Zwischen Krisen, Konsumverhalten und KI - Stefan Genth analysiert die zentralen Herausforderungen des Einzelhandels und zeigt, wie der Handelskongress Deutschland als Plattform für Lösungen dienen kann.
Herr Genth, der Handelskongress 2025 steht unter dem Motto „Simplify Retail: Einfach. Erfolgreich. Handeln!“ – was bedeutet dieses Leitmotiv für Sie ganz konkret mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen im Handel?
Stefan Genth: Wir erleben, dass die Welt immer komplexer wird: Angesichts von Kriegen und Zollkonflikten werden Lieferketten herausfordernder, die Kundenbedürfnisse werden immer individueller und Personalisierung von Angeboten immer wichtiger. Gleichzeitig drängen neue Technologien in den Markt. Insbesondere künstliche Intelligenz ermöglicht zahlreiche Innovationen. Mit der neuen Technologie kommen aber auch viele neue Fragen auf. Wie ist das mit dem Datenschutz oder dem Urheberrechtsschutz? Die Welt wird weiter an Komplexität gewinnen. Deshalb ist meine Überzeugung, dass Unternehmen, die es fertigbringen, die komplexe Realität in möglichst einfache Prozesse und Kundenbeziehungen zu übersetzen, einen großen Vorteil haben.
Wie schaffen Unternehmen das?
Es geht darum, sich auf das Wesentliche zu besinnen und die Kernkompetenzen konsequent und ohne Schnörkel zu stärken. Und dies gilt natürlich auch für die Politik, sich auf die wesentlichen Herausforderungen zu konzentrieren, Bürokratie abzubauen und die Regulierungen zu reduzieren.
Sie haben die Herausforderungen angesprochen. Wo sehen Sie aktuell den größten Handlungsbedarf?
Ganz klar bei der Konsumstimmung. Die Verbraucher schauen nicht optimistisch genug in die Zukunft. Kriege, Zollkonflikte und politische Unsicherheit halten den Anteil der zuversichtlichen Verbraucher niedrig. Da ist auch die Politik gefragt, Aufbruchstimmung zu erzeugen, Reformen anzugehen und Zeichen zu setzen. Das gelingt der Bundesregierung bisher noch nicht gut genug. Es müssen rasch Maßnahmen her, deren Auswirkungen alle Bürgerinnen und Bürger im Alltag positiv spüren – nur dann kann es mit einer Stimmungsaufhellung klappen. Entscheidungen wie bei der Stromsteuer sind extrem schädlich. Strom muss für alle günstig sein, die Steuer muss für alle runter – so wie ursprünglich auch versprochen. Für viele Handelsunternehmen steht zudem das Thema eines fairen Wettbewerbs mit Plattformen und Händlern aus Fernost im Mittelpunkt. Wer hierzulande Waren verkauft, muss sich auch an alle hier bei uns gültigen Vorschriften halten. Das ist bei vielen Verkäufen über Temu oder Shein aktuell nicht der Fall. Dieser unfairen Konkurrenz muss ein klares Stoppschild hingestellt werden. Bundesregierung und EU müssen schleunigst die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, damit Verstöße konsequent geahndet werden können.
Stichwort Fachkräftemangel – Was sollte hier aus Ihrer Sicht passieren?
Dem Einzelhandel in Deutschland aktuell 120.000 Beschäftigte. Auch das ist für viele Händlerinnen und Händler sehr belastend. Hier müssen wir gesamtgesellschaftlich endlich zu mehr Wertschätzung für Ausbildungsberufe kommen. Die Chancen im Einzelhandel sind riesig, Karriere mit Lehre gehört in der Branche zum Alltag. Viele Führungskräfte von heute haben ihre Laufbahn mit einer Ausbildung begonnen. In diesem Zusammenhang muss die Berufsberatung insbesondere an weiterführenden Schulen ausgewogener sein als heute. Die akademische Laufbahn ist nicht der alleinige Königsweg.
Digitalisierung und KI sind zentrale Themen im Programm. Was sind konkrete Chancen für Händler*innen – insbesondere im Mittelstand?
Digitalisierung und KI können helfen, Prozesse effizienter, schneller und günstiger zu machen. Künstliche Intelligenz ist längst nicht mehr nur Trend, sondern zentrale Schlüsseltechnologie des modernen Handels. Laut der aktuellen Studie „KI im Handel 2025“, die der HDE gemeinsam mit Safaric Consulting durchgeführt hat, setzt inzwischen fast ein Viertel aller Handelsunternehmen KI-Systeme ein – etwa für Diebstahlschutz via Kameras oder automatisierte Buchhaltungsprozesse – weitere etwa 9 % planen den Einsatz. Vor allem größere Unternehmen setzen die Technologie zunehmend strategisch ein, kleinere ziehen nach. Ich sehe in KI einen klaren Wachstumstreiber, etwa durch Vorteile in Trenderkennung, personalisierten Angeboten oder Preisoptimierung. Deshalb unterstützt der HDE als Konsortialführer des Mittelstand Digitalzentrums Handel Projekte wie das „KI Navi Handel“, das gezielt kleine und mittlere Händler beim Einstieg in KI-Anwendungen durch Coaching, Use Cases und Informationsplattformen begleitet – eine wichtige Initiative für den innovativen Mittelstand.
Auch dieses Jahr sind wieder viele Expert*innen dabei. Was erhoffen Sie sich vom Austausch zwischen Politik, Wirtschaft und Handel – auch mit Blick auf das Jahr 2026?
Der Austausch ist enorm wichtig, um das gegenseitige Verständnis für die aktuellen Herausforderungen zu stärken und die Probleme gemeinsam angehen zu können. Beim Handelskongress Deutschland treffen sich jedes Jahr die Spitzenvertreter aus Handel, Politik und handelsnahen Dienstleistungen. Wir bringen die handelsrelevanten Themen und Anforderungen zusammen und adressieren diese insbesondere gegenüber der Politik. Die Veranstaltung ist damit ein wertvolles Forum für alle Beteiligten, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Für 2026 wünsche ich mir natürlich vor allem bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen für die Branche: weniger Regulierung durch die Politik in Brüssel und Berlin, weniger Bürokratie und einen Stopp bei Arbeits- und Energiekosten sowie vor allem mehr Zuversicht und klare politische Entscheidungen für eine bessere Konsumstimmung. Es muss wieder deutlich aufwärts gehen.








