Gastbeitrag • 10.10.2017

Digital Signage und interaktive Handelskonzepte

Die Umkleidekabine als Stilberater

Die digitale Transformation kommt nicht, sie ist schon längst Realität. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wann der Prozess begonnen hat und wann er enden wird. Vielleicht endet er nie. Was wir aber mit Sicherheit sagen können, ist, dass innovative Technologien in immer mehr Bereichen Einzug finden und ihren Siegeszug weiter fortsetzen werden. Aber weshalb ist die Digitalisierung gerade in der Kundenansprache so enorm wichtig? Ganz einfach: weil sich unsere Kunden verändern.

Die Zielgruppe der Digital Natives, also derjenigen Menschen, die mit digitalen Technologien als primärem Unterhaltungsmedium aufgewachsen sind, entwickelt sich zu einer kaufkräftigen Gruppe, die auf ihre eigene Art und Weise angesprochen werden will. Dabei spielt nicht nur die Art der Ansprache eine besondere Bedeutung, sondern auch die einhergehende Entwicklung zur so genannten Erlebnisgesellschaft, in der Emotionen und Geschichten eine wichtige Rolle spielen.

Mithilfe von Screens wird in einer Umkleidekabine die passende Umgebung für...
Mithilfe von Screens wird in einer Umkleidekabine die passende Umgebung für das ausgewählte Produkt geschaffen.
Quelle: Christian Zagel

Interaktive Touchpoints: Geschichten hauchen Leben ein

Erkenntnisse im Bereich der Hirnforschung haben gezeigt, dass die Erzeugung von Emotionen ein essenzielles und wirkungsvolles Instrument im Marketing ist. Empathie ist entscheidend, um die Kunden anzusprechen und ihre Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen, Geschichten machen die Produkte und Services erlebbar. Dabei ist ein holistisches Konzept wichtig, das sich in allen Interaktionspunkten von Kunde und Marke (den Touchpoints) widerspiegelt – und damit insbesondere auch dort, wo Unternehmen ihr Image nach außen tragen und die entsprechenden Zielgruppen am besten ansprechen können: im traditionellen Laden. Es ist es ganz unerheblich, ob es sich um ein Bekleidungsgeschäft, einen Lebensmittelhandel oder um den Showroom eines Fahrradvertriebs handelt. Geschichten hauchen Leben ein und machen die Angebote attraktiv. Und neue Technologien helfen dies umzusetzen.

Doch was viele Unternehmen vergessen, ist die Tatsache, dass sich im Gegensatz zu positiven Erfahrungen die negativen Erfahrungen beim Kunden doppelt so stark auswirken. Ein schwarzer Bildschirm statt eines Marketingvideos, eine Fehlernachricht auf dem Informationsdisplay oder ein abgestürzter Self-Service Kiosk sind nur einige Beispiele, die wohl jeder in der ein oder anderen Form schon einmal erlebt hat. Insbesondere bei interaktiven Konzepten, welche eine eigenständige Bedienung durch die Kunden zum Ziel haben, ist der Aspekt der Benutzertauglichkeit, also der Usability, von entscheidender Bedeutung. Nichts ist enttäuschender, als die Interaktion mit einem System abbrechen zu müssen, weil dieses nicht aus Anwendersicht entwickelt wurde: Statt einer einfach verständlichen und schnell bedienbaren Anwendung, findet der Kunde häufig viel zu komplexe Systeme und Schnittstellen vor. Erfolgreiche Technologieunternehmen wie Apple machen es vor: Eine Beschränkung der Funktionalität und zugleich eine Fokussierung auf Bedienbarkeit und ansprechendes Design ist die richtige Wahl.

Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis gewinnbringend einsetzen

Die Forschung, gerade im Bereich der Mensch-Computer-Interaktion bietet zahlreiche Methoden, wie neue Systeme schnell und vergleichsweise einfach getestet und iterativ verbessert werden können. Diese reichen von Laborstudien bis hin zu Beobachtungen der Anwender im realen Umfeld, von Fragebogenstudien bis hin zu Experteninterviews. Leider wird eine derartige, eher wissenschaftliche und analytische, Vorgehensweise von der Mehrzahl der Unternehmen bei der Entwicklung neuartiger Digital Signage-Konzepte bislang nicht verfolgt. Gerade hier bietet sich aber die entscheidende Möglichkeit Kunden nicht nur zufrieden zu stellen, sondern zu begeistern.

Auch gänzlich neue Erkenntnisse können gewonnen und in der Folge gewinnbringend eingesetzt werden. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Service Fascination“ konnte beispielsweise gezeigt werden, dass sich keineswegs nur Männer von Technik im Laden angesprochen fühlen. Besonders Frauen waren von den neuen, digitalen Services beim Bekleidungskauf begeistert.

Christian Zagel bedient Touchscreen.
Mithilfe einer interaktiven Digital Signage-Lösungen können Kunden weitere Informationen rund um das Produkt direkt in der Umkleidekabine abrufen.
Quelle: Christian Zagel

Interaktive Umkleidekabine: gezielte Integration von Informationen und Inhalten

Ein Beispiel für ein interaktives System, welches im Rahmen dieser Forschungskooperation mit einem namhaften Sportartikelhersteller entwickelt wurde, ist CyberFIT, eine interaktive Umkleidekabine. Ziel war es, den mitunter wichtigsten Ort in einem Bekleidungsgeschäft durch Einsatz innovativer Technologien mit einem unvergesslichen Erlebnis zu verbinden. Denn gerade hier fällt oftmals die Kundenentscheidung für oder gegen den Kauf eines Produkts.

Zwar wurden die traditionellen Aspekte einer Umkleidekabine wie beispielsweise ein Hocker, Kleiderhaken und Spiegel beibehalten. Alle Wände wurden jedoch mit einer großformatigen Anzeigefläche und Interaktionsmöglichkeiten per Touch-Bedienung ausgestattet. Ein integriertes und im Hintergrund verbautes RFID-System erkennt automatisch, mit welchen Produkten die Umkleidekabine betreten wird und erzeugt eine virtuelle Umgebung.

Bei einer Outdoor-Jacke findet sich die Kundin beispielsweise in einer Berglandschaft wieder – die entsprechende Soundkulisse inklusive. Die Anzeige bietet darüber hinaus die Option, sich zusätzlich über das Produkt zu informieren: Passende Accessoires, besondere Funktionalitäten des Kleidungsstücks oder gar Produktbewertungen und Rezessionen lassen sich anzeigen. Folglich geschieht eine gezielte Integration von Informationen und Inhalten aus dem Internet, die sich interessierte Kunden ohnehin über ihr eigenes Smartphone holen würden.

Statt es, wie leider so oft üblich, den Kunden zu verbieten Fotos zu machen oder Meinungen Dritter einzuholen, wird das ohnehin nicht vermeidbare Verhalten sinnvoll genutzt und Social Media-Aktivitäten gezielt integriert. Dies geschieht auch darüber, dass die Kunden direkt über die Umkleidekabine mitteilen können, warum sie ein Produkt kaufen oder warum nicht. Es werden also auch für das Unternehmen wichtige Daten generiert, die andernfalls verloren wären.

Christian Zagel
Christian Zagel ist Professor für Innovationstechniken und -methoden im berufsbegleitenden Masterstudiengang „ZukunftsDesign“ der Hochschule Coburg. Er forscht im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion insbesondere an neuartigen Handelskonzepten und digitalen Geschäftsmodellen und wurde für seine Forschung und Praxisprojekte mehrfach ausgezeichnet.
Quelle: Christian Zagel/Hochschule Coburg

Der wahrgenommene Wert der Produkte steigt durch interaktive Angebote

Die Begleitforschung hat gezeigt, dass das System von den Kunden sehr positiv aufgenommen wurde und insbesondere der Überraschungseffekt beim Betreten der Kabine für einen WOW-Effekt sorgt. Derartige Kundenerlebnisse spiegeln sich letztendlich aber auch auf Unternehmensseite wider: Der von den Kunden wahrgenommene Wert der Produkte lag im Durchschnitt um ganze 20 Prozent höher als beim normalen Einkauf. Die positiven Berichte von Kunden über Social Media-Kanäle führte weiterhin zu gesteigertem Traffic. 

Mut aufbringen und neue Konzepte aktiv umsetzen

Trotz der angesprochenen Vorteile des Einsatzes interaktiver Technologien im Handel sind derartige Systeme in der Praxis bislang kaum zu finden. Letztendlich stehen dem offensichtlichen Erfolg die entsprechenden Kosten zur Realisierung und vor allem auch ein Mangel an Mut der Entscheidungsträger gegenüber. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass auf den Chefsesseln kaum Digital Natives mit einem inhärenten Verständnis für die Zielgruppe sitzen. Unabhängig von der entsprechenden Branche könnte die Entwicklung schon bedeutend weiter sein. Oft hört man von gänzlich digitalisierten Läden oder neuen Ladenkonzepten und Geschäftsmodellen, wirklich gesehen haben diese aber nur wenige. Die Unternehmen müssen dazu ermutigt werden neue Konzepte zu entwerfen, diese in ihren eigenen Läden auch umzusetzen, zu testen und kontinuierlich zu verbessern. Scheitern muss als etwas Positives und als Möglichkeit des Lernens betrachtet werden. Dieser Mut ist oft das entscheidende Etwas, das erfolgreiches Marketing, insbesondere in der Ära der Digitalisierung, vom Rest abhebt.

Autor: Prof. Christian Zagel, Hochschule Coburg

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