In einer Stichprobe unter den Mitgliedern des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel (bevh) zu den Folgen des Kriegs in der Ukraine sehen sich 61,8 Prozent der Unternehmen mit massiv steigenden Energiepreisen und 53,0 Prozent mit erheblich steigenden Einkaufspreisen konfrontiert. Ein Drittel (33,8 Prozent) der Befragten gibt an, dass ihnen Abnehmer und Aufträge wegen Lieferkettenproblemen wegbrechen - Mehrfachantworten waren möglich.
Dennoch: Die schlagartig verschlechterte Geschäftslage nehmen die Händler in Kauf. 31,0 Prozent der Befragten findet die Sanktionen gegen Russland absolut „angemessen“, weitere 51,7 Prozent der Mitglieder gehen sie sogar noch nicht weit genug. 15,0 Prozent sehen sich nicht in der Lage, dies zu beurteilen, und 2,3 Prozent sind anderer Meinung.
Das ist das Ergebnis einer Mitgliederumfrage, die der bevh zwischen dem 7. und 21. März durchgeführt hat. Der Verband repräsentiert mehr als 500 Onlinehändler, Marktplätze und Herstellerversender, die mehr als 75 Prozent der Umsätze im deutschen E-Commerce und Versandhandel erwirtschaften. Gut jedes vierte teilnehmende Mitglied unterhält mindestens indirekt Geschäftsbeziehungen in der Ukraine, in Russland oder Belarus.
„Die wirtschaftlichen Sorgen der deutschen Onlinehändler sind groß, die Probleme und Mehrkosten ziehen sich durch die gesamte Liefer- und Prozesskette. Dennoch stehen sie hinter den Sanktionen der westlichen Staatengemeinschaft und halten angesichts der Kriegsfolgen auch Verschärfungen für angemessen“, fasst Frank Düssler, Sprecher des bevh, zusammen.
Fünf Prozent der Befragten damit beschäftigt, ukrainische Kollegen in Sicherheit zu bringen
Danach gefragt, wie die bevh-Mitglieder auf die Sanktionsauswirkungen reagieren, zeigt sich die volle Schockwirkung des Kriegs auf die Unternehmen. Rund 51 Prozent der teilnehmenden bevh-Mitglieder (50,9 Prozent) geben an, keine Möglichkeiten zu haben, kurzfristig auf die Krise reagieren zu können. Nur 27,1 Prozent sucht derzeit nach alternativen Beschaffungs- und Vertriebswegen. 15,3 Prozent fahren ihre Geschäftstätigkeiten deshalb bereits zurück. Rund 5,0 Prozent der Befragten haben aber ohnehin andere Prioritäten: Sie haben Mitarbeiter in der Ukraine und sind aktiv bemüht, diese in Sicherheit zu bringen. Der Rest (1,7 Prozent) will bestehende Verträge kündigen.
Düsterer Ausblick auf Gesamtwirtschaft
Schlimmer als ihre betriebswirtschaftlichen Sorgen sehen die bevh-Mitglieder das gesamtwirtschaftliche Umfeld in Deutschland und der Welt. 12,7 Prozent der befragten Unternehmen erwarten eine Rezession in Deutschland, weitere 48,3 Prozent sehen den wirtschaftlichen Erholungsprozess in Deutschland dauerhaft unterbrochen. Die restlichen Teilnehmer (39,0 Prozent) erwarten eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Erholung. Kein einziges Unternehmen glaubt, dass sich die Erholung der deutschen Wirtschaft unverändert fortsetzt.
Mit Blick auf die Weltwirtschaft erwartet die Hälfte (49,4 Prozent), dass die Auswirkungen „massiv und dauerhaft“ sein werden, 37,6 Prozent halten sie für „gravierend aber vorübergehend“. Nur 10,6 Prozent halten die Belastungen für „verkraftbar“ und glauben an alternative Versorgungswege, der Rest (2,4 Prozent) erwartet keine gravierenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.
Energiesicherheit weit wichtiger als staatliche Hilfen
Angesichts der immensen Aufgaben und fehlender Zeit, ist der Handlungsdruck der Bundesregierung groß. Auf die Frage „Welche Erwartungen haben Sie an die Politik, um auf die Krise wirtschaftlich zu reagieren?“ (Mehrfachantworten möglich) antwortete eine deutliche Mehrheit (81,3 Prozent) „die Sicherstellung der Energieversorgung u.a. durch den Ausbau erneuerbarer Energien“, gefolgt vom „Ausbau der Verkehrs- und Digitalinfrastruktur“ (56,3 Prozent). 48,8 Prozent sehen die Regierung in der Pflicht, Bürokratie abzubauen und 26,3 Prozent hätten gerne mehr „außenwirtschaftliche Flankierung beim Aufbau neuer internationaler Lieferwege“. Der Ruf nach schnellen und unbürokratischen Finanzhilfen landet mit 25 Prozent Zustimmung nur auf Platz fünf der drängendsten Forderungen. Nur 5 Prozent der Stichprobenteilnehmer finden die Maßnahmen der Regierung ausreichend oder wissen keine Antwort.
Q1-Umsätze im E-Commerce werden Anfang April vorgestellt
Nicht nur auf der Beschaffungsseite, auch der Absatz ist in den Wochen vor dem Angriff auf die Ukraine und erst recht danach bei vielen Onlinehändlern in Deutschland massiv zurückgegangen.
„Die Menschen halten ihr Geld zusammen, wenn die Energie- und Lebenshaltungskosten heftig steigen und die Inflation die Kaufkraft des verfügbaren Einkommens schmälert. Niemandem steht angesichts des Krieges in solcher Nähe der Sinn nach Konsum. Wir sehen ein Szenario, das den Einbruch im ersten Corona-Quartal noch in den Schatten stellt“, fasst Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer im bevh, zusammen. Der bevh wird die Branchenumsätze des ersten Quartals 2022 Anfang April bekannt geben.