt.
1. Daten & Technik fit machen
Dazu gehören strukturierte und konsistente Produktdaten und agentenfreundliche APIs, damit die KI auf Produktmerkmale, Preise, Bewertungen oder Verfügbarkeit zugreifen kann. Der Bezahlprozess durch KI-Agenten muss mit Tokens ermöglicht werden.
2. Loyalty & Angebote agententauglich anbieten
Rabatt-, Bundle- und Treuevorteile sollten per API verfügbar gemacht werden, damit Agenten sie für ihre Kund*innen auswählen können.
3. Werte in „Maschinensprache“ übersetzen
Nachhaltigkeitssiegel, Qualitätsmerkmale oder Zertifikate sollten als überprüfbare, strukturierte Signale ausgewiesen werden.
4. Monitoring auf KI-Agenten ausrichten
Durch KI-Suchmaschinen und LLM-Modelle verändern sich die KPIs, mit denen Unternehmen ihren Erfolg im Internet messen: Wie oft wird meine Marke in KI-Antworten zitiert oder wie viele neue Nutzerinnen und Nutzer erhalte ich durch KI-Bots?
5. Emotionale Bindung zur Marke stärken
KI-Agenten mögen Produkte zukünftig nach rationalen Kriterien auswählen, aber die Prompts kommen weiterhin von Menschen. Stärken Sie Ihre Unternehmenspräsenz am Anfang des Customer Funnels. Bieten Sie Erlebnisse und kommunizieren Sie Ihre Werte – sowohl online als auch offline von Instagram bis zu Pop-up Stores. Setzen Sie auf Ihr Markenimage, Ihre Kundenbindung und Community-Building.
Bei all den disruptiven Entwicklungen der letzten Jahre kann man es fast nicht mehr hören, aber es bleibt wohl wahr: Wir müssen Herausforderungen als Chancen begreifen. Ravi Kumar entwickelt als Spezialist für maschinelles Lernen für die amerikanische Discounter-Kette Dollar General dialogorientierten KI-Modelle. Er fasst es so zusammen: „Retailer müssen sich auf das KI-Agenten-Marketing einlassen – das bedeutet, dass sie ihre Strategien anpassen müssen, um ihre Produkte für KI-Agenten, die im Namen der Verbraucherinnen und Verbraucher handeln, attraktiver und zugänglicher zu machen.“ Er rechnet damit, dass der agentenbasierte Handel zu erheblichen Veränderungen bestehender Geschäftsmodelle führen wird. „Nach meinem Verständnis und Wissen können aber auch neue Geschäftsmodelle entstehen. Agentische KI wird neue Kundensegmente erschließen und gleiche Wettbewerbsbedingungen für große und kleine Einzelhändler schaffen.“