Kaum ein Wirtschaftsbereich wächst so dynamisch wie das Online-Geschäft. Weltweit werden die über das Internet abgewickelten B2C-Umsätze im Jahr 2013 um 17 Prozent steigen, prognostiziert das US-Marktforschungsunternehmen eMarketer.
Hot Spot ist dabei der asiatisch-pazifische Raum mit einem Zuwachs von 23 Prozent. Allein in China klettern die Online-Umsätze in diesem Jahr um 65 Prozent, in Indonesien um 71 Prozent.
Auch perspektivisch bleiben die jährlichen Plusraten rund um den Globus deutlich zweistellig. Das gilt für den in Sachen Online-Business noch relativ „jungen“ asiatisch-pazifischen Markt, wo laut eMarketer in diesem Jahr knapp 390, im Jahr 2016 schon 708 Milliarden Dollar über das Internet umgesetzt werden sollen. Das gilt aber auch für die schon reiferen Internet-Regionen. In Nordamerika etwa werden 2013 rund 430 Milliarden Dollar, im Jahr 2016 schon 580 Milliarden Dollar Umsatz mit Waren und Dienstleistungen aus dem Web erzielt. In Westeuropa wird der E-Commerce-Umsatz in diesem Zeitraum gemäß eMarketer-Prognose von 291 auf 388 Milliarden Dollar steigen.
Damit erobert das Internet-Geschäft weltweit immer mehr Marktanteile: In den USA oder in Australien, aber auch in westeuropäischen Ländern wie Großbritannien bewegen sich die Quoten, gemessen am jeweiligen Gesamtumsatz mit Waren und Dienstleistungen für Endverbraucher, schon heute im Bereich der 10 Prozent-Marke. In Deutschland liegt der Online-Marktanteil, so das Kölner E-Commerce Center Handel (ECC), momentan bei 7,7 Prozent.
Einstieg in die Multichannel-Welt
Ob lokaler Platzhirsch oder internationaler Filialist: Die stationären Handelsunternehmen wollen vom Online-Boom profitieren und die Geschäfte nicht den reinen Internet-Anbietern überlassen. Sie entwickeln sich damit zu Cross-, Multi- bzw. Omnichannel-Händlern – diese Begrifflichkeiten werden in der Praxis weitgehend synonym verwendet. „Multi-Channel-Retailing wird weltweit zum Standard im Einzelhandel und für immer mehr Betriebe zum entscheidenden Erfolgsfaktor“, beobachtet Thilo Freund, Geschäftsführer der MICROS Retail Deutschland GmbH. „Mit Multichannelling kann sich der Händler einen strategischen Vorteil im Wettbewerb mit reinen Internet-Anbietern wie etwa Amazon verschaffen“, ergänzt Ulrich Kaiser, Sales Spezialist bei NCR.
In der Multichannel-Welt allerdings muss die Informationstechnologie der Händler neue Prozesse abbilden. Ein typischer Einstiegsbereich in das Multichanneling ist zum Beispiel „Click & Collect“. Dabei kauft der Kunde ein Produkt online und holt es dann in der Filiale des Händlers ab. Oder als weiteres Szenario: Der Kunde kann beim Besuch in der Filiale ein gerade nicht verfügbares Produkt im Online-Shop des Händlers bestellen und sich an die gewünschte Adresse ausliefern lassen. „Solche Services erwartet die Kunden heutzutage einfach von ihren präferierten Einzelhändlern“, erklärt Freund.
Anspruchsvoller Multichannel-Kunde
Und dies insbesondere in den USA und in Westeuropa, wo es die Retailer mit erfahrenen und zunehmend anspruchsvollen Verbrauchern zu tun haben. Der moderne Multichannel-Kunde bewegt sich als Vagabund durch die Shopping-Welten. Er sucht sich für bestimmte Konsumwünsche bestimmte Kanäle aus, wechselt diese häufig und ist ein mit allen Wassern gewaschener Shopper – laut einer Studie von PricewaterhouseCoopers bezeichnen sich 69 Prozent der Multichannel-Kunden als „Kauf-Experten“. Beim Hopping zwischen Laden und Webshop akzeptiert er keinerlei Restriktionen. Er will hier kaufen, dort bezahlen, hier bestellen, dort reklamieren, hier Coupons einlösen, dort retournieren.
Der Händler muss solche Prozesse reibungslos ermöglichen. Sein Ziel: Webshop und stationäres Geschäft sollen sich beim Umsatz gegenseitig befruchten. „Verknüpft man die Verkaufskanäle Stationär, Online und Mobil, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten, Bestands- wie Neukunden einen echten Mehrwert zu bieten, von der persönlichen Beratung über Service- und Logistikdienste bis hin zu bequemen Zahlungsmethoden“, weiß Andreas Christoffel, Geschäftsbereichsleiter beim Dresdner IT-Dienstleister SALT Solutions.
Neuausrichtung der IT-Strukturen
Für diese Verzahnung von stationärem und digitalem Geschäft braucht der Händler allerdings eine kanalübergreifend einheitliche Sicht auf alle Kunden, Käufe, Bestellungen, Bestände und Auslieferungen. Seine IT sollte Kundendaten und personifizierte Marketingaktionen integrieren. Die bare und unbare Zahlungsabwicklung einschließlich der Verrechnung von Anzahlungen, Restzahlungen, Rückerstattungen sollte innerhalb der Absatzwege synchronisiert sein. Mobile Dienste sollten möglich sein – um nur einige der Anforderungen zu nennen. „Unternehmen müssen die Vertriebsprozesse integriert betrachten, und ihre IT-Systeme müssen diese Sichtweise durchgängig unterstützen“, sagt Dr. Rene Schiller, Marketingleiter beim global agierenden IT-Dienstleister GK Software AG in Schöneck.
Damit allerdings stehen viele bislang vorwiegend stationär agierende Handelsunternehmen vor einem informationstechnologischen Großprojekt. Denn ihre IT-Umgebung ist traditionell auf das stationäre Geschäft ausgerichtet, sie ist historisch gewachsen und oft sehr heterogen. Ein irgendwann aufgebauter Webshop wird häufig losgelöst von den Filialen geführt. Oder es wird versucht, ihn über ein provisorisches Abbild in die bestehenden Strukturen einzupassen. Multichannel-Prozesse lassen sich damit nicht abbilden.
Verlagerung der IT-Budgets
In solchen Fällen also besteht Handlungsbedarf. „Wir beobachten weltweit, dass die Omnichannel-Integration ganz oben auf der Agenda der Handelsunternehmen steht“, berichtet GK Software-Experte Dr. Rene Schiller. „Und selbst wenn es vordergründig vielleicht nur um den Austausch von einzelnen Komponenten geht, spielt die Frage, wie die neue Lösung in einer Omni-Channel-Umgebung funktionieren würde, immer ein sehr wichtige Rolle“, ergänzt Schiller.
Eine Untersuchung des Kölner EHI Retail Institute unterstreicht diese Einschätzung. In inzwischen über 50 Prozent der großen deutschen Handelsfilialisten wird Multichanneling als strategisches IT-Projekt geplant, stellt die „EHI-Trendstudie 2013“ fest. Entsprechend werden die IT-Budgets in diese Richtung verlagert.
Elektronik-Händler als Pioniere
Ähnliches gilt für Handelsunternehmen in anderen westeuropäischen Ländern, mit allerdings unterschiedlichen Ausprägungen. In Deutschland spielt zum Beispiel der Online-Kauf von Lebensmitteln mit einem Anteil von unter einem Prozent am Gesamtumsatz bislang noch kaum eine Rolle. Dagegen ist das Thema „Home Delivery“ in Großbritannien oder auch in der Schweiz stark auf dem Vormarsch. Entsprechend intensiv kümmern sich die dortigen Food-Händler um den Aufbau funktionierender Multichannel-Strukturen.
Bücher, Tonträger und Consumer Electronic-Sortimente werden in allen westeuropäischen Ländern immer häufiger online gekauft. Für Händler in diesen Branchen ist Multichanneling daher schon seit Jahren ein Thema. In der jährlich erscheinenden IBM-Untersuchung „Omnichannel Maturity Index“ werden Handelsunternehmen anhand von insgesamt 75 Kriterien auf ihre MC-Fähigkeiten getestet. Unter anderem gehören dazu kanalübergreifendes Marketing, Pricing und Artikelpräsentation, Online-Bestellungen in der Filiale sowie Rückgabe- und Umtauschprozesse, aber auch Bindungsprogramme zur Kanalintegration. Der Handel mit Consumer Electronics ist dabei nach dem IBM-Ranking 2013 am weitesten fortgeschritten. Unter den Top 10 konnten sich allein fünf Elektronik-Händler platzieren.
Wie bei den Sortimenten entwickelt sich Multichannel-Retailing in den europäischen Ländern auch aufgrund spezifischer Strukturen unterschiedlich dynamisch. In Flächenstaaten, in denen der nächste Stationärhändler einige Kilometer entfernt liegt, wird Multichannel dem Kunden wenige Vorteile gegenüber dem reinen Online-Handel bieten. „Je kompakter aber die Infrastruktur, wie etwa in Deutschland oder in Österreich, um so vorteilhafter wird für den Kunden die Kombination der Kanäle“, beobachtet Andreas Christoffel von SALT Solutions.
Fokus-Thema auf der EuroCIS
Multichanneling ist naturgemäß auch ein Fokus-Thema auf der EuroCIS, die Anfang Februar 2014 in Düsseldorf stattfindet. Eingebettet in die EuroShop, die europaweit größte Investitionsgüter-Messe für den Einzelhandel, präsentieren die IT-Dienstleister im Segment EuroCIS ihre Lösungen zur Multichannel-Integration. Dabei geht der Trend zum Aufbau übergreifender Strukturen. Das heißt: Statt ein Netzwerk einzelner Schnittstellen-Verbindungen für Multichannel-Anwendungen zu knüpfen, wird eine zentrale, webbasierte Integrationsplattform hinterlegt, die als übergeordnete Multichannel-Intelligenz dient und die sowohl den zentralen wie den POS- und Webshop-Diensten die notwendigen Informationen zur Verfügung stellt. Ob GK Software, NCR, Micros, Wincor Nixdorf, Salt Solutions oder andere – die Lösungen der IT-Dienstleister bauen auf solchen Plattformen auf. Nach dem Baukasten-Prinzip können auf diese Weise Crosschannel-Funktionalitäten sukzessive realisiert werden.
Die NCR GmbH in Augsburg zum Beispiel bietet mit Retailix 10 eine Omnichannel-Lösung, die Händler in die Lage versetzt, ihren Kunden ein einheitliches Einkaufserlebnis über alle Kanäle hinweg zu ermöglichen. Das NCR-Lösungsportfolio beinhaltet Kundeninteraktionspunkte, Verwaltungs- und Bezahllösungen sowie Kunden-, Bestands- und Lieferantenmanagement-Systeme. Ein Teil der Module ist unter anderem beim italienischen Händler Unicoop Firenze im Einsatz.
Auch MICROS zeigt auf der EuroCIS seine Lösungen für Multichannel-Händler. Dazu gehört mit dem „Retail Process Modeller“ eine Plattform, die Kundenbestellungen und Lagerbestände über alle Vertriebs- und Lieferkanäle intelligent steuert. Weitere MICROS-Anwendungen sind unter anderem der „Retail Assistant“ als mobiler Einkaufsberater für personalisiertes Guided Selling. Die Lösung bietet Mitarbeitern im Verkauf detaillierte Informationen über Kunden, Produkte und Bestellungen über alle Vertriebskanäle. Mit der Anwendung „Relate Retail CRM“ lassen sich Informationen aus allen Transaktionen über alle Vertriebskanäle analysieren. In Europa arbeitet zum Beispiel Calzedonia, ein international tätiges italienisches Bekleidungs-Unternehmen, mit MICROS-Lösungen. Handelskunden in den USA sind unter anderem Charlotte Russe oder Lily Pulitzer.
Die Salt Solutions GmbH in Dresden hat mit „alexa“ eine Lösungs-Suite mit ERP-Kern im Programm, die speziell im Bereich der Fashion-, Lifestyle- und Hartwarenbranchen eine Integration der Abverkaufskanäle unterstützt. Das System besteht aus verschiedenen Modulen und kann sowohl als Ganzes wie in funktionalen Teilen eingeführt werden. Für das Startup-Unternehmen „Emma`s Enkel“ in Düsseldorf zum Beispiel hat der IT-Dienstleister eine Lösungsarchitektur mit Multichannel-Ansatz entwickelt. Bei „Emma`s Enkel“ können die Kunden wahlfrei und in Kombination zahlreiche Kanäle nutzen.
Auf der EuroCIS 2014 präsentiert auch die GK Software AG ihr in Kooperation mit der SAP entwickeltes Omni-Channel-Angebot. Durch SAP HANA bietet es die Performance, um in nahezu Echtzeit die kanalübergreifend notwendigen Informationen zu liefern. Damit korrespondierend hat GK seine Lösungen so umgestellt, dass sie sowohl in einer HANA-Umgebung als auch in der Cloud eingesetzt werden können. Darüber hinaus bietet der IT-Dienstleister gemeinsam mit seinem Partner valuephone ein umfassendes „Mobile Customer Experience“-Programm. Damit lassen sich Anwendungen wie Mobile Couponing und Mobile Payment umsetzen. Beim Edeka-Tochterunternehmen Netto Markendiscount sind diese Services in Deutschland schon flächendeckende Realität. Auch in den Telekom Shops kommt das kanalübergreifende Couponing zum Einsatz. Interessierte Händler können sich diese innovativen Anwendungen auf der EuroCIS hautnah demonstrieren lassen.