Interview • 24.06.2010
„Der Handel hat mit seinen Lieferanten sehr viele Strategien entwickelt“
Interview mit Dr. Christian Kille, Fraunhofer SCS
Die Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Technologien der Logistik-Dienstleistungswirtschaft (ATL) hat sich im November 2009 in Supply Chain Services (SCS) umbenannt. Sie reagiert damit auf den Trend, dass Logistiker neben dem Transport immer mehr Dienste für ihre Kunden übernehmen, etwa Montage, Etikettieren oder Koordinieren. Fraunhofer SCS ist eine 45-köpfige, unabhängige Forschergruppe. Deren Marktanalysen koordiniert Geschäftsfeldleiter Dr. Christian Kille. Er beantwortet unsere Fragen zum Supply Chain Management im Handel.
Der Logistik-Branche geht es in der Krise gar nicht so schlecht. Woran liegt das? Wie entwickeln sich die Zahlen?
Sagen wir so, 2008 war ein starker Einbruch von rund 9 Prozent für die Logistik zu verzeichnen. Das war deutlich höher als das BIP, jedoch nicht ganz so hoch wie bei manchen anderen populären Industrien wie der Automobil- oder Maschinenbaubranche. Dass sie jetzt an dem zarten Aufschwung auch partizipieren kann, liegt an der großen Flexibilität und Innovationskraft der Unternehmen. Nichtsdestotrotz haben einige Unternehmen Probleme und stehen vor großen Herausforderungen.
Wie gut ist das Supply Chain Management im Handel – verglichen etwa der Industrie?
Supply Chain Management ist Definitionssache: Manch einer definiert das nur zwischen sich und den angrenzenden Partnern. Manche sehen darin die gesamte Kette von der Urproduktion bis zum Endkonsum. Diese letzte Ansicht ist auch die eigentliche Definition. Der Handel hat hier mit seinen Lieferanten sehr viele Strategien entwickelt und initiiert – insbesondere das ECR – , die auch erfolgreich eingeführt wurden. Hier liegen ganz andere Herausforderungen zu Grunde, weswegen die beiden Bereiche Handel und Industrie schwer zu vergleichen sind. Beide haben in einigen Produktgruppen tolle Lösungen zu bieten.
Was muss ein guter Supply Chain Manager können?
Er muss flexibel im Denken sein, sich auf seine Partner in der Kette einlassen können und deren Nöte und Potenziale erkennen. Er muss eine kooperative, auf gemeinsame Gewinne ausgerichtete Denkweise haben und über den Tellerrand hinaus schauen können.
Wie kann der Handel in seiner Lieferkette Kosten senken?
Durch Reduzierung der Bestände und der Out-of-Stock-Situation, durch gezieltes und individuelles Category Management, durch robuste und kooperative Planung beispielsweise von Promotions, durch Optimierung der Transportkette.
Stichwort RFID: Container und Paletten bekommen einen Funkchip. Für welche Warengruppen ist Item-Tagging vernünftig?
Wahrscheinlich nie. Denn es ist einfach nicht immer sinnvoll. Sogar heute haben nicht alle Produkte einen Barcode. Derzeit ist das Item-Tagging nur bei Produkten mit sehr hohem Wert – monetär oder qualitativ – sinnvoll oder wenn neue Umsätze durch neue Dienstleistungen generiert werden können – zum Beispiel teure Luxusprodukte, Blutbeutel, Ersatzteile im Luftfahrtbereich.
Automatische Bestellprozesse und Prognose-Software sollen Regallücken verhindern. Wie realistisch sind die damit verbundenen Hoffnungen?
Gute Planungssoftware ist die einzige Chance, Out-of-Stock zu reduzieren. Deswegen ist das Potenzial hoch – aber schwer zu realisieren. So dürfen nicht nur Kennzahlen einfließen, sondern es müssen auch qualitative – psychologische – Faktoren einbezogen werden wie zum Beispiel Standort des Regals, Presse über das Produkt, Trends im Konsumentenmarkt etc. Dies ist ein komplexes Unterfangen.
Auf den Autobahnen gibt es immer mehr Staus, die Städte erschweren die Citylogistik mit Umweltzonen. Wie sollte der Handel reagieren?
City-Logistik ist eine gute Möglichkeit, die Transportkosten in die Innenstädte zu reduzieren. Insbesondere durch Zusammenarbeit des Einzelhandels in der Belieferung können Verkehre eingespart werden. Damit kann man auch die eigene CO2-Bilanz verbessern.
Hat die Schiene eine Zukunft im Supply Chain Management?
Ja, aber nur in bestimmten Produktgruppen und auf bestimmten Relationen. So ist es sinnvoll, Kleidung, Spielwaren o.ä. über die Schiene von China nach Europa zu transportieren – zumindest in der Zukunft. Außerdem können durch die Bündelungspotenziale der CO2-Fußabdruck verbessert werden – wie dies bereits in Österreich erfolgreich von Rewe oder auch Danone Waters realisiert wurde. Intelligente Lösungen wie das von der Fraunhofer SCS initiierte PalletFlow-System können Palettenware vom Hersteller zum Handel auch über die Schiene abwickeln.
Das Interview führte: René Schellbach,
eurocis.com
Themenkanäle: Supply-Chain-Management, Bestandslücken