Thomas Willing, Geschäftsführer von Avery Dennison Central Europe hatte bei der EuroCIS einen Grund zur Freude, denn Gerry Weber erhielt für die Einführung seiner Diebstahlsicherung mit RFID den Innovationspreis des EHI erhielt. Die Modemarke lässt bei der Herstellung aller Textilien neu entwickelte Pflegeetiketten von Avery Dennison einnähen, die einen RFID-Transponder enthalten. Im Interview beschreibt Willing die Zusammenarbeit und äußert sich über die Zukunft von RFID.
Auf der EuroCIS gab es einen Innovationspreis für Gerry Weber, über den auch Sie sich freuen können. Wann begann die Zusammenarbeit?
Gerry Weber ist einer unserer besten und treuesten Kunden. Wir arbeiten seit über 25 Jahren miteinander. Der jetzt vereinbarten, bahnbrechenden RFID-Lösung ging ein gut zwei Jahre währender Findungs- und Validierungsprozess voraus, um die für Gerry Weber und seine Anforderungen beste Lösung gemeinsam mit allen anderen Systempartnern zu erarbeiten. Dieser Prozess war aus Kundensicht zunächst ergebnisoffen, führte aber zielstrebig zu Avery Dennison. Für uns sprach neben der Erfahrung, dass wir mit rund 90 Prozent Marktführer bei RFID-Etiketten für die Textilindustrie und mit Service-Büros weltweit vertreten sind.
Bitte beschreiben Sie die wichtigsten Stationen der Entwicklung. Welche Rolle spielte AD, welchen Einfluss, welche Forderungen hatte Gerry Weber?
Gerry Weber suchte eine Source-Tagging-Lösung, also eine Möglichkeit RFID bereits im Produktionsprozess fest zu applizieren und in der gesamten Lieferkette einzusetzen. Dafür haben wir als Weltneuheit das Pflegeetikett mit integriertem RFID-Inlay entwickelt. Eine weitere Kundenforderung betraf die schnelle Amortisierung der Investitionskosten. Hier versprach die Verknüpfung von RFID mit einer elektronischen Warensicherungslösung (EAS) die besten Ergebnisse. Eine intensive Testphase hat diese Annahmen in vollem Umfang bestätigt.
Das Gerry-Weber-Etikett übersteht zwei Mal waschen – ein nettes Extra oder sinnvolles Feature?
Die Waschbarkeit ist mehr als ein nettes Feature. Sie war die Voraussetzung für das Source Tagging. Auf dem Transportweg kommt es immer wieder vor, dass einzelne Kleidungsstücke verschmutzt und danach gereinigt und aufgearbeitet werden müssen. Um diesen Prozess zu überstehen, muss unser RFID-Pflegeetikett notfalls zwei Wäschen oder eine chemische Reinigung aushalten können. Ohne diese Eigenschaft hätten wir Antenne und Chip etwa im Anhängeetikett aus Karton unterbringen müssen. Dies hätte die kombinierte EAS-Funktionalität zwar nicht unmöglich gemacht, wäre aber weniger sicher gewesen.
Warum? Kann ein cleverer Dieb nicht auch das Pflegeetikett einfach mit der Schere entfernen und seelenruhig aus dem Laden spazieren?
Wir wissen aus der Erfahrung anderer Projekte mit Warensicherung mittels eingenähter Sicherungsetiketten, dass dies nur selten vorkommt. Durch die verdeckte Anbringung und die Sicherung von 100 Prozent aller Waren wird ein sehr gutes Sicherheitsniveau erreicht. Es liegt – auch bedingt durch die sehr guten Detektionsquoten – deutlich über dem bisheriger Systeme.
Wie werden die Verbraucher nach Ihrer Einschätzung auf RFID in Textilien reagieren?
Es werden keinerlei personenbezogene Daten auf dem Etikett gespeichert, und es lässt sich aus der Artikelnummer auch kein Verweis auf den Kunden herstellen. Hierfür wäre eine Verknüpfung mit den Daten der Kreditkarte notwendig. Dies ist und bleibt in Deutschland verboten und hat auch nicht das Geringste mit RFID zu tun. Die Anforderungen an den Datenschutz sind hierzulande hoch und dies ist gut so.
Trotzdem bin ich überzeugt davon, dass jeder RFID-Anwender gut daran tut, seine Kunden vollständig und ehrlich über den Umfang und Nutzen der von ihm eingesetzten RFID-Technik aufzuklären. Gerry Weber tut dies, indem das Unternehmen in jedem seiner Stores auf großen Schildern sehr gut verständlich über Sinn und Zweck des Einsatzes informiert. Das beugt falschen Spekulationen vor und nimmt eventuelle Ängste. Bei Gerry Weber können die Kunden gleich nach dem Bezahlvorgang das Pflegeetikett auftrennen und den RFID-Teil herausschneiden. Die Pflegehinweise verbleiben dabei im Kleidungsstück, und der Händler speichert keinerlei kundenbezogene Daten.
Welche Marktchancen sehen Sie für das Pflegeetikett mit RFID-Diebstahlsicherung? Wie waren die Reaktionen auf der EuroCIS?
Für Gerry Weber hat sich die Kombination von RFID mit EAS als optimale Lösung herauskristallisiert. Ich stelle mir vor, dass auch etliche andere Kunden mit einer ähnlichen Lösung gut bedient wären. Es ist jedoch notwendig, bei einem neuen Kunden erst alle Parameter seiner Beschaffungskette, seiner Supply Chain und Vertriebswege zu untersuchen, bevor wir ihm eine RFID-Lösung empfehlen können. Auf der EuroCIS sowie parallel auf der CeBIT in Hannover war das Interesse an der Gerry Weber-Lösung riesengroß.
Welche Trends beobachten Sie generell in Sachen Diebstahlsicherung mit RFID?
Der Trend in der Warensicherung geht ganz klar hin zu intelligenten Lösungen. EAS ist ein Feature, das zwar jeder braucht. Aber man muss es nicht so deutlich erkennen können. Die Zeit der Hardtags aus Plastik, die das Gewebe beschädigen können und nur begrenzt häufig einsetzbar sind, wird langfristig vorbei sein. Und die auffälligen Funkschleusen an den Warenhauseingängen werden dann ebenfalls abgelöst werden. Die Zukunft gehört intelligenten Kombilösungen mit RFID, die sich an den Bedürfnissen des Handels orientieren.
Ist es nicht wie Hase und Igel? Der Handel setzt neue Technik gegen Diebe ein und die Diebe werden immer raffinierter. Lohnt es sich angesichts dessen überhaupt für den kleinen Fachhändler, in Warensicherung mit RFID zu investieren?
Unbedingt, denn die technischen Möglichkeiten wachsen schneller als die Raffinesse der Langfinger. Zumal sich der Handel mit RFID ja noch weitere Vorteile einkauft: Mit den intelligenten RFID-Lösungen steigt die Bestandsgenauigkeit auf 99 Prozent, und man verfügt quasi über eine permanente Inventur. Da der Händler stets weiß, wo er nachordern muss, ergeben sich zudem Umsatzzuwächse bis zu 15 Prozent.
2007 hat Avery Dennison den RFID-Spezialisten Paxar übernommen. Seitdem verbinden Sie Etiketten und RFID. Wie hat der Handel davon profitiert?
Avery Dennison hat wie Paxar schon lange an RFID-Lösungen gearbeitet, nur waren die Schwerpunkte etwas anders verteilt. Avery Dennison hat zunächst den Schwerpunkt auf die Technologie gelegt und ein sehr wettbewerbsfähiges Portfolio an RFID-Inlays entwickelt, das sich auch günstig produzieren lässt. Paxar hatte bei RFID und Bekleidungsetiketten in Westeuropa die bessere Marktposition, vor allem durch die bereits 2003 entwickelte RFID-Lösung für den britischen Bekleidungsfilialisten Marks & Spencer. Das war sicher eines der Argumente für die Fusion. Heute ergänzt sich beides perfekt.
Interview: René Schellbach, Erstveröffentlichung: EuroCIS.com