Itellium war die IT-Sparte von Karstadt, wurde verkauft und zurückgeholt, ist jetzt ein inhabergeführtes Unternehmen. Von 700 Arbeitsplätzen sind rund 270 geblieben. Erstmals war Itellium als Aussteller auf der letzten EuroCIS, stellte ein neues Bezahlsystem vor und präsentierte sich als Partner in Sachen Business Intelligence. Im Interview erklären Jens-Uwe Holz und André Paul, wie der Neustart bisher verlaufen ist und warum BI für den Handel unverzichtbar ist bzw. worauf man dabei achten muss.
Wie waren die Reaktionen auf ihren Auftritt bei der EuroCIS? Gab es erste Abschlüsse?
Jens-Uwe Holz: Die Resonanz auf unseren Auftritt als inhabergeführter IT-Dienstleister war durchweg positiv. Nicht nur unser durchgängiges Lösungs- und Produktangebot für Handelsunternehmen kam gut an, sondern auch die Tatsache, dass wir jetzt als mittelständischer IT-Dienstleister am Markt auftreten. Wir haben mit Unternehmen gesprochen, zu denen wir früher als Konzerntochter keinen Zugang bekommen haben.
Ein Top-Thema war unsere Studie zum mobilen Bezahlverfahren ItelliPay. Auf der Messe haben wir erstmals unsere Open Source-basierende BI-Lösung Genius vorgestellt und auch hier vielversprechende Gespräche geführt. Insgesamt haben sich die Erwartungen an die Messe mehr als erfüllt. Konkrete Abschlüsse gehörten knapp vier Monate nach der Neugründung nicht zu unserer Erwartung. Allerdings resultieren aus den Messekontakten einige Pilotierungen, die derzeit sehr gut laufen.
Itellium war die IT-Tochter von Karstadt. Wie groß ist die Abhängigkeit vom Warenhauskonzern?
Jens-Uwe Holz: Itellium wächst heute in- und außerhalb des Handelsbereichs. Dadurch steigt unsere Unabhängigkeit von unserem größten Kunden aus dem Handel langsam, aber stetig. Seit dem Neustart hat Itellium ein gutes Dutzend neuer Kunden gewonnen. Wir sind profitabel und finanziell gesund. Den eingeschlagenen Weg wollen wir fortsetzen und dabei unsere Erfahrungen aus dem Handel noch stärker als bisher auch in Branchen einbringen, die über ähnlich komplexe Supply Chains verfügen. Für die Zukunft haben wir uns ambitionierte, aber realistische Ziele gesetzt. Dazu gehört, dass wir jährlich um 15 Prozent wachsen wollen.
Business Intelligence – ein neuer Name für einen alten Hut? Daten sammeln und auswerten sollte doch zum 1x1 im Unternehmen gehören – oder etwa nicht?
André Paul: Das Sammeln von umsatzrelevanten Daten hat es in der Tat in Unternehmen immer schon gegeben. Aber das allein ist ja noch nicht BI. Diese geht weit über das simple Sammeln und Wiederfinden von Daten hinaus. Es geht zum einen um die Visualisierung und die intelligente Interpretation von Daten, die aus den vielen verschiedenen und komplexen IT-Systemen eines Unternehmens generiert werden. Zum anderen um die inhaltlich korrekte Zusammenführung der Daten aus diesen unterschiedlichen Datenquellen zu einer harmonisierten eindeutigen Wahrheit als betriebswirtschaftliche Sicht. Die auf dieser Basis gewonnenen Erkenntnisse sind heute integraler Bestandteil der operativen Prozess- und Planungsabläufe von Management und Fachabteilungen. Sie werden zur Steuerung operativer Systeme weiter genutzt. Dadurch entsteht ein geschlossener Kreislauf, in dem Informationen immer besser und präziser werden sowie Entscheidungen auf Basis profunder Analysen getroffen bzw. Rahmenbedingungen wie Einkaufsbudgets – OTB, also open to buy – eingehalten werden. So steigt die Qualität in den Abläufen kontinuierlich.
Des Weiteren entwickeln BI-Werkzeuge sich immer weiter. Eine immer größere Rolle spielt die Möglichkeit eines vorrausschauenden Reportings, also des Forecastings. Intelligente Prognosen als Entscheidungsgrundlagen sind für den Handel ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. So ist zum Beispiel die Frage nach dem Bestandswert in x Tagen elementar für die Entscheidung einer Abschrift.
Damit der Händler nicht den Anschluss verliert, gehört heute eine leistungsfähige BI zum täglichen Werkzeug des Handels. Sie ist ein bedeutender Wertschöpfungsfaktor und die Basis für eine wesentlich effizientere Warenversorgung.
Hat der Handel in Deutschland den Wert von BI bereits ausreichend erkannt?
Jens-Uwe Holz: Ja – branchenübergreifend betrachtet ist der Handel sogar Trendsetter in Sachen BI. Schließlich sind die Warenströme in kaum einer anderen Branche so variantenreich und der Warenverkauf derart von externen Faktoren abhängig wie im Handel. Um diese Herausforderung beherrschen zu können, braucht man leistungsfähige BI-Strukturen, die konsequent weiterentwickelt werden müssen. Denn die Anforderungen aus dem Umfeld ändern sich fortlaufend. Damit steigt auch der Bedarf des Handels, seine Entscheidungsprozesse ständig weiter zu optimieren.
André Paul: Das hierfür notwendige Instrumentarium stellt der BI-Markt bereits zur Verfügung. Der Innovationsgrad ist dabei enorm. Was gestern noch aktuell war, ist morgen schnell veraltet. Besonders deutlich wird das bei BI-Oberflächen. Anstelle komplexer Darstellungen zahlreicher, mitunter für den einzelnen Nutzer nicht relevanter Informationen in Datenlisten, arbeiten Anwender heute mit übersichtlichen Darstellungen, auf denen sie Handlungsfelder schnell erkennen können.
BI fasst große Datenmengen in übersichtlichen Grafiken zusammen. Wie vermeidet man, dass dabei wichtige Warnsignale verloren gehen?
André Paul: Mit Hilfe von BI-Systemen lassen sich Warnsignale sogar besser identifizieren als je zuvor. Denn in modernen Systemen ist die Sammlung und Darstellung von Daten ja nur ein kleiner Teil des Leistungsspektrums. Ihr besonderer Mehrwert liegt in der nachhaltigen Steigerung der Handlungsfähigkeit des Nutzers. Es kommt darauf an, die Analyse zu spezialisieren und zu individualisieren. Bei der Spezialisierung werden die Auswertungen auf konkrete Aussagen hin fokussiert und zum Beispiel die saisonale Ware mit der Abverkaufs- und Bodensatzquote in Beziehung gesetzt. Mit der Individualisierung lassen sich Reports bedarfsgerecht so zusammenstellen, wie es die einzelnen Fachabteilungen und das Management brauchen, um ihre Aufgaben richtig zu lösen. Dazu müssen die heutigen Software-Systeme aber so ausgerichtet sein, dass sie Datenmengen schnell bearbeiten und darstellen können. Es ist die Aufgabe des IT-Dienstleisters, die tagesaktuellen Informationen in die richtige und eindeutige Beziehung zu den erfolgskritischen Faktoren zu setzen. Dafür muss dieser auf Augenhöhe mit den Fachabteilungen agieren. Denn nur eine Fachabteilung weiß, auf welche Warnsignale es ankommt.
Standardsoftware spart eigene Entwicklungskosten. Reichen die Anpassungsmöglichkeiten beispielsweise bei SAP aus?
André Paul: Die heutigen Standard-BI-Werkzeuge sind in der Regel als Baukasten konzipiert. Sie sind flexibel genug, um sie auf die unterschiedlichsten Anforderungen hin abzustimmen. Praxis-Erfahrungen von Itellium zeigen aber auch, dass die Standardauslieferungen als solche zumeist nicht vollständig oder nicht optimal auf die Anforderungen eines jeden Kunden gemünzt sind. Sie benötigen oft noch einen individuellen Zuschnitt. Das gilt insbesondere für die Ausgestaltung der Visualisierungsebene in einem System. Während auf der Ebene der Datenbereitstellung vieles zuverlässig im Standard gelöst ist, kommt es bei der Ausgestaltung der Benutzeroberfläche oft darauf an, dem Anwender das zu bieten, was er wirklich braucht. Da entscheidet nicht selten die richtige Begriffswahl über Akzeptanz und Nutzungsintensität des BI-Systems. Wenn Standardsysteme hier nicht ausreichend Möglichkeiten bieten bzw. flexibel genug sind, setzen wir zusätzlich Genius ein.
SAP stand in der Kritik wegen der gestiegenen Preise für den Support. Soll man sich von einem großen Anbieter abhängig machen?
Jens-Uwe Holz: Die Entscheidung für ein BI-System sollte weniger eine Frage der Wahl eines großen oder eines kleinen Anbieters sein, sondern mehr eine Frage nach dem optimalen Nutzen eines Systems. Denn in erster Linie kommt es doch auf die individuellen Aufgabenstellungen des Unternehmens und den Abdeckungsgrad des Software-Paketes des Anbieters an. Grundsätzlich kann ein großer Anbieter wie SAP immer einen besseren Support und effektivere allgemeine Weiterentwicklungen liefern als ein kleiner. Das ist allein schon eine Frage der Kapazitäten und der Koordination. Auch können mit einem Anbieter Service-Level-Agreements getroffen werden. Dann kennt man seinen Ansprechpartner und weiß, was er bis wann zu liefern hat. Bei der Wahl eines gesamthaften Anbieters wird die Anzahl der individuell neu zu entwickelnder Schnittstellen und damit verbundener Systembrüche minimiert. Dies macht das System in der Praxis einfacher beherrsch- und wartbar.
André Paul: Es gilt aber auch bei Standartsystemen zu beachten, dass durch Zukäufe des Anbieters komplexe interne Schnittstellen bestehen können. Nicht überall wo Standard drauf steht, ist auch immer eine technologische Durchgängigkeit gewährleistet. Einige Systeme großer Anbieter sind im Rahmen von Fusionen gewachsen und haben in erheblichem Maße interne Schnittstellen, die bei der Realisierung durchgängiger BI-Lösungen wiederum Aufwände verursachen. Dadurch kann es sinnvoll sein, Alternativlösungen etwa aus dem Open-Source-Umfeld zu suchen. Eine aktive Community kann dabei durchaus ebenfalls einen hochwertigen Support liefern.
Ist Open Source eine Alternative in Sachen BI?
André Paul: Open Source kann eine Alternative im BI-Bereich sein. Allerdings gibt es auch bei Open Source einige wesentliche Punkte zu beachten. Beim Auswahlprozess einer entsprechenden Software ist eine Risikoabschätzung bei Ausfall der Lösung auf das operative Geschäft notwendig. Je nach Einschätzung sollten entsprechende Wartungsabkommen getroffen werden. Durch die Wartungsgebühren sind Open Source-Anwendungen auch nicht kostenfrei. Nur, wenn ein einfacher Ersatz des Open Source-Tools möglich ist, kann auf die Sicherheit eines Wartungsvertrags verzichtet werden.
BI braucht zur Analyse von Abweichungen große Datenmengen. Ist BI also nur etwas für die Großen wie Metro oder Karstadt?
André Paul: Das ist keine Frage großer Datenmengen, sondern eher eine Frage des Nutzens der Analyseergebnisse und deren Integration in die operativen Prozesse. BI-Systeme inklusive der notwendigen Hardware werden bis hinein in den Open Source-Bereich immer günstiger. Damit können auch Mittelständler in zunehmendem Maße von solchen Anwendungen profitieren. Sie werden durch BI-Systeme wettbewerbsfähiger, was ein Engagement in diesem Bereich rechtfertigt. Das zeigen auch die Erfahrungen, die wir aktuell mit unserer BI-Lösung Genius machen. Die Software eignet sich grundsätzlich auch hervorragend als Mittelstands-Lösung. Anfragen erhalten wir deshalb auch nicht nur von Seiten großer Unternehmen.
René Schellbach
euroshop.de