"Wenn Einkaufen zum Hobby wird …"

Kommentar von Marco Atzberger, Geschäftsleitung EHI, zur Entwicklung des Shopping-Center Marktes in Deutschland

Innenansicht der Hamburger Meile.
Innenansicht der Hamburger Meile.
Quelle: EHI Retail Institute

Wann immer das EHI die jährlichen Zahlen zum Wachstum der Shopping Center in Deutschland veröffentlicht, stellen uns Journalisten die naheliegende Frage: „Benötigen wir weitere Flächen im Einzelhandel?“

Diese Frage ist aber tatsächlich ein Anachronismus, sie passt in die westdeutsche Nachkriegszeit oder die sozialistische DDR, aber in unserer heutigen Überflussgesellschaft stellt sich die Frage nach dem „Benötigen“ nicht. Heute ist es eine Frage des „Wollens“ und eine Ausdifferenzierung des Angebotes auf hohem Niveau.

Deutschland ist mit Einzelhandelsflächen – rund 1,5 qm pro Einwohner – ausgesprochen gut ausgestattet. Sollte ein Kunde den Wunsch nach einem Fahrrad, einer Jeans oder einem Erdbeerjoghurt verspüren, wird es ihm nicht an Orten mangeln, wo er diese kaufen kann. Immerhin erfassten wir bis zum Beginn dieses Jahres 453 Center mit einer Gesamtfläche von 14,2 Millionen qm, die das ohnehin dichte Netz von Innenstadtflächen und Fachmarktzentren ergänzen. Das Internet tut ein Übriges. Je nach Analyse betragen die Umsätze im Internet bereits bis zu 45 Mrd. EUR, das sind rund 10 % des Gesamteinzelhandelsumsatzes – und sie wachsen dynamisch.

Vom Versorgungskauf zur Freizeitbeschäftigung

Von einem Mangel an Fläche kann also keineswegs ausgegangen werden, es findet vielmehr eine qualitative Anpassung statt, die einhergeht mit der Veränderung des Konsumverhaltens. Der Versorgungskauf ist eine bloße Notwendigkeit. Shopping ist dagegen eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Wünschen Sie einmal jemanden, der auf den Weg zum Einkaufen beim Discounter ist „Viel Spaß beim Shopping“ und Sie werden direkt merken, wie sehr diese Unterscheidung in der Bevölkerung angekommen ist.

Handelsimmobilien keine Selbstläufer

Die Rolle der Filiale in einem entwickelten Multichannel-Kontext ist es, den Kunden ein Freizeiterlebnis zu bieten, Ware erlebbar zu machen, ein inszeniertes Story-Telling zu betreiben. Ob der Kunde dann im Ladengeschäft kauft oder im Online-Shop bestellt, ist künftig zweitrangig. Um dieses Shopping-Erlebnis zu bieten, benötigt der Handel Flächen, die modern und architektonisch anspruchsvoll ein Raumerlebnis erlauben. Auch ein gastronomisches Angebot gehört dazu. Und so entstehen heute mehrheitlich Center in der Innenstadt, kleiner und integrierter, die den Anforderungen eines Erlebnishandels gerechter werden, als bestehende Flächen.

Zunehmende Revitalisierungen alter Center an begehrten Standorten und wachsende Leerstände in unattraktiven Lagen und inaktiven Kleinstädten sind zwangsläufige Folgen dieser Entwicklungen. Handelsimmobilien haben auch in Zeiten des Internets Zukunft, sind aber keine Selbstläufer mehr.

Die Veränderungsprozesse, die heute stattfinden, können in ihrer Bedeutung der Einführung und den Folgen der Selbstbedienung sowie dem Wegfall der vertikalen Preisbindung als Wegbereiter großer Filialsysteme gleichgestellt werden. In beiden Fällen haben sich Handel und Immobilie gemeinsam weiterentwickelt und einen solchen Schritt beobachten wir auch heute. Mangel an Flächen ist nicht der Treiber, vielmehr der Überfluss.

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