Es klingt nach einer bahnbrechenden Marketing-Erfindung: Werbebildschirme sollen ihre Betrachter zuordnen können - nach Geschlecht oder Alter. Die Botschaft kann so blitzschnell an ihre Zielgruppe angepasst werden. Bislang hat sich die neue Technologie aber nicht auf dem Markt etabliert.
Digital Signage hat sich im deutschen Einzelhandel noch nicht ganz durchgesetzt, da ist schon die Zukunft der Werbebildschirme entwickelt: Face-Tracking ist seit einigen Monaten marktreif. „Das ist dann die nächste Generation von Digital Signage, sozusagen Digital Signage 2.0“, erklärt Oliver Schwede von Invidis Consulting, einem Beratungsunternehmen für Kommunikation und Marketing.
Mit Face-Tracking erkennen Werbebildschirme, ob ein Mann oder eine Frau, ein junger oder ein alter Mensch vor ihnen steht - per Kamera, Rechner und einer speziellen Software, die eine Fotografie des Betrachters mit einigen Tausend Gesichtern auf dem Rechner vergleicht. Das Gesicht wird mithilfe dieser Schablonen nachmodelliert. Wenn beispielsweise 70 Prozent Männer- und nur 30 Prozent Frauenanteile registriert werden, dann wird die Werbebotschaft, die über den Bildschirm läuft, sofort angepasst. Statt Chanel No 5 zeigt das System Davidoff an, statt Blusen gibt es Herrenhemden.
„Aus Marketing-Sicht ist die Individualisierung der heilige Gral“, meint Max Gutberlet, Strategic Marketing Manager von Hughes Network Systems Europe, selbst Anbieter der neuen Technologie. Kennt man nämlich neben dem Geschlecht auch das Alter der potentiellen Kunden, können die Bedürfnisse gezielter bedient werden: Zwei ältere Damen werden dann mit einem vorbeischippernden Kreuzfahrtschiff beworben, während junge Mädchen mit einem Flug nach Mallorca angesprochen werden können.
Trifft man mit den Clips die Interessen des Kunden, hat das einen konkreten Vorteil: „Kundenrelevanter Inhalt nervt weniger beim Einkaufen. Er kann sogar als Hilfe empfunden werden, die Einkaufsentscheidung zu treffen“, erklärt Jürgen Berens von Rautenfeld, CEO und Präsident der Online Software AG, die ebenfalls Face-Tracking-Lösungen im Portfolio führt. Das kann die Firma Hughes bestätigen, die ihr System gerade bei einem Kunden in den USA testet. „Je schärfer wir die Werbebotschaften auf die entsprechende Kundengruppe zuschneiden können, desto besser“, so Gutberlet. Nach Aussage des Kunden laufe die Pilotstudie bislang sehr gut, „mit einer Trefferquote von 99,5 Prozent.“
Die verkaufsfördernde Erfindung ist selbst noch kein Bestseller
Trotzdem kann man in Deutschland und dem Rest der Welt viele Einkaufsläden besuchen, ohne auf die neue Technologie zu stoßen. Die Erfindung, die den Verkauf ankurbeln soll, ist selbst noch kein Bestseller. Die Händler zögern, sich der Weiterentwicklung zu bedienen. Auch das Werben mit Hilfe von Digital Signage wartet noch auf einen Durchbruch. „Wer heute in Deutschland noch kein Digital Signage einsetzt, hat deswegen noch keinen Wettbewerbsnachteil“, meint Schwede von Invidis Consulting. „Aber man beschäftigt sich überall mit dem Thema, und ich glaube, dass es in zehn Jahren ein verkaufsförderndes Instrument sein wird, das Unternehmer einsetzen sollten.“ Plakate seien zu eingeschränkt, das Wechseln der Werbebotschaften zu mühsam. Digital Signage dagegen locke die Betrachter mit bewegten Bildern und schnell wechselnden Inhalten.
So mancher Unternehmer ist aber generell skeptisch gegenüber der Werbewirksamkeit von Digital Signage. „Obwohl bei Plakaten niemand daran zweifelt“, sagt Schwede. In einer Studie wurde die Wirksamkeit der modernen Werbemethode untersucht – mit positiven Resultaten. „Es wurden Artikel geprüft, die sich im Preis und in der Zielgruppe ähnelten.“ Die Produkte, die in Videoclips vorkamen, wurden in der Testphase öfter gekauft. Es fehle aber nichtsdestotrotz in mancherlei Hinsicht noch an Erfahrung mit dem verkaufsfördernden Instrument: „Es läuft alles noch ein bisschen nach dem Trial-and-Error-Prinzip“, so Schwede.
Das gilt auch für die Weiterentwicklung mit Hilfe des Face-Tracking. So wisse man zum Beispiel noch nicht, ob es mehr Sinn macht, die Kunden nach Alter oder nach Geschlecht zu differenzieren. Oder wie der Bildschirm am besten reagiert, wenn Kunden aus verschiedenen Zielgruppen vor ihm stehen. Das relativ neue Medium muss sich also in der Praxis noch beweisen. Und da möchte „niemand den ersten Schritt machen“, beobachtet Gutberlet von Hughes. Der Grund: Die Umstellung von Plakatwerbung auf Digital Signage ist mit Schwierigkeiten verbunden: „Die meisten Netze im Einzelhandel sind für eine relativ kleine Datenmenge ausgelegt.“ Eine Minute Werbespots hat aber etwa 20 Megabyte. Eine Supermarkt-Kette mit 40.000 Standorten, an die 20 Megabyte gleichzeitig verschickt werden muss, benötigt entsprechende Bandbreiten. „Das geht ins Geld“, erklärt Gutberlet. Daher ist das nächste Etappenziel, die Systeme technisch so zu gestalten, dass sie billiger werden. Die Industrie arbeitet schon daran.
Anke Barth
iXtenso.com