Amazon Fresh dominiert den Lebensmittel-Onlinehandel
Günstige Preise und breites Angebot bei logistisch schwierigen Produkten
15 Monate ist der Deutschlandstart von Amazon Fresh her und viel wurde in den letzten fünf Quartalen über Amazons Bringdienst geschrieben. Seine Wahrnehmung hat sich inzwischen gedreht: Beim Start in Berlin am 4. Mai 2017 galt Amazon Fresh je nach Blickwinkel noch als Hoffnungsträger oder Bedrohung des Lebensmittelhandels.
Inzwischen fragen Medien wie das Technikportal Chip.de offen, ob Amazons Bringservice „nur heiße Luft gewesen“ sei. Der Grund ist simpel: Noch immer kaufen, einer PwC-Studie zufolge, sechs von zehn Deutschen Lebensmittel ausschließlich im Laden um die Ecke. Die Online-Ausgaben für Lebensmittel sind im Vergleich zum Vorjahr zwar um 22,6 Prozent (107 Millionen Euro) auf 580 Millionen Euro im ersten Halbjahr gestiegen.
Internethändler tragen damit aber noch immer weniger als zwei Prozent zum Gesamtumsatz des Lebensmittelhandels bei. Amazon allein die Schuld an der schleppenden Entwicklung zu geben, ist jedoch verfehlt. Mit seinem Bringdienst Amazon Fresh ist Amazon vielmehr zum dominierenden Akteur im Lebensmittel-Onlinehandel avanciert. Dies zeigt eine Studie des Verbraucherforums mydealz.de.
Amazon dominiert den Online-Handel mit Lebensmitteln über den Preis
Amazon verkauft Getränke, Obst, Milchprodukte und Co. zum Start 2017 deutlich günstiger als die Konkurrenz. Um 4,95 Prozent unterbietet Amazon im Mittel die Preise anderer Online-Shops, um 8 beziehungsweise 15 Prozent die Preise der Lieferdienste von Kaufland und Rewe. Dies zeigen Stichproben des Verbraucherforums mydealz und des Vergleichsportals Guenstiger.de.
Amazon wird mitunter nachgesagt, Verbraucher zunächst mit sehr günstigen Konditionen für neue Dienste zu interessieren und die Preise anzuziehen, sobald sich Kunden an den Service gewöhnt haben. Und tatsächlich zeichnet sich bei Amazon Fresh ähnliches ab.
Tatsächlich dominiert Amazon den Onlinehandel mit Lebensmitteln noch immer klar – über den Preis und die Breite des Angebots. Dies zeigt eine aktuelle Studie des Verbraucherforums mydealz.de, das im Juli die Preise von 700 Amazon Fresh-Produkten aus 35 Warengruppen mit denen anderer Online-Shops und Marktplätze verglichen hat: 37,6 Prozent der Produkte (263/700) bot Amazon zum günstigsten Preis an. Im Mittel betrug der Preisvorteil 19,52 Prozent oder 1,15 Euro. Jedes dritte Produkt (33,14 Prozent, 232/700) war bei Amazon genauso teuer wie bei anderen Internethändlern und nur 29,29 Prozent aller Produkte (205/700) waren bei Amazon Fresh teurer als bei anderen Online-Shops oder Marktplätzen. Im Mittel betrug der Aufpreis 15,83 Prozent oder 1,39 Euro.
Der Online-Händler mit den meisten Bestpreisen nach Amazon (232) war Bjuice, eine Berliner Saftmanufaktur, der seine Produkte mit 30 bis 50 Cent Aufschlag auch über Amazon Fresh anbietet, gefolgt von Mytime (16), World of Sweets (14), Lieferello (12), Navoco und – kurioser Weise – Amazon Marketplace-Händlern (beide: 10).
Die Logistik ist Amazons größter Trumpf im Kampf um Marktanteile
Der direkte Vergleich zeigt, dass kein anderer Online-Shop eine vergleichbar große Bandbreite an Lebensmitteln zu so günstigen Preisen anbieten kann wie Amazon. Ein wesentlicher Erfolgsgarant für Amazon Fresh ist dabei die Logistik.
Amazon Fresh liefert vor allem Getränke und (tief)gekühlte Lebensmittel zu Bestpreisen, die andere Händler vor logistische Probleme und entsprechende Mehrkosten stellen. Die Kühlkette entpuppt sich als Achillesferse anderer Lebensmittelservices. In der Konsequenz schnitt Amazon bei der Stichprobe bei 22 der 35 analysierten Produkte als Akteur mit den günstigsten Preisen ab.
Die Zukunft des Lebensmittel-Onlinehandels entscheidet sich in der Provinz
Ob sich die Preistrends auf Dauer bestätigen, bleibt abzuwarten. Dass Amazon die Zukunft des Lebensmittel-Onlinehandels entscheidend mitbestimmen wird, dürfte indes unstrittig sein. Ob sich der US-Konzern mit dem Fokus auf die drei Großstädte Berlin, Hamburg und München auf Dauer einen Gefallen tut, ist zwar fraglich: Zuletzt rechnete etwa die GfK vor, dass Großstädter sechs Händler innerhalb von fünf Minuten erreichen würden und die Online-Bestellung von Lebensmitteln für sie damit tatsächlich umständlicher sei als der schnelle stationäre Einkauf in der Nachbarschaft. Durch die Breite seines Angebots und seine Preise hebt sich Amazon Fresh allerdings deutlich von anderen Akteuren ab und erfüllt gleich mehrere Bedürfnisse von Konsumenten, die online Lebensmittel kaufen.
Erst im März fragte der Bundesverband digitale Wirtschaft 1.000 Verbraucher, worin sie die Vorteile des Lebensmittelkaufs im Netz sehen. 60 Prozent nannten die Verfügbarkeit („Ich kann jederzeit bestellen“), 55 Prozent den Komfort („Ich muss weniger tragen“) und 50 Prozent die Zeitersparnis („Ich spare Zeit“) als klare Vorteile für den Online-Kauf von Lebensmitteln. Und nicht zuletzt achten Verbraucher auch auf den Preis. Gut jeder Dritte (37 Prozent) nannte bei der BVDW-Studie den höheren Preis („Es ist teurer als im Geschäft/Supermarkt“) als Nachteil des Lebensmittelkaufs im Netz.
Diese Erwartungen erfüllt Amazon Fresh schon heute in Berlin, Hamburg und München. Um dem Lebensmittel-Onlinehandel wirklich zum Durchbruch zu verhelfen, müssten Amazon Fresh & Co. allerdings in mehr Städten und vor allem auch in strukturschwachen Gegenden verfügbar sein, denn in Landstrichen wie der Eifel, dem Harz oder Teutoburger Wald ist der Bedarf nach Lebensmittellieferdiensten am größten. Andere haben dies bereits erkannt und arbeiten an Lösungen.
In den USA ist Amazon Fresh bereits 2007 mit ersten Tests gestartet, hat sich Ende letzten Jahres aber aus neun Regionen in Connecticut, Delaware, Maryland, New Jersey, New York, Massachusetts, Pennsylvania, Virginia und Kalifornien zurückgezogen. Intern gab Amazon Fresh der US-Post die Schuld für den Rückzug. Sie hätte es nicht geschafft, die in Papiertüten verpackten Lebensmittel rechtzeitig zuzustellen. Die Zukunft wird zeigen, ob der US-Konzern in Deutschland größeres Engagement zeigt oder doch einem anderen Akteur das Feld überlässt.
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