Seit acht Jahren gibt es die Blockchain bereits. Neu ist, dass immer mehr Branchen, so nun auch der Lebensmittel-Einzelhandel, die Technologie für sich entdecken. Sie soll wirtschaftliche Prozesse optimieren und allen Akteuren Einblick in Echtzeit gewähren.
Vereinfacht gesagt, ist die Blockchain eine dezentrale Datenbank. Sie ermöglicht die sichere, verifizierbare und manipulationssichere Durchführung von Transaktionen im Internet. „Im Prinzip kann man sich die Blockchain wie ein Kassenbuch vorstellen, in das Transaktionen geschrieben werden. Diese können von jedem eingesehen werden, da jeder Teilnehmer über eine digitale Kopie des Kassenbuches verfügt. Ist eine Seite des Buches voll, ist ein Block erreicht“, erläutert Stephan Zimprich, Leiter der Kompetenzgruppe Blockchain beim eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.
Um sicherzustellen, dass ein Block nicht manipuliert wurde, müssen die Teilnehmer des Netzwerkes diesen abschließend validieren. In der öffentlichen Bitcoin-Blockchain erfolge die Validierung über den Proof-of-work-Algorithmus. Hierfür muss eine sehr komplexe Rechenaufgabe gelöst werden. Derjenige, der die Aufgabe als erstes löst, bestätigt die Gültigkeit des Blocks.
Im Zuge dieser Validierung wird dann ein sogenannter Hashwert, eine Art Kennziffer, gebildet. Will man einen Block nachträglich ändern, stimmt dieser Hashwert nicht mehr mit dem Inhalt überein. Diese Validierungsmechanismen sind es, die die Blockchain so manipulationssicher machen. Der Hashwert eines Blocks wird in den nächsten Block übernommen und somit eine Verknüpfung hergestellt. Daher stammt auch der Name Blockchain – also „Blockkette“.
Anders als bei öffentlichen ("public") Blockchains wie etwa der Bitcoin-Blockchain werden bei privaten oder auch permission-based Blockchains nur bestimmte, ausgewählte Teilnehmer zum Netzwerk zugelassen und teilweise zentral von einigen der Teilnehmer kontrolliert. Hiermit gehen einige Vorteile der öffentlichen Blockchain insbesondere im Hinblick auf Sicherheitsaspekte verloren – allerdings können solche Umsetzungen schneller und besser skalierbar sein.
Zurzeit steht das Thema Blockchain in vielen Wirtschaftssektoren weit oben auf der Agenda – angestoßen insbesondere durch die Entwicklung von "Ethereum", einer Blockchain-Lösung, die eine eigene Programmiersprache mitbringt und so selbstausführende Anwendungen – sogenannte Smart Contracts – ermöglicht. „Wir verzeichnen in den letzten 18 Monaten eine enorme Entwicklungsgeschwindigkeit, sowohl auf Seiten internationaler Konsortien als auch bei Start-Ups", sagt Zimprich, "allerdings handelt es sich hier um Basistechnologie, und viele Ideen und Anwendungen sind allenfalls im Stadium von Prototypen."
Potenzial für den Einzelhandel liegt in Optimierung der Supply Chain
In der Logistik sieht Zimprich aktuell das größte Anwendungspotenzial für den Einzelhandel. Insbesondere, wenn Warenein- und -ausgänge automatisch als Transaktion in die Blockchain geschrieben werden, entstehe so ein eingebauter Audit-Trail, eine automatisierte Prüfung und Überwachung der Supply Chain. Prozesse könnten so enorm vereinfacht und beschleunigt werden, da der Warenbestand jederzeit aktuell ist. Voraussetzung sei aber immer, dass alle Beteiligten an diesem Prozess mitmachen und das System akzeptieren.
Der Blockchain-Kooperation gehören neben Walmart Dole, Driscoll’s, Golden State Food, Kroger, McCormick and Company, McLane, Nestlé, Tyson Foods und Unilever an.
Erste Akteure aus der Lebensmittelindustrie und dem Einzelhandel sind daher bereits eine Kooperation eingegangen, um die Lebensmittelsicherheit zu erhöhen. Die Idee, hierfür eine Blockchain zu nutzen, stammt von Walmart und wurde technisch umgesetzt von IBM. Nun treten weitere Unternehmen dem Zusammenschluss bei.
Angel Gonzalez, Executive IT Specialist im Bereich Blockchain bei IBM Deutschland erklärt die Hintergründe: „Leider ist es immer noch so, dass gerade in diesem Bereich die Herkunft bestimmter Lebensmittel und auch ihrer Transportwege sehr intransparent sind. So entstehen an verschiedenen Punkten der Lieferkette potenziell unterschiedliche Versionen der Daten. Wenn es darum geht, dass Firmen auf globaler Ebene zusammenarbeiten und ein gemeinsames Netzwerk nutzen, funktioniert diese Methode nicht mehr.“
Blockchain soll Vertrauen in Lebensmittelsicherheit zurückbringen
Die Blockchain bringe nun nicht nur die technischen Voraussetzungen, um logistische Prozesse in einem globalen Netzwerk offen zu legen, sondern auch alle notwendigen Sicherheitseigenschaften. Gedacht ist sie für Landwirte, Erzeuger, Lieferanten, Distributoren, die verarbeitende Industrie, Behörden, Einzelhändler aber auch Verbraucher.
Über die Blockchain können sie gesicherte und verlässliche Informationen über die Herkunft und den Zustand der Nahrungsmittel erhalten. Der Zugang zu Detailinformationen ist jedoch genau geregelt. Einkaufs- und Verkaufspreise werden hier nicht aufgelistet. Jeder Partner erhält die Informationen, die für ihn relevant sind. Zusätzlich wird jede Transaktion – wie auch in der öffentlichen Blockchain – von allen Teilnehmern geprüft und freigegeben. So entsteht eine sogenannte „single version of truth“, eine einheitliche Version dessen, was als korrekt betrachtet wird.
Gonzalez betont: „Aus technischer Sicht kann jeder, der über einen Internetzugang und Rechnerkapazitäten verfügt, die Blockchain-Technologie nutzen. Generell basiert die Anwendung auf einem Open-Source-Modell. Hierfür bieten wir von Cloudlösungen über Clients für Smartphones jede erdenkliche Lösung an.“
Jede Transaktion kann in Echtzeit nachvollzogen werden. Tritt nun eine Unstimmigkeit auf, wird also beispielsweise die Kühlkette eines Produktes nicht konsequent eingehalten, so erhält jeder Teilnehmer, der von der Transaktion betroffen ist, eine Benachrichtigung. Innerhalb von Sekunden lässt sich dann nachvollziehen, welches Produkt betroffen ist, da Produktinformation wie Herkunftsbetrieb, Chargennummer, Verarbeitungsdaten, Ablaufdaten und Lieferungsdetails in der Blockchain gespeichert sind. Lebensmittelhändler und andere Mitglieder des Netzwerkes können so verunreinigte Produkte sehr schnell bis zu ihrer Quelle zurückverfolgen, entsprechende Produkte umgehend aus dem Verkauf nehmen und die Ausbreitung von Krankheiten eindämmen.
Transparenz auch für den Endverbraucher schaffen
Aber nicht nur die Lebensmittelsicherheit ist ein wesentlicher Treiber der Blockchain. In Zeiten des Veganismus und anderen nachhaltigen Lebensweisen spielt insbesondere die Herkunft und Verarbeitung von Lebensmitteln eine zentrale Rolle. Die Informationen sollen daher zukünftig nicht nur in der Blockchain verfügbar sein. Walmart hat hierfür eine eigene Shopping-App konzipiert, die sich aktuell noch in der Designphase befindet. Kunden sollen damit zukünftig über den Barcode des jeweiligen Produktes alle für sie relevanten Informationen abrufen können.
„Die Technologie bietet insbesondere für kleine Einzelhändler ein großes Potenzial, da sie häufig nicht über entsprechende Infrastrukturen verfügen. Der Händler zahlt eine kleine Grundgebühr, um das System nutzen zu können. Scannt er eigenständig Lebensmittel, kann sich diese ab einer gewissen Nutzung erhöhen. Aber im Prinzip ist der Investitionsaufwand eher gering.“
Auch die Fashion-Branche hat das Potenzial der Blockchain bereits für sich entdeckt. Hier geht es neben der Auskunft von bestimmten Materialien und deren Herkunft insbesondere darum, Produktfälschungen schnell zu erkennen und zu melden. „Hier sind wir aktuell in Verhandlungen mit einem Fashion-Anbieter“, bestätigt Gonzalez.