14 Thesen umfasst das Local Commerce Manifest, das Andreas Haderlein auf der von ihm gegründeten Informationsplattform LocalCommerce.info veröffentlicht hat. Betont wird darin die soziale und alltagskulturelle Bedeutung des stationären Innenstadthandels, aber auch, dass sich insbesondere der inhabergeführte Einzelhandel nicht darauf ausruhen kann und neue digitale Wege beschreiten muss, will er der wachsenden Konkurrenz aus dem Internet Paroli bieten.
Amazon dominiert derzeit die Schlagzeilen der Wirtschaftsnachrichten. Der US-Konzern zeigt mit dem Start seines Lebensmittellieferdienstes Amazon Fresh hierzulande einmal mehr, dass es ihm ernst ist um die Revolution im stationären Einzelhandel. Als Brandbeschleuniger des Strukturwandels in Stadt und Handel steht Amazon natürlich längst stellvertretend für die größte Herausforderung der Innenstädte seit Erfindung der Shopping Mall: Frequenzverluste in den Geschäftsstraßen und Kaufkraftabwanderung in das E-Commerce sind keine Phantomschmerzen des allzu gerne klagenden Kaufmanns, sondern belegte Tatsachen.
Wie können Innenstadthändler auf diese Situation reagieren? Weitestgehend verkriechen sie sich wie das Kaninchen vor der Schlange oder verharren angesichts der Dynamik des Wandels in der sprichwörtlichen Schockstarre. Dies gilt in weiten Teilen nicht für die filialisierten Handelsunternehmen, die seit einigen Jahren vehement in Digitalisierungsstrategien investieren. Aber es betrifft den „Laden um die Ecke“, kleine und mittelständische Betriebe, in denen Kunden noch mit Namen begrüßt werden und Beratung groß geschrieben wird bzw. werden sollte. Sie sind „die Bühne und ein identitätsstiftendes Puzzle des Stadtteils, der Gemeinde, der Stadt“ wie es im Manifest heißt.
„Online-Handel ohne ‚Wir‘“, auch das ein markanter, vieldeutiger Satz aus dem Manifest, werde in Zukunft schwierig. Und so rücken die Chancen des Internets für den lokalen Handel und damit für eine attraktive Innenstadt zunehmend in den Vordergrund. Längst sind bspw. RoPo-Effekte (Research online/purchase offline) durch eine erhöhte Sichtbarkeit von lokalen Angeboten im manchmal ziemlich nahen World Wide Web nachgewiesen.
Drei Viertel aller deutschen Internetnutzer suchen lokal relevante Informationen über eine Online-Suchmaschine. Gut jeder vierte Nutzer trifft seine Kaufentscheidung im Internet, kauft dann aber vor Ort (Quelle: The Consumer Barometer Survey, 2014/15). Neuere Untersuchungen gehen gar davon aus, dass 45 Prozent aller stationären Käufe online vorbereitet werden (Quelle: Cross-Channel – Quo Vadis?, ECC Köln). Übersetzt in der dritten These des Local Commerce Manifests heißt dies: „Das Internet ist immer 1A-Bestlage und der Vorhof des stationären Handels. Aufenthaltsqualität fängt deshalb schon im öffentlichen (sic!) digitalen Raum an.“
Darüber hinaus erhöht die steigende Nutzung mobiler Endgeräte den „Local-Faktor“ des Internets. Offline- und Online-Welt durchdringen sich zusehends. Der Wirtschaftspublizist und Innovationsberater Andreas Haderlein hierzu: „Händlergemeinschaften, Politik und Wissenschaft erkennen zunehmend, dass das ‚Betriebssystem‘ Stadt vor dem Hintergrund der Digitalisierung umgeschrieben wird.“ Deshalb fordert er im Manifest: „Wir brauchen den kooperativen Aufstand gegen Uniformität, Innenstadtverödung und Kaufkraftabwanderung in den reinen Online-Handel nicht-lokaler Anbieter, mitgetragen von Gewerbevereinen, Einzelhandelsverbänden, IHKs, City-Managern, Stadtmarketing-Organisationen, Wirtschaftsförderung, Lokalpolitik, Immobilienwirtschaft und – nicht zuletzt – vom Verbraucher selbst. Denn letzterer entscheidet mit seinem Konsumverhalten. Vielen ist noch nicht klar, dass eben dieses Konsumverhalten das Sägen des Astes bedeutet, auf dem man sitzt.“
Es geht dem Autor also auch um eine Verbrauchersensibilisierung. Sind die kleinen Läden weg, weil Kunden vermehrt bei den E-Commerce-Riesen im Netz einkaufen, kratzt das auch am Flair eines Ortes. Ein Ort, den man vor ein paar Jahren vielleicht noch gerade deshalb als Wohnstandort gewählt hat. Mitleid darf der lokale Handel freilich nicht erwarten. „Zuerst die digitale Exzellenz, dann die Moral. Kaufkraftbindung mit dem erhobenen Zeigefinger wird kläglich scheitern“, lautet die letzte These seines Manifestes.
Haderlein, der maßgeblich am Aufbau des nationalen Pilotprojekts Online City Wuppertal beteiligt war, hat mit Local Commerce auch ein lösungsorientiertes Schlagwort parat: „E-Commerce + stationärer Handel = Local Commerce“, so seine griffige Formel. Damit ist die Etablierung digitalen Dachmarketings für den Einzelhandelsstandort unter besonderer Berücksichtigung des veränderten Kaufverhaltens gemeint. Lokale Online-Marktplätze sind hierbei die technisch-konzeptionelle Grundlage.
Auf der Informationsplattform LocalCommerce.info, die unlängst in die Best-of-2017-Liste der Initiative Mittelstand aufgenommen wurde, werden derzeit über 75 digitale Initiativen in Städten und Regionen portraitiert, die mit einer lokalen Shopping-Plattform dem zunehmend online-getriebenen Kunden entgegen kommen wollen. „Ich gehe davon aus, dass bundesweit über 100 digitale City-Initiativen im laufenden Betrieb sind“, so Haderlein. „Auch Verlage treten mittlerweile als digitale Infrastrukturgeber für den lokalen Handel auf. Zwar sind die Ansätze recht unterschiedlich, aber jedes Projekt ist wichtig, da hier agiert und experimentiert statt nur reagiert wird.“
Der Experte für digitale Transformation weiß aber auch: „Eine Mehrheit der Verbraucher, sieht lokale Online-Marktplätze als nützlich an, wenn vor allem eines gegeben ist: die Abbildung der stationären Warenverfügbarkeit.“ Damit freilich tun sich viele inhabergeführte Geschäfte mit wenig Budget für die technische Aufrüstung noch schwer. Deshalb ist Local Commerce auch weit mehr als die Entwicklung und Realisierung eines lokalen Online-Marktplatzes mit Grundfunktionen wie taggleicher Lieferung, Click & Collect oder digitalen Schaufenstern.
Local Commerce ist ein Bewusstseinswandel. Denn Stadtmarketingverantwortliche, Wirtschaftsförderer, Interessengemeinschaften und natürlich die Händler selbst müssen bereit sein, Know-how, Zeit und Geld in einen Moderations- und Transformationsprozess zu investieren, der möglichst viele Gewerbetreibende eines Standortes in die neue Welt des Handels ohne Polarisierung zwischen on- und offline mitnimmt. „Es mangelt nicht an Technologien“, so Haderlein, der jahrelang auch am Zukunftsinstitut von Matthias Horx gearbeitet hat, „sondern an Veränderungsmanagern, die den Kopf des lokalen Einzelhändlers knacken und Leidenschaft für neue Lösungen entfachen.“
Das Local Commerce Manifest ist daher auch ein Appell an Städte und Kommunen, das Heft des Handelns im Strukturwandel des stationären Einzelhandels – der immer auch einen Veränderungsprozess der City bedeutet – selbst in die Hand zu nehmen, anstatt zielführenden innovativen Lösungen hinterherzuhinken. Die 14 Thesen dienen dazu, die Debatte über digitale Lösungen für Standorte und inhabergeführte Geschäfte zu bereichern. Noch einmal der Initiator Haderlein: „Es ist nicht auszuschließen, dass Korrekturen vorgenommen werden müssen oder weitere Thesen hinzukommen. Orte zum Austausch gibt es genug – beispielsweise die Facebook-Gruppe ‚Local Commerce Alliance‘.“
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