Category Management ist ein wesentliches Forschungsfeld von Prof. Dr. Hendrik Schröder. Seit 1996 hat er einen Lehrstuhl an der Universität Duisburg-Essen. Von Modebegriffen wie Omnichannel-Marketing hält er wenig. Die Kunden wollten schon immer auf allen jeweils möglichen Kanälen bedient werden. Schon immer haben sie gute Beratung gesucht und dann doch da gekauft, wo es am billigsten ist. Und auch die sozialen Netzwerke sind nicht neu: Die Empfehlungen von Freunden waren auch vor Twitter und Facebook wichtig. Geändert hat sich die Technik und hier muss der Handel Schritt halten, sagt Schröder im EuroCIS-Interview.
Omnichannel-Marketing heißt die neueste Forderung: die Kunden auf allen Kanälen bedienen. Was meinen Sie dazu?
In der jüngeren Vergangenheit sind immer wieder neue Begriffe aufgetaucht, um das Phänomen zu beschreiben, dass ein Anbieter seine Leistungen über mehrere Kanäle offeriert. Da ist zum Beispiel von Multiple Channel Marketing, Multi Channel Marketing und Cross Channel Marketing die Rede. Es kommt nicht darauf an, wie etwas genannt wird, sondern um welchen Inhalt es geht. Zu viele Begriffe, die dasselbe meinen, irritieren nur. Daher macht mich ein Begriff wie Omnichannel-Marketing nicht glücklich.
Wie berechnet man den ROI bei der Einführung neuer Kanäle? Schließlich lässt sich kaum sagen, wer ohne die neue Maßnahme abgewandert wäre.
Der Wunsch, den Erfolg eines Kanals zu prognostizieren, ist nachvollziehbar. In der Tat ist es schwierig vorherzusehen, in welchem Umfang neue Kunden gewonnen werden können und in welchem Umfang die Abwanderung von Kunden verhindert werden kann, wenn ein neuer Kanal eingeführt wird. Je mehr Wettbewerber sich jedoch dafür entscheiden, ihre Leistungen über mehrere Kanäle anzubieten, umso eher wird man gezwungen sein, dieser Entwicklung zu folgen. Im Übrigen sollte man einmal darüber nachdenken, nicht den Erfolg von Kanälen, sondern den Erfolg von Kunden beziehungsweise Kundengruppen zu messen.
Von Second Life redet niemand mehr, alle wollen Facebook, Twitter und Youtube. Warum ist Social Media kein neuer kurzer Hype, sondern tatsächlich ein Umbruch?
Second Life und Social Media sind zwei völlig verschiedene Bereiche und lassen sich daher nicht vergleichen. Den Wunsch, neue Bekannte und Freunde zu finden, sich mit ihnen auszutauschen, ihren Rat einzuholen oder ihnen Ratschläge zu geben, hat es schon immer gegeben. Heute findet diese Art der Beziehungspflege eben auf elektronischem Wege statt. Jeder Teilnehmer eines solchen Netzwerkes wird Erfahrungen machen, welchem Bekannten oder Freund er vertrauen kann, welche Bekannten oder Freunde ihm nutzen. Entsprechend werden sich die Netzwerke entwickeln, was die Zahl der Teilnehmer und die Intensität der Beziehung anbelangt.
Online-Aktivitäten macht ein Händler besser nicht nebenher. Wie berechnet man den Personalbedarf?
Wer einen Online-Shop einführen will oder „nur“ Online-Kommunikation betreiben will, steht vor der Frage, in welchem Umfang er dies selbst tun oder Dritten übertragen will. Der angesprochene Personalbedarf besteht in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Mit der Aufnahme von Online-Aktivitäten kommen neue Tätigkeiten auf einen Händler zu. Diese Tätigkeiten gilt es zunächst zu identifizieren. Der nächste Schritt ist, zu entscheiden, wie umfangreich die einzelnen Aktivitäten ausgeübt werden sollen. Aus dem Mengen- und Zeitgerüst lassen sich Mannstunden berechnen. Soweit die bisherigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über entsprechende Qualifikation und zeitliche Freiräume verfügen, lassen sie sich für die neuen Tätigkeiten einsetzen. In der Regel wird man gut beraten sein, Spezialisten einzustellen.
Ist Outsourcing eine Alternative? Für fast alles gibt es Partner, von der Shop-Administration über die Logistik – insbesondere die aufwändigen Retouren – bis hin zu Online-Agenturen.
Dies ist eine klassische Frage der Betriebswirtschaftslehre: make or buy. Für das Outsourcing sprechen in der Regel die höhere Spezialisierung und die höhere Flexibilität, was die Änderung von Personalkapazitäten betrifft. Outsourcing geht aber in der Regel auch einher mit höheren Kontrollkosten und einer höheren Abhängigkeit. Insoweit muss jeder Händler für sich entscheiden, welche Lösung für ihn die beste ist. Mein Rat lautet: Systematisch die Einflussfaktoren für die Entscheidung heranziehen.
Rewe, Marktkauf, Netto – viele Händler werden gehackt. Investiert der Handel zu wenig in Internet-Sicherheit?
Das kann ich nicht beurteilen, da ich die Sicherungssysteme nicht kenne. Auch weiß ich nicht, auf welchem Weg man sich Zugang zu den Daten verschafft hat.
Stichwort LEH: Wegen der aufwändigen Frische-Logistik tun sich hier Online-Shops schwer. Welchen Trend sehen Sie?
Zunächst geht es darum, die Logistik-Prozesse für Frische zu beherrschen. Stationäre Lebensmitteleinzelhändler können die Kapazitäten dafür selbst aufbauen oder sich mit Partnern aus dem Online-Handel zu einer strategischen Partnerschaft zusammenschließen, wie dies tegut mit www.gourmondo.de getan hat. Entscheidend dürfte sein, ob die Händler in der Lage sind, die Frischware zu dem Zeitpunkt den Kunden zu liefern, den sie erwarten, und ob dies unter annehmbaren Kosten beziehungsweise Preisen möglich ist.
Ich sehe weniger technische Probleme bei der Lieferung und eher Probleme, was die Lieferorte und Lieferzeiten betrifft. Möglicherweise sind die Wünsche der Kunden so vielfältig, dass sie sich unter Rentabilitätsgesichtspunkten nicht umsetzen lassen. Die Preise hierfür würden so hoch sein, dass sich für viele Kunden eher der Gang in das stationäre Geschäft lohnt. Vielleicht bilden sich aber auch Spezialisten für den Online-Verkauf von Frischware heraus. Denkbar ist zum Beispiel, dass ein Logistik-Spezialist für unterschiedliche Händler tätig ist. Die Endkunden bestellen bei den Händlern die Ware, der Logistik-Dienstleister holt sie ab und liefert sie an die Endkunden aus.
Wie kann sich der Fachhandel wehren gegen „Beratungsdiebstahl“? Kunden nutzen die Beratung im Geschäft und kaufen dann billig online.
Der Beratungsdiebstahl ist im Einzelhandel ein altes Thema, das es schon lange vor der Einführung von Online-Shops gab. Das Schmarotzen oder das Trittbrettfahren ist aufgekommen, als neue Betriebstypen entwickelt wurden, die ganz oder weitgehend auf Beratung verzichteten. So wie seinerzeit die Kunden begonnen haben, sich im Facheinzelhandel beraten zu lassen und dann beim Discounter zu kaufen, so tun sie dies heute unter Einbeziehung der Online-Shops. Dies ist ein völlig normaler Vorgang in funktionierendem Wettbewerb. Jeder Kunde sollte sich aber überlegen, ob der Nutzen, im Onlineshop zu kaufen, für ihn tatsächlich höher ist, als im stationären Facheinzelhandel zu kaufen. Es gibt eine Reihe guter Gründe, im Facheinzelhandel zu kaufen. Sie liegen sicherlich zum einen in der Beratung vor dem Kauf, sie liegen darüber hinaus auch in der Nachkauf-Phase. Man denke hier nur an Fragen zum Umgang mit den Produkten, an Umtausch und Reklamationen. Auf der anderen Seite darf man nicht übersehen, dass Onlines-Shops teilweise ein umfangreiches Beratungsangebot haben, in Text, Bild und Ton. Wer sich damit etwas genauer beschäftigt, muss feststellen, dass die Beratungsleistung eines Online-Shops durchaus auf einem sehr hohen Niveau sein kann.
Obwohl sie von Lieferdiensten profitieren könnten, sind viele Senioren noch immer nicht online. Ist E-Commerce für die alternde Gesellschaft nicht attraktiv?
Die alternde Gesellschaft wird immer jünger. Das betrifft die heute 70-, 80- und 90-Jährigen im Vergleich zu den entsprechenden Altersgruppen vor einigen Jahrzehnten, und das betrifft vor allen Dingen diejenigen, die in 10 oder 20 Jahren dieses Alter erreicht haben. Ich halte die Diskussion darüber, ob E-Commerce für ältere Menschen nicht geeignet ist, für überflüssig. So wie es jetzt viele junge Menschen gibt, die es lieben, in den stationären Einzelhandel zu gehen, so gibt es mittlerweile viele Senioren, die den Zugang zum Internet gesucht und gefunden haben und sich dort wohl fühlen. Jede Zeit hat ihre Neuerungen. Manche geraten bald in Vergessenheit, manche werden dauerhaft sein. Die Menschen werden sich darauf einstellen.
Sind Sie als E-Commerce-Forscher auch privat E-Shopper? Was bestellen Sie online, was werden Sie auch künftig im Laden kaufen?
Ja, ich nutze in vielen Bereichen die Möglichkeit, mich online zu informieren und auch in Onlineshops zu kaufen. Gleichzeitig ist es mir bei bestimmten Produkten wichtig, einen guten Händler vor Ort zu haben, der mich vor dem und nach dem Kauf gut versorgt.
René Schellbach, Erstveröffentlichung EuroCIS.com
Weiterei Informationen
www.marketing.wiwi.uni-due.de