Die Boutique Barbara Frères in Düsseldorf ist auf Designer-Kindermode spezialisiert. Um sich im Bereich Omnichannel aufzustellen, bietet das Modehaus nicht nur einen Onlineshop, eine Chatfunktion und kuratierte Outfit-Pakete an, die man online bestellen kann. Sie entwickelte auch ein Beratungsangebot per Live-Video-Chat und wurde so von der Boutique zum Tech-Startup.
Der Kunde fragt für diesen Service über ein Webformular einen Termin an. Ein Verkäufer im Laden zeigt ihm das Sortiment, während der Kunde bequem an seinem Endgerät zu Hause sitzt. Über eine Kamera am „Live Shopping Assistant LiSA“ findet das Gespräch in Echtzeit statt – hierzu trägt der Verkäufer ein Headset. Die ausgewählten Waren können dann abgeholt oder geliefert werden.
Geschäftsführer Phillipe Frères erklärt, wie es zur Beratung per Livestream kam: „Als wir vor einigen Jahren den Schritt Richtung Digitalisierung planten, war es für uns wichtig, ein Modell zu finden, wo wir das, was uns ausmacht, online vermitteln können: die Beratungsqualität und den Kundenservice.“ Nachdem die Suche nach einem geeigneten Anbieter für Live-Video-Beratung ergebnislos verlaufen sei, entwickelten sie eine eigene Lösung. „So sind wir jetzt neben Kindermodehandel auch Tech-Startup.“
Für ihren Live Shopping Assistant LiSA wurde die Barbara Frères Digital GmbH auf dem Deutschen Handelskongress mit dem „Innovationspreis des Deutschen Handels“ ausgezeichnet.
Curated Shopping – Beratung als USP des Fachhandels
Während die persönliche Beratung im stationären Einzelhandel zu den Must-Haves gehört, ist die Beratung per Video-Livestream bisher höchstens testweise eingeführt worden. Im Dienstleistungssektor ist die Videoberatung etwas mehr verbreitet, Banken sind hier die Vorreiter eines solchen Serviceangebots.
Wird im Onlinehandel Beratung angeboten, spricht man vom Curated Shopping. Hierbei gibt der Kunde in einem Onlineformular zunächst seine Vorlieben oder Abneigungen an. Auf dieser Basis werden dann von einem Berater personalisierte Vorschläge aus dem Sortiment gemacht. So ist man als Konsument nicht dem ungefilterten Überangebot des E-Commerce ausgeliefert. Der direkte Dialog mit dem Berater kann per Telefon, E-Mail, Messengerdienst oder Video-Chat stattfinden.
Curated Shopping – wörtlich „betreutes“ Shopping – verbindet so die Vorteile des stationären Einzelhandels mit denen des Onlinehandels: Der Kunde erhält die Beratung des Fachhandels und eine Vorauswahl aus einem großen Online-Sortiment, ohne das Haus verlassen zu müssen.
Auch für Händler hat diese Serviceform positive Effekte. Zum einen lassen sich durch die Angaben der Kunden Informationen über deren Vorlieben und Einkaufsverhalten gewinnen. Zum anderen kann die Kundenbeziehung bei persönlichem Kontakt intensiver ausgebaut werden, gerade wenn man das Gegenüber sieht und sich in Echtzeit austauscht. Und schließlich führt ein kuratiertes Einkaufen zu deutlich weniger Retouren.
Die Kunst ist heutzutage, möglichst alle Kundenwünsche (Erlebnis, Convenience, Fachberatung, Qualität und Preis-Leistung) in einem Omnichannel-Angebot zu vereinen und die oben genannten Vorteile für jeden Verkaufskanal abzugreifen. „Mit Curated Shopping wird die Brücke zwischen dem anonymen Online-Shopping und einer persönlichen Beratung im stationären Geschäft geschlagen. Der Service verleiht Konsumenten ein Gefühl von Exklusivität und bietet Händlern ein hohes Cross- und Upselling-Potenzial“, erklärt Dr. Eva Stüber, Leiterin Research & Consulting des ECC Köln in einer Pressemitteilung zum Konsumverhalten von Smart Natives.
Dieses erhöhte Potenzial für Querverkauf sieht auch Phillipe Frères. Er erklärt: „Die Warenkörbe beim Live-Video-Shopping sind sehr hoch. Sie sind im Schnitt sogar höher als im stationären Geschäft.“ Auch auf die Retourenquote wirke sich das Einkaufen mit dem Live-Shopping-Assistenten vorteilhaft aus.
Neue Serviceangebote einzuführen bedeutet auch immer Arbeit
„Die Kunden haben das neue Beratungsangebot inzwischen sehr gut angenommen“, berichtet Phillipe Frères über die Einführung, wobei zunächst doch aktiv Überzeugungsarbeit geleistet werden musste. „Der Mehrwert des Ganzen erschließt sich einem erst so richtig, wenn man es einmal ausprobiert hat.“ Im Store ist LiSA auf einem menschenhohen, fahrbaren Gestell angebracht und soll so die Neugier der Kunden wecken.
Die Mitarbeiter seien zu Beginn schon skeptisch gewesen, gibt Frères zu. „Das war schon eine große Aufgabe, die Schulungen so zu gestalten, dass sich die Mitarbeiter im Umgang mit LiSA sicher fühlten. Sobald sie im Kontakt mit den Onlinekunden waren, verlief das Verkaufsgespräch wie jedes andere. Und spätestens als dann die ersten Umsätze darüber eingingen, war seitens der Belegschaft die Akzeptanz da.“
Inzwischen vertreibt die Barbara Frères Digital GmbH ihre Videoshopping-Lösung LiSA an andere Einzelhändler. „Wir haben jetzt die ersten Händler an Bord, die das System einsetzen, und die Entwicklung läuft weiter.“ Als direkt betriebsbereites Plug-and-Play-System wird LiSA mit Hard- und Software geliefert und kann auf das Branding und Corporate Design des jeweiligen Kunden abgestimmt werden. „Händler müssen dann nur noch ihre Bank- und Firmendaten einpflegen, um die Zahlungen abwickeln zu können“, so Philipe Frères. Er will Einzelhändlern, die mit ihrer Webpräsenz noch nicht so stark vertreten sind, helfen, ohne größere Veränderungen ihrer bestehenden Strukturen online verkaufen zu können.
Kein Erfolgsgarant
Auch wenn Echtzeit-Kommunikation und Bewegtbild im Kundenservice immer wichtiger werden, muss Live-Video-Shopping kein generelles Erfolgsrezept sein. Das Angebot der Boutique Barbara Frères profitiert möglicherweise davon, dass ihre Kundschaft aus aller Welt kommt – von Köln bis Hongkong.
Außerdem biete sich eine vergleichsweise aufwendige Lösung besonders für beratungsintensive Produkte an. Ein Geschäft für Luxusbekleidung hat hier sicher ein größeres Potenzial als beispielsweise Textil-Discounter. In Bekleidungsgeschäften mit Massenware, engen Gängen, lauter Musik und einem hohen Besucheraufkommen zu Stoßzeiten wäre ein Verkäufer, der mit einem Gerät den Weg für andere Kunden versperrt und sich bemüht, ein konzentriertes Beratungsgespräch zu führen, wohl eher Fehl am Platz. In diesen Fällen könnte eine platzsparende, mobile Lösung mit Tablets oder Smartphones von Vorteil sein. In jedem Fall sollte das Video-Chat-Beratungsangebot auf die Bedingungen im Store und die Ansprüche der Kunden abgestimmt sein.
Und schließlich sollten sich Händler überlegen, ob die Integration einer solchen Lösung den Verkaufsprozess auch für sie selbst optimiert. Idealerweise sind Systeme direkt an das Warenwirtschaftssystem und den Onlineshop angeschlossen, so dass Bestellungen direkt abgeschlossen werden können.