Lebensmittelrettung: Ökologisch, sozial und ressourcenschonend

SirPlus kämpft gegen Verschwendung im Lebensmitteleinzelhandel

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Quelle: SIRPLUS

Mit insgesamt über 530 Quadratmetern Verkaufsfläche sind die SirPlus-Filialen nicht mehr zu übersehen.

Die Lebensmittelretter aus Berlin sind mittlerweile durch Funk, Fernsehen und natürlich ihre enorme Online-Präsenz bekannt. Ihre Mission? Lebensmittel retten, Lösungen finden und ein Bewusstsein für die Verschwendung schaffen. Nun eröffneten sie schon ihren dritten Store in Berlin, diesmal in Kreuzberg. Wir sprachen mit einem der Gründer, Raphael Fellmer.

Raphael Fellmer;  SIRPLUS
Geschäftsführer Raphael Fellmer
Quelle: SIRPLUS

Raphael, es werden Unmengen von produzierten Lebensmitteln weggeworfen. Nicht nur von Supermärkten, sondern auch von Bauern und in den Haushalten.

Genau, es ist erschreckend. Wir wollen aber nicht belehren, sondern aufklären und vor allem dem Handel und den Produzenten eine konkrete Lösung anbieten, um Entsorgungskosten zu sparen und Verschwendung zu reduzieren. Die Problematik ist nicht jedem Bürger bewusst. Ähnlich wie das Plastik-Problem, das jetzt zum Glück immer mehr in den Fokus rückt. Bildungswesen, Handel und Politik müssen hier eigentlich ansetzen, damit jedem erstmal klar wird, dass zu viele Lebensmittel weggeschmissen werden, denn in den Privathaushalten fällt ein Großteil der Verschwendung in Deutschland an und das wollen wir ändern.

In vielen deutschen Köpfen herrscht das Vorurteil "Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen = giftig". Wie garantiert ihr, dass die Produkte trotz überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) noch in Ordnung sind?

Die Lebensmittel werden von unseren Lebensmittelhygieneexperten überprüft, sensorisch und im Labor. Nachdem diese Produkte für genießbar erklärt wurden, werden sie in den Online-Shop eingestellt bzw. in die Märkte gebracht. So haben wir bis heute schon über eine Million Produkte gerettet. Wir dürfen allerdings nur Produkte mit abgelaufenem MHD verkaufen, nicht mit abgelaufenem Verbrauchsdatum. Das ist verboten. Allerdings sind die Unterschiede vielen Verbrauchern gar nicht bewusst.

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Quelle: Ryota Abe

Wie geht ihr mit kritischen Kunden um?

Wir klären sie auf. Wir versichern, dass wir unsere Produkte zuvor testen und alles noch bestens genießbar ist. Unser Ziel ist aber, dass sie selbst beginnen, ihre Sinne zu benutzen. Nicht nur auf das Datum schauen, sondern selbst sehen, riechen, schmecken und erkennen, ob ein Produkt noch gut ist. Nicht einfach ungeöffnet wegwerfen.

Wer lässt sich darauf ein, für solche Produkte zu bezahlen? Gibt es einen typischen Kunden?

Unsere Kunden sind grundsätzlich bunt durchmischt. Uns liegt es am Herzen, allen Menschen die Möglichkeit zu geben, zum Lebensmittelretter zu werden, also zu einem Teil der Lösung. Es sollen sich alle, egal wer kommt, bei uns wohl fühlen. Wir haben Sparfüchse genauso wie Leute, die einfach von der Sache an sich überzeugt sind. Viele sind auch im ersten Schritt nur neugierig, was es da Neues gibt, wie Rentner, Studenten und Hipster. 

Produkte, deren MHD in Kürze abläuft, findet man auch heute schon preisreduziert bei einigen Einzelhändlern.

Ja, das ist natürlich ein positiver Trend, den wir da sehen. Nach abgelaufenen MHD werden Lebensmittel in den meisten Fällen nicht mehr weitergekauft, obwohl das legal ist und jeder Inverkehrbringer darf. Für den Handel ist es einfach viel zu kompliziert um daraus gängige Praxis zu machen. Natürlich herrscht hier auch die Angst der Einzelhändler vor, als schmuddelig dazustehen, wenn "alte" Produkte verkauft werden. Oder die Sorge, als unorganisiert zu gelten und das Sortiment nicht ordentlich überprüft zu haben. Wir wollen da eine Inspiration für Kunden und Verkäufer sein, dafür, dass es auch anders geht.

Foto: Lebensmittelrettung: Ökologisch, sozial und ressourcenschonend...
Quelle: SIRPLUS

In eurem Onlineshop werden viele Convenience-Produkte verkauft, aber auch Kosmetik und Snacks. Jedoch keine frischen Produkte wie Milch oder Fleisch. Auch kein Gemüse. In euren Stores findet man diese zur Genüge. Warum nicht online?

Das ist momentan noch ein organisatorisches und auch finanzielles Problem. Schließlich müssen wir die Kühlkette beachten. Sobald diese unterbrochen wurde, können auch wir die Produkte nicht mehr verkaufen. Außerdem arbeiten wir so ressourcensparend wie nur möglich. Durch die vielen Verpackungsmaterialien usw. ist das Versenden von frischen Produkten aber sehr ressourcenintensiv. Da wir in ganz Deutschland zustellen, haben wir noch keine gute Möglichkeit gefunden, ohne die Kühlkette zu unterbrechen, unsere Produkte an die Haushalte zu liefern. In unseren Lagern und Stores ist dies kein Problem.

Willkommenstafel; Copyright:  SIRPLUS
Quelle: SIRPLUS

Was funktioniert besser? Online oder offline?

Ganz klar unsere Stores. Zurzeit haben wir drei in Berlin und planen den weiteren Ausbau quer durch Deutschland. Der Deutsche kauft per se lieber offline, wenn es um Lebensmittel geht. Da wir viele Produkte verkaufen, die nicht jeder kennt, ist es von Vorteil, wenn unsere Kunden probieren und uns direkt ansprechen können. Das überzeugt viele.

Woher kommen eure Produkte?

Wir arbeiten mit vielen Bauern, Großhändlern und Online-Shops zusammen. Wir übernehmen die Logistik und holen es entweder selber ab oder lassen größere Mengen von Speditionen liefern.

Team SIRPLUS; Copyright:  SIRPLUS
Eröffnung des 450 Quadratmeter großen SIRPLUS Rettermarktes in der Schloßstraße in Berlin
Quelle: SIRPLUS

Zum Ladenpreis zu verkaufen kommt wahrscheinlich nicht in Frage. Was hat das zur Folge, auch aus betrieblicher Sicht?

Im Schnitt verkaufen wir unsere Produkte 50 Prozent günstiger, als es der Listenpreis vorgibt. Das hängt natürlich auch stark von unseren Partnern ab. Bauern zahlen wir ziemlich viel, Großhändler und Produzenten bekommen nur einen symbolischen Preis von uns, dafür übernehmen wir aber auch die Transportkosten. Wir brauchen länger als ein gewöhnlicher Supermarkt, um schwarze Zahlen zu schreiben. Dank unserer Darlehensgeber, des europäischen Unterstützungsprogramms für Start-ups, Crowdfunding und der guten Annahme der Konsumenten funktioniert das aber auch sehr gut. Unsere nächsten Stores sind schon in Planung, auch außerhalb von Berlin. Profitabel sind wir durch unsere hohen Ausgaben noch nicht, wenn es so weiter läuft wie bisher, aber hoffentlich in naher Zukunft.

Interview: Nora Petig, iXtenso - Magazin für den Einzelhandel

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