Showrooming war und ist vor allem bei stationären Einzelhändlern als „Beratungsklau“ verpönt. Beschreibt es doch das Verhalten potenzieller Konsumenten, die Ware im stationären Handel anzusehen, aber online zu kaufen.
Showrooming kann zurecht als ein neues und zukunftsorientiertes Einzelhandelsmodell bezeichnet werden. Das Prinzip: Kunden dürfen hier ganz bewusst Waren auf einer reduzierten Fläche begutachten und ausprobieren. Wie hoch das Potenzial von Showrooming sowohl für stationäre Einzelhändler als auch Online-Retailer ist, erklärt Ayhan Yuruk, Gründer und Managing Director der Showrooming GmbH, im Interview.
Herr Yuruk, haben Händler immer noch Angst davor, dass Kunden in ihren Store kommen, Produkte anschauen und testen, diese dann aber online kaufen?
Yuruk: Das Phänomen Showrooming ist nicht neu, nur die Art und Weise wie Kunden es machen, hat sich geändert. Früher sind sie genauso von MediaMarkt zu Euronics oder Saturn gelaufen, um Preise zu vergleichen. Im Zeitalter des Internets funktioniert es nun einfacher. Kunden haben die Möglichkeit, viele Stores auf einmal zu vergleichen. Die Negativbehaftung ist entstanden, da Preise nicht immer transparent sind. Das wird sich zukünftig aufheben, da Marke und Händler ihre Preise viel stärker kontrollieren und das nicht nur im eigenen Laden, sondern auch online.
Darüber hinaus ist Showrooming heute mehr als nur ein reiner Preisvergleich. Showrooming etabliert sich vielmehr zum tatsächlichen Showroom. Grund ist, dass Kunden sich häufig entgegengesetzt erst online informieren und dann die Ware im Store testen wollen. In diesem Showroom wird der Kunde inspiriert und emotional abgeholt. Ihm wird ein Erlebnis geboten. All diese Faktoren tragen dann zur Kaufentscheidung bei, die tatsächlich mehr offline geschieht.
Colliers prognostizierte 2017, dass eine immer größere Anzahl von reinen Online-Retailern stationäre Läden eröffnen werden, da sich die Online-Umsätze in den kommenden Jahren voraussichtlich rückläufig entwickeln. Ist das tatsächlich der Hauptgrund, warum immer mehr Onliner auf eine stationäre Präsenz setzen?
Es ist richtig, dass der Umsatz online weniger schnell wächst. Trotzdem wird für 2020 ein Online-Umsatz von ungefähr 15 Prozent des weltweiten Retail-Umsatzes erwartet. Ein Grund für Online-Retailer offline zu gehen, ist die Kostenstruktur im dicht besiedelten Online-Markt. Es ist sehr teuer geworden, die eine Marke zu sein, die ganz oben in den Suchrankings steht. Der zweite Grund ist, dass Kunden Online-Marken immer noch nicht als reale Marken ansehen. Das wollen Onliner jetzt aufholen, indem sie einen persönlichen Touchpoint zum Kunden schaffen. Letztendlich soll aber der Online-Traffic gesteigert werden. Ein stationäres Geschäft ist für Onliner oft kein weiterer Vertriebskanal, sondern ein Marketing-Tool.
Eines meiner Lieblingsbeispiele ist hier Mr. Spex. Das Unternehmen hat sich Partner-Optiker gesucht und später sogar eigene Stores eröffnet. Die Customer Journey, die der Kunde online erlebt, erlebt er auch offline. Ziel ist es, dass der erste Kauf offline stattfindet, weil man dort Kunden erreicht, die nicht online sind. Der zweite Einkauf soll dann wiederum online stattfinden.
Sind es denn Einzelhändler oder Markenartikelhersteller, die solche Showrooms nutzen?
Wir haben mit Showrooming angefangen, Onliner zu beraten, um ihnen zu helfen, offline Fuß zu fassen. Aktuell erreichen uns immer mehr Anfragen von stationären Retailern, die wissen wollen, wie denn Onliner-Händler denken. Stationäre Marken oder Händler werden früher oder später online gehen müssen, was nicht bedeutet, dass jeder einen eigenen Online-Shop haben muss.
Ein weiterer großer Trend ist, dass Department Stores, in denen es früher achtzig bis neunzig Prozent reine Verkaufsfläche gab, nun auf Inszenierungsflächen setzen. Was früher Schaufenster waren, wird bald die Hälfte der Verkaufsflächen ausmachen – als Inszenierungsfläche. Das bedeutet nicht, dass man dort nur Podeste und Mannequins aufstellt. Es passiert etwas auf diesen Highlight-Flächen, da das Setting und damit das Kundenerlebnis stetig wechselt.
Lautet die Strategie „stetig wechselnd, interaktiv, erlebnisreich und emotional“, um einen guten Showroom zu schaffen?
Unbedingt! Da führt kein Weg dran vorbei. Bei diesem Wechsel geht es um Experience und Entertainment. Darauf muss auch langfristig der Fokus liegen. Wir sagen immer gerne, dass Stores, Malls oder Einkaufsstraßen in direkter Konkurrenz zu Netflix und Co. stehen, weil es letztendlich um die Zeit des Konsumenten geht. Er entscheidet, ob er seine Freizeit vor dem TV verbringt oder beispielsweise in ein Erlebniscenter geht, wo das Einkaufen selbst zur Nebensache wird.
Showrooming bedeutet nicht mehr nur, von online zu offline zu gehen. Online- und Offline-Kanäle müssen immer miteinander verbunden sein.
Genau, denn diese Kanäle dürfen auch gar nicht differenziert werden. Das wäre falsch, da der Kunde es so will. Fakt ist, dass der Einzelhandel innovative Technologien braucht, um neue Wege zu schaffen, um Kunden kennenzulernen, auf ihre Wünsche einzugehen und interne Prozesse zu vereinfachen.
Die Trigger, die in den Showrooms eingesetzt werden, sind beispielsweise Stationen, an denen der Kunde sich in irgendeiner Art und Weise registrieren muss. Es wird kaum noch Showrooms geben, die der Kunde verlässt, ohne Daten hinterlassen zu haben. Dadurch hat der Händler oder Markenhersteller die Möglichkeit, den Kunden später weiterzuverfolgen und darauf zu achten, dass er die Ware, wenn er später online nach dem Produkt sucht, auch bei ihm kauft. Loyalty-Services werden immer wichtiger, um Kunden an die Marke oder das Produkt zu binden.
Dennoch gilt: Technologien müssen nicht nur auf die jeweilige Branche zugeschnitten, sondern nah am Kunden sein. Sie müssen im Hintergrund so unbemerkt und unsichtbar wie möglich agieren, denn im Vordergrund stehen Emotion und Inspiration. Davon hängt der Erfolg im Handel zukünftig ab.