Mitarbeiter im Einzelhandel arbeiten am Limit
Grenze der Leistungsfähigkeit wird immer häufiger erreicht
Sieben von zehn Beschäftigten im Groß- und Einzelhandel gehen bei der Arbeit an ihre Grenzen. Das schlägt sich im Krankenstand nieder: Vor allem psychische Erkrankungen sind die Ursache für jeden sechsten Fehltag. Welche Faktoren für eine positive Sicherheits- und Gesundheitskultur im Einzelhandel daher gegeben sein müssen, erläutert Sandra Rulinski, Leiterin des Dezernats Gesundheitsschutz der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW).
Frau Rulinski, 3,4 Millionen Beschäftigte im Groß- und Einzelhandel gehen bei der Arbeit an ihre Grenzen. Warum ist das so?
Im Einzelhandel arbeiten neun von zehn Beschäftigten ausschließlich oder überwiegend mit Kunden, im Großhandel etwa zwei Drittel. In vielen Unternehmen bringt die Arbeit mit Kunden ein höheres Maß an Belastungen mit sich. Denn es gilt die Maxime: Der Kunde geht vor. Pausen und Feierabend stehen deshalb oft hinten an. Emotional belastend ist zudem der Zwang immer eine positive Haltung zu zeigen, auch wenn einem nicht danach zu Mute ist.
Welche Folgen hat dies für Beschäftigte?
Das hängt von der Sicherheits- und Gesundheitskultur (SGK) im Unternehmen ab. Unterstützung durch den Vorgesetzten, ein gutes Betriebsklima und vernünftig ausgestattete Arbeitsplätze tragen enorm zu einer positiven Stimmung im Betrieb bei. Der Druck, der auf den Mitarbeitern lastet, wird dadurch deutlich gemindert. Ist die Sicherheits- und Gesundheitskultur in Unternehmen schlecht ausgeprägt, leidet auch die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind häufiger krank und haben öfter Beschwerden. Da gibt es keine großen Unterschiede zwischen Groß- und Einzelhandel.
Wie ausgeprägt ist derzeit die aktuelle Sicherheits- und Gesundheitskultur in deutschen Unternehmen?
Der Branchenreport zeigt, dass die SGK nur mittelmäßig ausgeprägt ist. Das heißt jedoch nicht, dass es nicht Unternehmen mit einer hervorragenden SGK gibt. Betrachtet man jedoch die Gesamtheit der Beschäftigten, so wirkten sich folgende Faktoren eher negativ auf die SGK aus: fehlende Möglichkeiten der Partizipation, ein eher niedriger Stellenwert von Sicherheit und Gesundheit im Unternehmen und fehlende konkrete Angebote. Positiv gesehen wird hingegen von vielen Beschäftigten, dass die Arbeit in Handel vielfältig ist und die Belegschaft seltener als in anderen Brachen in belastenden Arbeitsumgebungen arbeiten muss. Arbeitspausen müssen zwar an das Kundenaufkommen angepasst werden, aber nur selten fallen Pausen ganz aus.
Wie wirkt sich diese auf die Beschäftigten aus?
Am meisten leidet die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind häufiger krank. Vor allem Muskel-Skelett-Erkrankungen machen den größten Teil der Fehltage im Groß- und Einzelhandel aus. Die Zahl der Unfälle ist im Übrigen seit Jahren rückläufig, in beiden Branchen.
Welche Faktoren müssen für eine positive Sicherheits- und Gesundheitskultur gegeben sein?
Wichtig sind ein gesunder Führungsstil, Möglichkeiten der Partizipation und eine gute Fehlerkultur im Unternehmen. Das ist fast genauso wichtig wie der Stellenwert, den Sicherheit und Gesundheit im Unternehmen genießen. Werden Sicherheit und Gesundheit im Unternehmen großgeschrieben, beeinflusst dies die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten stärker als Schulabschluss oder Alter.
Durch welche Mittel können diese erreicht werden?
Es hilft beispielsweise, wenn der Chef klare Anweisungen gibt und den Mitarbeitern im Umgang mit schwierigen Kunden den Rücken stärkt. Führungskräfte sollten außerdem offen mit Fehlern umgehen. Wo bestraft und beschuldigt wird, werden Unfälle oder Beinahunfälle oft verschwiegen. Wichtig ist auch der Belegschaft Mitsprache und Mitgestaltung einzuräumen, wenn es um ihr Arbeitsumfeld geht. Und zu guter Letzt hilft es, immer wieder Sicherheit und Gesundheit zu thematisieren, indem zum Beispiel das Betriebliche Gesundheitsmanagement ausgebaut, Weiterbildungen und Gesundheitstage angeboten oder die Pausenräume entsprechend gestaltet werden.
Themenkanäle: Personalmanagement