News • 03.08.2020

Intelligentes System prognostiziert Ankunft von Transporten

Wissenschaftler entwickelten ein intelligentes System, das Störungen in der Logistikkette vorhersagt

Frachter im Hafen
Quelle: PantherMedia / Corepics

Können Transportketten präzise prognostiziert werden? Bisher fiel die Antwort auf diese Frage sehr verhalten aus, da durch die Komplexität der einzelnen Transport- und Umschlagsprozesse sowie die Vielzahl an Störungen eine hohe Unsicherheit vorherrscht.

Dies hat weitreichende wirtschaftliche und ökologische Folgen für die weltweiten Logistiknetzwerke dahingehend, dass Lieferungen unpünktlich erfolgen, Transportmittel minder ausgelastet sind und der Koordinationsaufwand für die Akteure enorm ist.

Das kürzlich abgeschlossene Forschungsprojekt „Smart Event Forecast for Seaports“ (SMECS) hat nun eine Lösung für dieses Problem erarbeitet, indem gezielt die Potenziale von Künstlicher Intelligenz (KI) eingesetzt wurden.

Mithilfe verschiedener Verfahren des Maschinellen Lernens wurde ein intelligentes System entwickelt, das die Ankunftszeit von Transporten mit Lkw und Zug über Straße und Schiene prognostiziert, um das pünktliche Eintreffen von Containern an wichtigen Prozessabschnitten wie dem Seehafen frühzeitig bewerten zu können.

Den beteiligten Unternehmen werden neben dieser ETA-Information (Estimated Time of Arrival) proaktiv Ineffizienzen und Störungen entlang der Logistikkette sowie geeignete Handlungsmaßnahmen aufgezeigt. Die Entwicklung des KI-Systems und die Leitung des Projektes erfolgte durch das Fachgebiet Logistik der TU Berlin von Prof. Dr.-Ing. Frank Straube in Zusammenarbeit mit DB Cargo und der Kühne Logistics University (KLU).

Historische Daten trainieren Algorithmen

„Um Prognosen erstellen zu können, wurde die Transportkette in verschiedene Teilabschnitte – Lkw-Transport, Umschlag auf den Zug, Zugtransport – zerlegt, für die jeweils wiederum individuelle IT-Modelle mit unterschiedlichen Algorithmen entwickelt wurden“, erläutert Prof. Dr.-Ing. Frank Straube.

Hierzu gehören neben Prognosemodellen für den Straßen- und Schienentransport auch Lösungen für Umschlags- und Rangierprozesse in den logistischen Knotenpunkten. „Die Lernalgorithmen wurden mit historischen Daten von vier Jahren aus insgesamt 15 verschiedenen IT-Systemen der beteiligten Unternehmen gefüttert.

Für die drei ausgewählten Transportstrecken von Leipzig, München und Regensburg nach Hamburg umfasste dies unter anderem 50.000 Schienentransporte, 96.000 Straßentransporte sowie 8,6 Millionen containerbezogene Statusmeldungen“, so Peter Poschmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am TU-Fachgebiet Logistik.

Neben Informationen über den genauen Verlauf der Transporte beinhalteten diese Daten rund 50 im Projekt ermittelte Faktoren, die Einfluss auf die Abläufe der einzelnen Prozesse haben. Dazu gehören betriebliche Informationen wie Personaleinsatzplanungen, Fahrzeugeigenschaften, Strecken- und Infrastrukturauslastungen sowie externe Faktoren, zum Beispiel Baustellen und Wetterbedingungen.

Auf Basis der historischen Daten lernten die Algorithmen die Zusammenhänge zwischen diesen Einflussfaktoren und den Prozesszeiten und wenden dieses Wissen auf neue, unbekannte Fälle an.                             

KI-basierte Entscheidungsassistenz

Im Anschluss an die Entwicklung der einzelnen Prognosemodelle erfolgte deren Integration in ein Gesamtsystem, das die Berechnung einer „Door-to-Port-ETA“ für Transportaufträge zulässt. Durch das Zusammenspiel von durchschnittlich 100 Modellen pro Auftrag kann in den meisten Fällen eine sehr hohe Genauigkeit der Prognose erreicht werden.

Demnach wird unter anderem der Teilprozess der Schienentransporte bei Fahrzeiten von über zehn Stunden mit einer Genauigkeit von 86 Prozent prognostiziert. Für die mitunter mehrtägigen Gesamttransporte vom Hinterland in die Häfen belaufen sich die Abweichungen der Prognosen zu den tatsächlichen Zeiten für viele Aufträge im zweistelligen Minutenbereich, also zwischen zehn Minuten und anderthalb Stunden – auch im Falle von größeren Störeinflüssen.

„Die Möglichkeit, Live-Prognosen für die geplanten Ankunftszeiten von Güterzügen zu erstellen, spielt für DB Cargo eine Schlüsselrolle", betont Dr. Bernd Pahnke, SMECS-Projektleiter bei der DB Cargo und Sprecher der Geschäftsführung der TFG Transfracht.

„Durch die Forschungen der TU Berlin und der KLU haben wir ein besseres Verständnis der wichtigsten Einflussfaktoren gewonnen und mögliche Ansatzpunkte für eine proaktive Steuerung der Transporte identifiziert.“

Das Prognosesystem des SMECS-Projektes wurde zusätzlich um eine KI-basierte Entscheidungsunterstützung ergänzt, die in Abhängigkeit der ETA-Prognose Anschlusskonflikte der einzelnen Prozesse automatisch detektiert und den beteiligten Akteuren Empfehlungen für optimierende Maßnahmen bereitstellt.

„Hierdurch werden die Akteure befähigt, potenzielle Störungen und Prozessverzögerungen frühzeitig zu erkennen und zielgerichtet einzugreifen“, sagt Manuel Weinke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am TU-Fachgebiet Logistik.

Interaktive Erprobung der Ergebnisse durch Web-Demonstrator

Um die Ergebnisse des Projektes der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde das entwickelte Prognosesystem kürzlich in eine webbasierte Anwendung in Form eines Demonstrators überführt. Diese Darstellung gibt den Anwendern die Möglichkeit, die Potenziale von KI am Beispiel ausgewählter historischer, anonymisierter Transportaufträge interaktiv zu erproben.

„Das Projekt beweist die Machbarkeit KI-basierter Prognosen und zeigt die strategische Bedeutung von Daten für die Logistik“, betont Prof. Dr.-Ing. Frank Straube.

Das SMECS-Projekt wurde im Rahmen der Initiative „Innovative Hafentechnologien“ (IHATEC) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) von 2017 bis 2020 gefördert. Aktuell erforscht das Fachgebiet Logistik der TU Berlin zudem die Möglichkeiten zur KI-basierten Fahrtzeitprognose in der Binnenschifffahrt.

Im kürzlich gestarteten Projekt „Smarte Entscheidungsassistenz für Logistikketten der Binnenschifffahrt durch ETA-Prognosen“ (SELECT) werden gemeinsam mit Reedereien und Hafenbetreibern intelligente Vorhersagesysteme entwickelt. Es wird ebenfalls für drei Jahre vom BMVI gefördert.

Der Demonstrator kann hier aufgerufen werden.

Quelle: TU Berlin, Fachgebiet Logistik

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