Nordamerikanische Malls – ein Nachruf (1956-2018)
Ein Kommentar zur Entwicklung von Shopping-Malls
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Sie waren sehr erfolgreich. Mal von dem Franchiseunternehmenskonzept abgesehen - nichts hat die Kultur und den Lebensstil der USA in den letzten 70 Jahren mehr geprägt als die amerikanischen Shopping-Malls. Und dennoch markiert 2018 wohl doch den offiziellen Niedergang dieser amerikanischen Institution.
Mal abgesehen von den Dutzenden von Schließungen im vergangenen Jahr und den Hunderten von Einkaufszentren, die sich mittlerweile so weit von ihrem ursprünglich beabsichtigten Zweck entfernt haben, dass man sie eigentlich nicht mehr “Mall” nennen kann, befinden sich in den USA zurzeit nur noch zwei Malls in der Planungsphase beziehungsweise im Bau – und beide geraten bereits in finanzielle Schwierigkeiten, bevor sich ihre Türen überhaupt öffnen.
Die erste Mall wurde von Victor Gruen entworfen und 1956 in Minnesota errichtet. Eine sogenannte ,,American mall’ ist definiert als eine Reihe miteinander verbundener, überdachter Einzelhandelsflächen, die von einem privaten Eigentümer zur Miete angeboten werden. Die klassische Mall-Variante ist nur ein Stockwerk hoch, bei dem große Kaufhäuser jeweils an den Enden des Gebäudekomplexes „verankert“ sind (deswegen nennt man diese Läden in den USA auch anchor stores), während kleinere Läden die Räume zwischen den Hauptgängen belegen.
Es gibt viele Gründe für das Mall-Sterben, wobei es sich hierbei allerdings nicht um Mord handelt: Amazon trägt nicht die Schuld an ihrem Niedergang! Man sollte dabei auch nicht vergessen, dass der Onlinehandel noch keine zweistelligen Prozentsätze des Einzelhandelsumsatzes in Nordamerika erreicht hat. Erstaunlicherweise war es genau der Ankermieter, der früher einmal der innovativste Einzelhändler war und als Pioneer des Bestellversands und der Hauslieferung galt, und der am meisten mit dem Sterben von Malls in Nordamerika in Verbindung gebracht wird: nämlich Sears.
Autos, Autos, Autos
Als die nordamerikanischen Konsumenten immer mehr in die Vorstädte zogen, waren sie zunehmend von ihren Autos abhängig. Um einkaufen zu gehen, benötigten sie eine Fläche, auf der sie auch all diese Fahrzeuge bequem parken konnten. Die Einkaufszentren riefen eine neue Hauptstraße ins Leben, allerdings mitten in einem Meer von Asphalt.
Die logische Erweiterung dieser autodominierten Kultur bilden sogenannte Big Box Retailers (Kaufhausgiganten) wie zum Beispiel Walmart oder sogenannte Strip Malls (Einkaufsmeilen). Beide Formate bieten Einzelhandelsflächen, die etwa halb so viel kosten wie ein klassisches Einkaufszentrum, da sie den „öffentlichen Raum“ (public square) komplett außen vor lassen. Die Mall war dadurch plötzlich nicht mehr die einzige preisgünstige und mit dem Auto erreichbare Alternative zur Hauptstraße. Die Käufer fuhren nun von einem Laden zum anderen und konnten direkt vor jeder Tür parken. Bauentwickler nutzten diese Gelegenheit und investierten so viel in Verkaufsflächen, dass der Markt auch in absehbarer Zeit übersättigt bleiben wird – ein verheerender Zustand für Shopping-Mall-Besitzer.
Verkaufslandschaft als Spiegel der Gesellschaft
Obwohl dies etwas schwieriger zu quantifizieren ist, spielen die sich wandelnden Gesichter der Vororte und deren Einkaufszentren eine große Rolle. Wohlhabende Amerikaner, die damals vor einer vermeintlichen Invasion von Einwanderern und Minderheiten aus den alten städtischen Einkaufsgebieten flohen, mieden nun Malls, als sich die gleiche Dynamik auch in den Vororten abzeichnete.
Dazu kommt noch, dass Einkaufszentren auf die Kaufkraft des Mittelstands bauten. Als sich dieses Verbrauchersegment immer weiter verringerte, hatte dies auch eine unmittelbare Auswirkung auf Malls. Ihre frühere Vorherrschaft spaltet sich nun in Geschäfte für die Begüterten und die Habenichtse. Auf der einen Seite gibt es Billigläden wie Walmart und Fashion Discounter wie TJX für die etwas weniger Betuchten und auf der anderen Seite stehen Apple Stores, Whole Foods und der massive Erfolg der Outdoor-Ausrüster, die Marken wie Patagonia, North Face und andere hochwertige Marken für einen aktiven Lebensstil feilbieten.
Die nordamerikanischen Malls veränderten die Einzelhandelslandschaft
Sie ermöglichten die Verbreitung zahlreicher kleinerer regionaler Einzelhändler. Einheitliche Geschäftsprozesse, Raumplanungen, Kundenfrequenz-Statistiken, Mietverträge und Dienstleistungen von Einkaufszentren ermöglichten vielen Unternehmen rasche Rollouts und beachtliche Erfolge. Als dieses Format jedoch zu einheitlich und erfolgreich wurde, hat es möglicherweise bereits den Keim für seinen eigenen Niedergang gelegt.
Es sind gerade die Millennials, die weniger mit dem Auto fahren, näher zu oder gar in Städten leben wollen und sich genau die Individualität wünschen, die die Einkaufszentren unterdrückten. Dies ist keine Vorhersage, sondern bereits Realität. Erst kürzlich kündigte Meijer – eine führende Lebensmittelkette im Mittleren Westen der USA – die geplante Eröffnung von sechs Nachbarschaftsläden in Stadtgebieten an, die sich an den jeweiligen Wohngebieten, die sie bedienen werden, ausrichten. Auch das deutet auf eine Katastrophe für Big Box Ladengeschäfte und Strip Malls hin. Man sollte dieses Segment also unbedingt im Auge behalten.
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