Inventur und Diebstahl: Deutschland als Schlaraffenland?

Frank Horst vom EHI Retail Institute im Interview über die aktuelle Inventurdifferenzen-Studie 2025, fehlende Strafverfolgung und KI-Kameras

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Quelle: iXtenso/Laska

Ob organisierte Kriminalität oder spontane Gelegenheitsdiebstähle: Die Ursachen für Inventurdifferenzen sind vielfältig – und nehmen zu. Frank Horst vom EHI Retail Institute hat auf dem „Inventur- und Sicherheitskongress 2025“ aktuelle Daten vorgestellt. Wo gibt es Probleme und Versäumnisse und wie kann reagiert werden?  

Herr Horst, was hat Sie im aktuellen Inventurbericht positiv überrascht?

Frank Horst: Ich hatte – basierend auf den Rückmeldungen der Händler – mit noch schlechteren Zahlen bei den Inventurdifferenzen gerechnet. Auch der Verlust durch Ladendiebstahl, also Kundendiebstahl während der Öffnungszeiten, schien zunächst höher auszufallen. Trotzdem: Ein Anstieg um 5 % klingt zwar nicht dramatisch, ist aber durchaus enorm – zumal wir im Vorjahr bereits einen Zuwachs von über 15 % verzeichnet haben. In der Summe ist das ein trotzdem ein signifikanter Anstieg.

Was bereitet Ihnen im Hinblick auf die Zukunft besondere Sorgen?

Der gewerbsmäßige Diebstahl beschäftigt mich seit Jahren. Deutschland ist in dieser Hinsicht leider ein Schlaraffenland. Wir haben es im Laufe des Kongresses öfter gehört – sehr lasch ist. Es gab ja sogar Aussagen bis hin zum Staatsversagen. In der Öffentlichkeit wird das noch gar nicht so wahrgenommen.   

Was muss passieren, damit diese Diebstähle zurückgehen? 

Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn die Gesetzgebung oder die Strafprozessordnung dahingehend geändert wird. Es müssen angemessene Strafen für diese Bereiche erfolgen. So wäre Deutschland für die gerade für die ausländischen Banden, die als Reisende unterwegs sind – über mehrere Wochen, mehrere Monate – nicht mehr so attraktiv ist.

Mann mit Brille steht am Pult und hält einen Vortrag...
Frank Horst, Leiter FB Sicherheit + Inventurdifferenzen beim EHI
Quelle: iXtenso/Laska

Auch die Zahl der Gelegenheitstäter steigt. Wie interpretieren Sie das?

Rechnerisch sprechen wir von rund 24,5 Millionen nicht entdeckten Diebstählen – ein Rekordwert. Früher lag diese Zahl eher bei 20 bis 25 Millionen. Vor allem im Lebensmittelhandel beobachten wir Diebstähle in Warengruppen, die früher kaum betroffen waren – etwa Fleisch- oder Käseprodukte aus den Bedienungstheken. Dabei sind es auch Rentner*innen, oder Familien mit Kinderwagen, die beim Diebstahl erwischt werden. Ob dahinter finanzielle Not oder eine Form des Protests gegen steigende Preise steckt, lässt sich schwer sagen – vermutlich beides. Hinzukommt auch die politische Diskussion, in der Diebstahl öfter zum Bagatelldelikt herabgestuft wird. Zum Glück ist er bisher noch eine Straftat.

Wie bewerten Sie die Reaktion von Polizei und Justiz auf die Entwicklung? 

Man muss auch sehen: Diebstahl ist ein Massendelikt. Es sind über 400.000 Fällen pro Jahr. Da muss man auch irgendwie durchkommt. Auch da habe ich Verständnis. Trotzdem ist es frustrierend, wenn die Polizei nicht mehr ausrückt, etwa bei unbekannten Täter*innen, die sich nicht ausweisen können. Das wirkt sich auf das Anzeigeverhalten der Händler*innen aus: Viele verzichten, weil sie wissen, dass die Verfahren ohnehin eingestellt werden oder Täter*innen sogar mehrfach am Tag auffällig werden, ohne Konsequenzen. Deshalb wird das sogenannte Dunkelfeld immer größer. Die offiziellen Zahlen erfassen nur einen Teil der Realität. Unsere Inventurdaten helfen, das Gesamtbild besser einzuordnen.

Welche Rolle spielen neue Technologien wie KI und Self-Checkout bei der Diebstahlsprävention?
Eine große. Vor allem KI-basierte Kamerasysteme sind ein wichtiger Baustein – sei es zur Produkterkennung oder zur Analyse von Bewegungsmustern. Viele Händler*innen testen derzeit entsprechende Systeme, allerdings sind deren Einsatzmöglichkeiten begrenzt, wenn das Personal zur Reaktion auf Alarme fehlt. Besonders bei Self-Checkout-Kassen kann KI effektiv unterstützen, da Produkte dort einfacher zu erkennen sind als etwa im Bekleidungshandel.

Ein Kuchendiagramm, welches verdeutlicht, wer für Diebstahl im...
Quelle: EHI-Studie Inventurdifferenzen 2025

Worin liegen die Herausforderungen für Händler*innen beim Einsatz von KI-gestützten Kameras?

Die Erfassungsgenauigkeit spielt eine wichtige Rolle. Eine enge Fokuszone bringt hohe Trefferquoten, übersieht aber vieles. Größere Erfassungsbereiche erkennen mehr, aber können nicht immer zwischen mitgebrachten Gegenständen und gestohlenen Produkten unterscheiden. Hier braucht es große Datenmengen und eine kontinuierliche Verbesserung der Systeme.

Welche weiteren technischen Entwicklungen sind relevant?

Auch klassische Warensicherungen entwickeln sich weiter – etwa durch automatische Deaktivierung an SB-Kassen oder stille Alarme bei der Entnahme mehrerer Produkte. Diese Systeme müssen jedoch zum jeweiligen Umfeld passen.  Letztlich ersetzen technische Lösungen nicht das Personal, oder? Genau, das ist ein weiteres problem, wenn es um Inventurdifferenzen und Diebstähle geht. Die Zahl der Mitarbeitenden im Handel sinkt – teils auch, weil sich viele aus Sicherheitsgründen nicht mehr wohlfühlen.

Wie wirkt sich das auf das Personalmanagement im Handel aus?

Einige Unternehmen haben zunehmend Schwierigkeiten, Personal für bestimmte Standorte zu finden. Sicherheitspersonal und Doormen übernehmen heute nicht nur die Warensicherung, sondern auch den Schutz von Mitarbeitenden und Kundschaft. In Innenstädten wie Berlin oder Hamburg geht es auch darum, problematische Personengruppen fernzuhalten – etwa Betrunkene oder Drogenabhängige, die als potenziell anders verhalten könnten. Wir sehen aber auch durch diese den Personalschwund mehr Investitionen in diesem Bereich.

Die gesamte Studie zum Download gibt es beim EHI

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