Rewe schaffte als erster Supermarkt die Plastiktüte ab. Zahlreiche weitere folgten. Stattdessen bieten die Ketten nun Papiertüten, Mehrwegtaschen und Baumwollbeutel an. Umweltministerin Hendricks freut es, die Nachhaltigkeitsbilanz der Einzelhändler steigt. Doch die Realität sieht anders aus: Alternative Materialien verlagern die Umweltprobleme und erzeugen ein falsches Bild.
Sind Baumwolle, Bioplastik oder Papier tatsächlich besser als Kunststoff? An dieser Stelle ein ganz klares „Nein!“ Gerade die Herstellung ungebleichter Papiertüten ist energie- und wasseraufwändig. Zudem werden umweltschädliche Chemikalien eingesetzt, um für Stabilität zu sorgen. Biologisch abbaubar ist die Tüte auch nur im ungebleichten und unbedruckten Zustand. Auch der Anbau von Baumwolle belastet die Umwelt durch den hohen Wasserverbrauch und den Pestizideinsatz. Daher macht der Griff zur Baumwolltasche nur Sinn, wenn die Pflanze aus kontrolliert ökologischem Anbau stammt und der Kunde sie mehrfach nutzt. Bioplastiktüten werden aus landwirtschaftlichen Nutzpflanzen hergestellt, die mit Pestiziden, Herbiziden und Düngemitteln versetzt werden. Die Tüten können außerdem nur unter industrietechnischen Bedingungen abgebaut werden.
Ein genauer Blick in den Supermarkt zeigt außerdem, dass die Abschaffung der Einweg-Plastiktüten noch längst nicht alles sein kann. Denn da wären noch die sogenannten Hemdchen-Beutel, die es in jeder Obst- und Gemüseabteilung gibt. Hinzu kommen eingetütete Bioprodukte und das stetig wachsende Convienvience- und To go-Angebot, das mit abgepackten Fertigsalaten oder geschälten Ananas glänzt. Weiter geht es bei Kartonagen für Zahnpastatuben oder Einwegflaschen für Fruchtsäfte – der Verpackungswahn scheint kein Ende zu nehmen. Aber auch hier gibt es bereits clevere Ansätze, um dem ganzen Müll entgegen zu wirken:
Veggie Bags – ab damit ins Säckchen
Als Alternative zum Hemdchen-Beutel bieten Ketten wie Migros, Alnatura oder denn’s Biomarkt wiederverwendbare Beutel für loses Obst und Gemüse an. Die Säckchen der Anbieter veggiebags, take5nets oder fregie bestehen aus 100 Prozent schadstofffreiem Polyester, sind durchsichtig und relativ leicht. Wird jetzt etwa Kunststoff mit Kunststoff bekämpft? Ja, aber die Beutel können bei Bedarf problemlos bei 30 Grad in der Maschine gewaschen werden. Das mache sie insgesamt umweltfreundlicher. Migros schreibt dazu in einer Pressemeldung: „In der Testphase wurden über 200.000 Veggie Bags verkauft. Wenn jeder der im Pilot verkauften Veggie Bags zwanzig Mal wiederverwendet wird, so hätten bereits über vier Millionen Einwegplastiksäcklein vermieden werden können.“
Verschwiegen wird allerdings, dass der Anbieter veggiebag, von dem Migros die Beutel bezieht, in China produzieren lässt. Die weite Reise wirkt sich dann natürlich negativ auf die CO2-Bilanz aus. Aber was wären Alternativen, wenn es hierfür nicht auch schon eine Alternative gebe? ChicoBag produziert seine Säckchen beispielsweise aus recycelten farblosen PET-Flaschen und Anbieter wie Re-Sack oder Greenderella bieten das gleiche Prinzip aus Bio-Baumwolle an und sind dabei sogar leichter als einige Kunststoffvarianten.
Und wer jetzt Bedenken hat, diese Beutel seien zu schwer und übten sich negativ auf das Wiegeergebnis aus: Jedem Kunden steht es natürlich frei seine Ware erst zu wiegen und dann ins Säckchen zu packen.
Schluss mit Plastiküberzieher für Obst und Gemüse
Insbesondere Bioprodukte kommen nicht ohne Plastik aus. Paprika, Tomaten oder Gurken erhalten eine Kunststoffhülle oder werden in Plastikschalen gebettet. Der Grund: die Durchführungsbestimmungen der EU zu ökologischen Produkten. Diese sieht vor, dass ökologische und konventionelle Produkte stets voneinander zu unterscheiden seien. Deshalb werden Bio-Obst und Bio-Gemüse verpackt und mit Aufschriften versehen.
Vorläufer für alternative Lösungen ist auch hier wieder die Rewe Gruppe: Seit Ende März verkauft der Discounter Penny sukzessive nur noch Bananen, die nicht in Folie eingeschweißt, sondern mit einer Banderole versehen sind. Darüber hinaus werden Rewe Bio-Gurken schon seit längerem mit Aufklebern versehen. Allerdings nur, wenn sie aus Deutschland stammen. Spanische Gurken tragen weiterhin den Kunststoffüberzieher, auch um Schäden während des Transports zu vermeiden.
Avocados und Süßkartoffeln sind seit März 2017 die ersten Produkte, denen im Rahmen eines Pilotprojektes bei beiden Ketten „natürliche“ Labels (Natural Branding) verpasst werden. Mithilfe eines gebündelten Lichtstrahls werden die Pigmente der äußersten Schalenschicht abgetragen und das Produkt mit einem Logo gebrandzeichnet. Die Markierung habe laut Hersteller und Konzern keinen Einfluss auf Geschmack, Qualität oder Haltbarkeit und sei sowohl bei Früchten mit essbarer und nichtessbarer Schale möglich. Verbraucherschützer warnen jedoch, denn die Methode sei bisher nur unzureichend erprobt. Erweise sich sie als unbedenklich, sei dies ein Schritt in die richtige Richtung, so Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg gegenüber SpiegelOnline.
Neue Rohstoffe braucht das Land
Laut Gesetzgeber soll in den kommenden Jahren die Recyclingquote bei Verpackungen deutlich steigen. Bei Kunststoffen etwa liegt sie derzeit unter 40 Prozent, ab 2022 sollen 63 Prozent aller Kunststoffe wiederverwertet werden. Die Deutsche Umwelthilfe fordert: Mehrwegflaschen müssen aktiv gefördert und Verpackungen teurer werden – etwa durch eine Ressourcensteuer. Aber ist letzteres der richtige Weg?
Zwar beginnt Recycling bereits in der Produktion der Verpackungsstoffe, dennoch sollten auch alternative Rohstoffe in Betracht gezogen werden: Industrie und Forschungseinrichtungen arbeiten aktuell an neuen Methoden, Verpackungen aus nachwachsenden und abbaubaren Rohstoffen wie Soja, Mais oder Zuckerrohr herzustellen. Im letzten Jahr erregten US-Forscher Aufsehen, die aus dem Casein-Protein, das aus Milch gewonnen wird, Verpackungen hergestellt haben, die verzehrt werden können. Praktischerweise wächst der Rohstoff sogar direkt vor der Tür: Das Unternehmen Creapaper stellt beispielsweise Kartons und Verpackungen her, die zu fünfzig Prozent aus Gras bestehen und den bisher auf Holzbasis eingesetzten Zellstoff in Teilen ersetzen. Das Produkt ist daher auch geeignet für Lebensmittelverpackungen.
Apropos: Leider sind Lebensmittelverpackungen in erster Linie Werbeflächen, die umfangreich bedruckt werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass Druckfarben, insbesondere mineralölhaltige, gesundheitsgefährdende Substanzen enthalten. Wird die Kartonage nun recycelt, gelangen die unerwünschten Stoffe zurück in den Papierkreislauf. Daher sollten nur entsprechend geprüfte und zugelassene Stoffe in Druckfarben zum Bedrucken von Lebensmittelverpackungen zum Einsatz kommen.
Wie geht es nun weiter?
Eine wirklich zufriedenstellende Lösung gibt es letztendlich nicht. Jedes Material hat seine Vor- und Nachteile. Der Fingerzeig gilt daher nicht nur dem Einzelhandel, sondern auch der Verpackungsindustrie, dem Lebensmittelhersteller und vor allem dem Verbraucher. Denn letzterer ist derjenige, der die Materialien entsorgt oder über die Nutzungsdauer entscheidet. Alternativen anzubieten, ist aus Händlersicht ein erster richtiger Schritt, um auch den Kunden in die Verantwortung zu nehmen. Dies muss natürlich auch im Umkehrschluss für die Verpackungshersteller gelten. Denn auch die plastikfressenden Raupen der Wachsmotte Galleria mellonella werden zukünftig nicht in der Lage sein, unserem exzessiven Verpackungskonsum Einhalt zu gebieten.