Interview • 31.07.2012
Gravierende Fehler beim Verkaufen an Adam und Eva
Interview mit Diana Jaffé, Gründerin Bluestone Gender Marketing, Berlin
Diana Jaffé vermisst in der Ladengestaltung und beim Verkaufspersonal die Sensibilität für die unterschiedlichen Bedürfnisse von Männern und Frauen. Viele Produkte seien aus männlicher Denkweise entwickelt und auch die Werbung sei zu männlich. So erklärt sie, warum so viele neue Produkte scheitern. Ihr Anliegen: Wissenschaftlich arbeiten und Aufklärung leisten für mehr Erfolg im Handel. Dabei räumt sie mit manchem Vorurteil auf.
Frauen gehen Shoppen, Männer kaufen zur Bedarfsdeckung. Ist es so einfach?
Nein, wir sind inzwischen ein ganzes Stück schlauer. Männer wie auch Frauen kennen zwei Einkaufsarten: für Dinge des täglichen Bedarfs und Dinge, die ihnen Freude machen. Frauen haben Freude am Shoppen, Männer mögen den Luxuskauf. Auch Männer kennen lustvolles Einkaufen – nur in anderen Bereichen als Frauen. Kleidung ist für Frauen lustvolles Shoppen, für Männer jedoch lästiger Bedarfskauf.
Vor allem in den Bereichen Hobby und Status können Männer unvernünftig werden. Männer brauchen Status. Status zeigt, wie durchsetzungsfähig sie sind. Das ist ein wichtiges Signal bei der Partnersuche, aber auch im beruflichen und sozialen Umfeld. Männer demonstrieren durch Statussymbole, was sie für ein guter Versorger sind, was sie leisten können. Für Frauen ist Status wichtig, um zu einer Gruppe dazu zu gehören, um von anderen akzeptiert zu werden. Marken spielen dabei eine Rolle. Bei beiden Geschlechtern geht es um Erkennungszeichen – sie müssen von den entscheidenden Leuten erkannt werden. Männer werden eher zu einer Automarke oder eine Armbanduhr neigen. Frauen werden eine Bekleidungsmarke oder auch Accessoires leichter erkennen, aber ein maßgefertigter Anzug ist in bestimmten Männerkreisen auch ein gutes Erkennungszeichen.
Was bedeutet das für den Handel?
Wir haben 2010 eine Umfrage gemacht zum Geschlecht der Dinge. Frauen kaufen weibliche Produkte am liebsten von Verkäuferinnen – und bei Männern umgekehrt. Schmuck gilt als weiblich, da traut man Verkäuferinnen mehr zu. Bei der als Statussymbol geltenden Herrenarmbanduhr glaubt man einem Verkäufer mehr. Die Menschen haben ein starkes Gefühl für das Geschlecht von Produkten. Über 80 Prozent – Männer wie Frauen – sagen, das Kaufhaus ist ein weiblicher Ort. Die allermeisten Männer wollen nicht dort sein.
Wir finden noch sehr viele Geschäfte, die nicht darauf eingestellt sind, wie Männer und Frauen sich dort bewegen, wie groß ihr Wunsch oder ihr Widerwille ist, dort zu sein. Im KaDeWe hat man alles richtig gemacht mit einer riesengroßen Sitzlandschaft mitten in der Damenschuhabteilung. Da sind die Männer gut aufgehoben, während ihre Partnerinnen sich in Ruhe umschauen. Auch Möbelhäuser sind für Männer unangenehme Orte. In der Möbelausstellung ist es das erste, was der Mann macht: er lässt sich in ein Sofa oder einen Sessel plumpsen. Wenn er sitzt, kann er nicht so leicht dazu gezwungen werden, sich Dinge anzuschauen, die er ohnehin nicht sehen will. Im klassischen Kaufhaus haben wir eine unglaubliche Menge an Produkten, einen großen Warendruck, der für die meisten Männer unerträglich ist.
Kurze Wege für den Mann, Erlebniswelten für die Frau?
Ein Laden, der sich gezielt an Frauen wendet, sollte auf die Verweilzonen achten. Frauen möchten kleine Tresen, an die sie sich anlehnen, anschmiegen können. Frauen wollen Gänge, die breit genug sind, um nicht unabsichtlich von hinten berührt zu werden. Im Kaufhaus sollte man für sie eher senkrecht als waagrecht präsentieren. Für die Jüngeren – Männer wie Frauen – ist es wichtig, Dinge zu kaufen und zu besitzen. Das nimmt im Alter massiv ab. Männer und Frauen wollen Neues entdecken. Warum ist es lustvoll? Weil es dem natürlichen Lernen entspricht. Wenn wir lernen, schüttet das Gehirn Dopamin aus.
Wenn es bei Männern um Bedarfskauf geht, müssen sie schnell sehen, was sie suchen, denn Männer fragen nicht nach dem Weg. Männer sind meistens Satisficer. Sie suchen etwas, was gerade gut genug ist. Frauen sind Maximizer, stets auf der Suche nach dem Besten. Sie gehen in fünf, sechs Läden am Ort, um sicher zu sein, die beste Entscheidung treffen können.
Ist das Verkaufspersonal ausreichend geschult für diesen Unterschied?
Nein, alle Verkaufstechniken wurden von Männern für männliche Verkäufer und männliche Kunden entwickelt. Intuitiv machen das die Geschlechter untereinander oft richtig, wenn sie nicht durch Schulungen davon abgebracht wurden. Es geht schief, wenn Männer an Frauen verkaufen müssen oder umgekehrt.
Nichts ist schlimmer als ein Frauenauto. Wollen Frauen gar keine Frauenprodukte?
Der Auftrag an uns lautet oft: Finden Sie etwas, womit wir zusätzlich Frauen ansprechen können, ohne die Männer zu verprellen. Tatsächlich ist es so, dass Frauen bereitwilliger Männerprodukte kaufen, Männer aber niemals Frauenprodukte. Frauen kaufen in der Tat Frauenautos. Der Mini ist vom Design her ein Frauenauto, gehört aber zu BMW, und BMW ist männlich. Kulleraugen, Kindchenschema – das funktioniert noch immer für Frauen, denn allein durch diesen visuellen Reiz wird das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet.
Nach und nach gibt es mehr Pflegeprodukte für den Mann. Wo lauern die Fallstricke?
Der Markt hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Pflegende Kosmetik für Herren hat sich hervorragend durchgesetzt. Männer haben hier das Problem, Einkaufsorte zu finden, die für sie angemessen sind. Der klassische Drogeriemarkt ist für Männer kein leicht durchschaubarer Ort. Frauen wollen schön sein und haben Interesse an Pflege. Gutes Aussehen ist ihnen wichtig, denn es ist ihr größter Trumpf bei der Partnerwahl. Umgekehrt suchen Frauen keine schönen Männer, sondern gute Versorger, wie Studien in über 120 Kulturen gezeigt haben. Gut auszusehen bedeutet für Männer, leistungsfähig zu sein.
Schauen wir mal auf die Ursachen: Warum sind Frauen und Männer beim Einkaufen so unterschiedlich? Sind die Gene schuld?
Wir wissen nach wie vor nicht, wo die Natur aufhört und die Kultur anfängt. Wir unterscheiden vier Ebenen in einer Pyramide: Die unterste Ebene ist das, womit wir geboren werden. Darauf setzt die Kultur auf, die dritte Stufe ist das soziale Umfeld, die Eltern und später die Peergroup. Ganz oben kommen dann die eigenen Erfahrungen.
Wie viele Kaufentscheidungen werden in Familien überhaupt vom Mann, von der Frau oder den Kindern bestimmt?
Rund 90 Prozent der Entscheidungen für alltägliche Bedarfsgüter werden von Frauen getroffen. Die Flop-Rate von 70 Prozent bei FMCG und 90 Prozent bei Food allein im ersten Jahr der Markteinführung zeigt, dass da etwas massiv schief läuft. Die männliche Weltsicht prägt die Werbung viel zu stark, insbesondere bei den FMCG. Den Werbern fehlen Bilder für moderne Weiblichkeit.
Sie haben das Buch „Werben für Adam und Eva“ geschrieben. Passen die Rollenbilder in der Werbung zu den Produkten? Welche Kampagne finden Sie gut, welche nicht?
Die Werbung passt gar nicht zur Realität. Man muss viel mehr dazu übergehen, die Produkte in eine Geschichte einzubinden. Klasse war vor einigen Jahre ein Werbespot mit Heidi Klum und Seal für den VW Tiguan. Der Wagen war nur Statist in einer Erzählung über das Paar. In keinem Moment ging es um die Vorzüge des Wagens. Die Werbung funktionierte so gut, dass VW sie zurückziehen musste. Der Autobauer kam mit der Nachfrage nicht mehr hinterher! Die Frage ist: Wie platziere ich mein Produkt in der Wahrnehmung? Zu wenig wird kommuniziert, was der Benefit für eine Frau ist und wie sich das Produkt in ihre Lebensrealität einfügt.
Im Oktober kommt die Fortsetzung „Verkaufen an Adam und Eva“. Welche neuen Erkenntnisse bekommen die Leser hier?
Das ist keine Fortsetzung, sondern ein ganz anderes Thema. „Werben für Adam und Eva“ war ein Fachbuch zu Marketing-Kommunikation, also Werbung, PR etc. „Verkaufen an Adam und Eva“ ist ein Praxisbuch zu Gender Sales: Wie kaufen Kundinnen, wie kaufen Kunden? Was muss eine Verkäuferin bei männlichen Kunden beachten, worauf sollten Verkäufer bei Kundinnen verzichten?
Interview: René Schellbach, iXtenso.com
Themenkanäle: Marketing-Planung, Markeninszenierung, Werbemittel, Werbeträger, Gender Marketing