Sofas, Bücher oder Kaffeemaschinen im Laden kaufen und nach Hause geliefert bekommen: So wird die Zukunft des Einzelhandels aussehen. 140 Göttinger Händler*innen setzen diese Idee bereits um. Und im Gegensatz zu den Onlineriesen bieten sie ihren Kund*innen Same Day Delivery an. Damit leistet Göttingen Pionierarbeit für andere Städte. Möglich macht das ein „grüner Fuchs“, der getigerte Räder dreht.
Wie können Einzelhändler*innen für ihre Kund*innen attraktiv und auch in Zukunft eine ernsthafte Alternative zum Onlinehandel bleiben? Leerstehende Geschäfte, verwahrloste Innenstädte: Das ist keine Dystopie, sondern vielerorts bereits Realität. In Göttingen sieht es anders aus, der Schlüssel ist Zusammenhalt. Vom familiengeführten Bettenfachgeschäft über die Buchhandlung bis hin zu Galeria Kaufhof: Alle 140 Göttinger Einzelhändler*innen ziehen an einem Strang, um ihre Innenstadt zu retten. Dabei werden sie von der lokalen Politik bestärkt. Das Konzept, das die Händler*innen gemeinsam mit zwei Logistik-Visionären ausgearbeitet haben, wird durch den ersten einstimmigen Ratsbeschluss aller Göttinger Parteien gestützt.
Komfort und Service für die Kundschaft
Gleich mitnehmen oder nach Hause liefern lassen? Wer in Göttingen einkauft, kann es sich aussuchen. Im Dezember 2022 – pünktlich zur Weihnachtszeit – hat sich die Innenstadt in einen großen Warenkorb verwandelt. Kund*innen suchen sich ihre Waren im Laden aus, „klicken“ auf „Bestellen“ und setzen ihren Einkaufsbummel entspannt fort. Je nach Wunsch bekommen sie ihre Einkäufe noch am selben Abend oder am kommenden Vormittag nach Hause geliefert. Damit sind die Göttinger*innen schneller als die Online-Konkurrenz, die ihren Kund*innen kein Same Day Delivery anbieten kann. „Shoppen ohne Schleppen, so kann man unser Modell auf den Punkt bringen. Komfort zählt zu den zentralen Argumenten des E-Commerce. Wir Einzelhändler*innen können das auch – nur, dass wir unseren Kund*innen zusätzlich persönliche Beratung bieten. Diese Kombination ist in Sachen Kundenbindung unschlagbar“, erklärt Susanne Heller, Vorsitzende der Interessenvertretung der Göttinger Innenstadt Pro-City.
Das hanseatische Duo
Die Technologie und Infrastruktur im Hintergrund sind für die Kund*innen weniger sichtbar. Doch diese beiden Bausteine sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren für das Projekt. Mehrmals am Tag werden die Pakete in den Läden abgeholt, an einem Umschlagplatz konsolidiert und im gewünschten Zeitfenster mit Lastenrädern und E-Scootern an die Kund*innen geliefert. Hierfür zeichnen das Bremer Tech-Scale-up cellumation und die Grünfuchs-Logistik GmbH aus Göttingen verantwortlich. Grünfuchs kümmert sich um die Abholung, den Transport und die Übergabe der Sendungen, während cellumation die benötigte Sortiertechnologie bereitstellt. „Der Grünfuchs und cellumation ergänzen sich ideal. Gemeinsam liefern wir eine Lösung für intakte, grüne und lebenswerte Innenstädte. Göttingen ist der Vorreiter, andere Kommunen werden folgen“, sagt Felix Dossmann, Geschäftsführer von Grünfuchs.
Wirtschaftlich dank Automatisierung
Im Zentrum des gemeinsamen Konzepts steht der Paketumschlagplatz in einem früheren Möbellager. Herzstück ist die Sortieranlage von cellumation. Die Versandobjekte werden in die Anlage hineingeworfen, automatisiert auf intelligente Routen sortiert und dann ausgeliefert. Ohne die Sortiertechnologie wäre das gesamte Projekt undenkbar. Andere Ansätze scheitern meist an hohem Personal- und Platzbedarf. Sie werden trotz großzügiger Subventionierung unrentabel und nach kurzer Zeit wieder aufgegeben. Die Sortieranlage von cellumation ist dagegen nur sechs Quadratmeter groß und arbeitet autonom. Die Erfolgsformel: einfache Hardware plus hochintelligenten Software gleich maximale Flexibilität. „Mit unserem System werden wir die letzte Meile revolutionieren. In Göttingen haben wir zusammen mit dem Grünfuchs den ersten automatisierten Microhub Deutschlands auf die Beine gestellt. Weitere Städte werden von diesem Konzept profitieren“, sagt Hendrik Thamer, Geschäftsführer von cellumation.
Weniger Verkehr für mehr Lebensqualität
Den Einzelhandel zu stärken ist eine wichtige, aber nicht die einzige Säule dieses Modells. Zusätzlich geht es den Hütern der Innenstadt darum, ihre Straßen frei von schweren Lieferfahrzeugen und ihre Luft rein von Abgasen zu bekommen. Daher ist der Microhub kein Privatklub für den lokalen Einzelhandel, sondern steht auch dem E-Commerce offen und entlastet KEP-Dienstleister. In Zukunft soll möglichst der komplette Lieferverkehr in der Stadt auf die emissionsfreien Fahrzeuge des „Grünfuchses“ umgestellt werden. Die Pakete werden auf den Fahrzeugen nach Zielgebiet, gewünschtem Zustellzeitpunkt und sogar in der erwarteten Zustellreihenfolge angeordnet. Damit erspart sich Göttingen neben Abgasen und CO2-Emissionen auch viel Verkehr durch vermeidbares Hin- und Herfahren. „Der konventionelle Lieferverkehr belästigt die Besucher*innen der Innenstadt. Wenn wir die Sendungen der Paketdienstleister bündeln, wird deren Verteilung nicht nur effizienter und klimafreundlicher, sie benötigt auch weniger Lieferfahrzeuge. Davon profitieren dann alle Besucher*innen der Innenstadt.“, sagt Susanne Heller.
Fazit: ein Modell mit Zukunft
Göttingen zeigt anderen Kommunen auf, wie sie ihren Handel und ihre Innenstädte retten können. Der Schlüssel heißt Same Day Delivery gepaart mit automatisierter Sortierung und emissionsfreien Fahrzeugen. Die Einzelhändler*innen bieten ihren Kund*innen größeren Komfort, während freie Straßen Besucher*innen zum Einkaufsbummel einladen. Dieses Modell ist beispielhaft dafür, wie unsere Städte in Zukunft aussehen könnten.