Interview • 01.02.2013

„Magischer Ring" als Wegweiser beim Einkauf

Interview mit Erion Elmasllari, Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT

Erion Elmasllari: Sobald die Preise fallen und RFID weniger als ein Cent pro...
Erion Elmasllari: "Sobald die Preise fallen und RFID weniger als ein Cent pro Chip kosten, werden auch Supermärkte RFID verwenden."
Quelle: Fraunhofer FIT

Wissenschaftler des Fraunhofer FIT haben ein System entwickelt, das Verbraucher durch Vibrieren eines Rings am Finger beim Ergreifen für sie unerwünschter Produkte warnt. Technische Voraussetzung hierfür ist eine RFID-Kennzeichnung der Produkte, die der Ring auslesen kann. Erion Elmasllari vom Fraunhofer FIT spricht über die Schwierigkeiten und die Voraussetzungen, die einen sinnvollen Einsatz dieses Systems im Handel ermöglichen.

Für welche Zielgruppe ist der sogenannte „Magische Ring“ gedacht?

Als wir begannen, hatten wir in erster Linie Allergiker im Sinn. Mit dem weiteren Fortschreiten des Projektes stellten wir fest, dass eigentlich jeder ein Nutzer sein kann. So machen zum Beispiel viele Leute Diäten, andere bevorzugen Bioprodukte; wieder andere konsumieren gerne verarbeitete Lebensmittel, wollen aber zu süße und zu fettige Speisen meiden. Fast alle Hauptreligionen verbieten oder raten sogar von manchen Lebensmitteln ab. Schließlich und endlich boykottieren manche auch gewisse Firmen aufgrund schlechter Erfahrungen oder weil diese Firmen unfairen Handel betreiben. Wir realisierten, dass jeder den „Magischen Ring“ nutzen kann. So berücksichtigten wir jeden als potentiellen Nutzer.

Der Ring soll ein differenziertes Einkaufen ermöglichen. Wie sieht das im Einzelnen aus und welche Technik steckt dahinter?

Die Technologie ist nicht so wichtig wie die Interaktion. Die meisten Dinge, die der Ring kann, können auch Smartphones erledigen. Der Ring allein kann es besser und spart Zeit. Zum Beispiel beim Einkaufen: Sie möchten nicht immer alle Lebensmittel fotografieren, den Barcode scannen und dann vom Display des Smartphones ablesen. Dann wären Sie ewig im Supermarkt und wie oft würde Ihr Handy zu Boden fallen, weil sie beide Hände voll haben. Mit dem Ring packen Sie die Produkte einfach in den Einkaufswagen. Kein Lesen, kein Scannen, keine Barcodes. Einfach nur die Ware einpacken. Fall es für Sie nicht das Richtige sein sollte, wird der Ring vibrieren noch bevor Sie Zeit haben, die Waren in den Einkaufswagen zu packen. Das Preisdisplay am Regal zeigt, wo Sie eine gute Alternative finden und spart damit Zeit ein.

Die Technologie hinter dem Magischen Ring ist ein Mix aus RFID, kontaktloser Kommunikation (WiFi/Bluetooth) und Webdiensten. Die Lebensmittel werden mit kleinen RFID Tags markiert. Das sind winzige Labels, die über Radiowellen von kurzer Distanz ausgelesen werden können. Sobald ihre Hand nach einem Produkt greift, liest ein Sensor auf dem Ring den RFID Tag (das winzige Label) aus und fragt kontaktlos eine Datenbank nach Inhaltsstoffen dieses Produktes ab. Sollte einer der Inhaltsstoffe nach ihren vorher angegebenen Präferenzen unerwünscht sein, vibriert der Ring. Gleichzeitig erfolgt eine Anfrage an die Supermarktdatenbank nach Produkten ohne unerwünschte Inhaltsstoffe und das Preisdisplay am Ladenregal zeigt dem Kunden den Weg zum alternativen Produkt.

Welche Voraussetzungen müssen im Handel geschaffen werden, damit das System funktionieren kann?

Damit das System funktionieren kann, müssen alle Lebensmittelverpackungen mit RFID-Tags ausgezeichnet sein. Das ist keine Bedingung, die wir dem Supermarkt aufzwingen. Sie wollen schon seit längerer Zeit RFID Tags einführen, weil sie damit beim Bezahlvorgang Geld sparen. Das einzige Problem hierbei ist, dass die RFID Tags noch etwas mehr kosten als der Supermarkt bereit ist dafür zu bezahlen. Aber das wird sich über kurz oder lang ändern. Koreanische Wissenschaftler haben einen extrem günstigen RFID-Chip entwickelt, deshalb können wir in naher Zukunft erwarten, dass immer mehr Lebensmittel mit RFID-Tags ausgestattet werden. Sobald dies zutrifft, kann der Ring mühelos eingesetzt werden.

Daten können nur ausgelesen werden, wenn sie in einer Datenbank hinterlegt worden sind. Wie gelangen die entsprechenden Informationen dorthin und wie kann der Nutzer sicher sein, dass die ausgelesenen Daten stimmen?

Es gibt viele Datenbanken im Internet, in denen Informationen über Lebensmittel hinterlegt sind. Einige davon stammen aus staatlichen Organisationen, die sich um die Lebensmittelsicherheit kümmern. Viele Informationen finden sich auch in den freien Datenbanken. Mit etwas gutem Willen und sozialer Vernetzung lassen sich diese Daten leicht in einer großen Datenbank für alle Arten von Lebensmitteln verknüpfen. Eine Art „food-pedia“, wenn man es so bezeichnen möchte.

In einer anderen Datenbank müssen Daten hinterlegt sein, die Aufschluss darüber geben, welche Produkte, wo im Supermarkt erhältlich sind. Diese ist bereits vorhanden, weil sie für das interne Supermarkt-Management eingesetzt wird. Es ist im Interesse des Supermarktbetreibers, diese Daten zur Verfügung zu stellen, denn so können die Kunden Zeit sparen und sind dementsprechend zufriedener und loyaler.

Wie stellen Sie sicher, dass die vom Ringträger hinterlegten Daten, die seine eigenen Unverträglichkeiten bzw. Präferenzen beinhalten, sicher sind?

Hier stehen mehrere Wege offen. Einmal sendet der Ring niemals private Signale aus, wie eigene Präferenzen. Jede Überprüfung geschieht im eigenen Prozessor, externe Systeme haben nicht einmal Zugriff auf die von dem Ring abgefragten Inhaltsstoffe.

Zweitens existiert keine Verbindung zwischen der Identität des Nutzers und seiner Präferenzen. Der Ring dient nur dem, an dessen Finger er sich befindet. Er benötigt keine Informationen über die Identität dieser Person.
Drittens lassen sich viele Anfragen so stellen, dass die Privatsphäre geschützt bleibt. Die auf dem Ring hinterlegten Informationen und die Datenbank des Marktes können beim Austausch über alternative Lebensmittel so agieren, dass keine Informationen über die vom Nutzer angegebenen Stoffe stattfindet.
Schließlich und endlich, können die vom Nutzer eingegebenen Daten in einem externen Server gespeichert werden, irgendwo im Internet. Keine Daten müssen auf dem Ring verbleiben, so dass bei Verlust des Ringes oder bei Diebstahl keine Informationen verloren gehen.

Wie erfolgt der Datenabgleich und können hierbei Störungen auftreten? Lässt sich der Ring auf alle Produkte anwenden oder gibt es auch welche, die aufgrund ihrer Beschaffenheit Probleme bereiten?

In Supermärkten, in denen die Ware mit RFID markiert ist, zeigt der Ring die passenden Lebensmittel für den Benutzer an. Sind die Produkte in keiner Datenbank hinterlegt, signalisiert der Ring dem Benutzer vorsichtig zu sein und das gedruckte Etikett zu überprüfen.

Frische, nicht verpackte Lebensmittel auf Wochenmärkten sind gewöhnlich nicht mit RFID Chips versehen. Die Technologie des Ringes ist nicht dafür ausgerichtet, solche Lebensmittel zu identifizieren. Aber am Fraunhofer FIT steht der Benutzer selbst im Fokus, nicht die Technologie. So haben wir uns eine einfache, allgemein gültige und dezente Lösung überlegt - positiv für beide Verkäufer und Käufer. Typisch für den Käufer auf Frischmärkten ist es, die Produkte zu inspizieren und zu berühren. Zum Beispiel berühren sie eine Avocado, um zu sehen wie reif sie ist. Händler sehen aus hygienischen Gründen nicht gern, wenn ihre Waren von jedem angefasst werden. Unsere Lösung sieht vor, dass der Händler nur ein Produkt aus der Lieferung mit RFID markiert, das der Käufer dann begutachten und berühren kann. Nimmt der Kunde die markierte Avocado in die Hand, zeigt der „Magische Ring“ es an und berät ihn dementsprechend. Das Resultat ist ein glücklicher Kunde. Kunden ohne Ring fühlen und inspizieren die Avocado, sie können vor dem Kauf die Reife und andere Charakteristika fühlen. Auch hier führt das Ergebnis zu zufriedenen Kunden. Für den Händler bedeutet es letztendlich, dass der Rest der Ware unberührt und sauber bleibt.

Wie sieht die praktische Handhabung aus?

Es bleibt noch viel Raum für Verbesserung, nicht nur, weil wir zuerst die Interaktion regeln wollten und uns deshalb nicht so sehr auf die Elektronik konzentrierten. Unser Ziel ist es, den Magischen Ring auf eine unauffällige Weise aufzuladen. Das bedeutet, dass Leute ihn einfach an ihren Finger stecken und ihn nie wieder abziehen müssen. Wir suchen zurzeit nach Wegen, den Ring direkt auf dem Finger aufzuladen.

In der exotischeren Variante erzeugen wir die nötige Elektrizität über tägliche Aktivitäten wie Gehen, Händeschütteln und so weiter. In der simplen Version funktioniert das Aufladen über kabellose Ladegeräte. So könnte man zum Beispiel die Ladestation einer elektrischen Zahnbürste als Ladegerät nutzen und in eine normale Computermaus einbauen, und so den Magischen Ring aufladen, während der Nutzer arbeitet oder am Computer spielt. Der Benutzer würde es nicht bemerken, wenn der Ring lädt. Wie auch immer es einmal aussehen wird, jetzt befinden wir uns noch in einer kreativen Phase und haben uns noch nicht für die passendste Idee entschieden und sind für neue Vorschläge sehr offen.

Welchen Mehrwert hat es für den Händler? Gibt es für ihn besondere Anreize, das System einzuführen?

Ich deutete schon die Vorteile oben in den Antworten an. Supermärkte wollen RFID zu ihrem eigenen Nutzen und nicht wegen des Rings einführen. Wir nutzen die RFID Infrastruktur sozusagen Huckepack, um etwas Neues anzubieten. Unterstützen Supermärkte den „Magischen Ring“, so bringt ihnen das mehr zufriedene Kunden und einen festen Kundenstamm. Markthändler brauchen keine großen Investitionen zu tätigen, um ihren Kundenkreis zu vergrößern. Die Kosten für einen kleinen Händler würden sich auf nur einige Euro für 20-30 überschreibbare RFID Chips belaufen.

RFID ist im Handel eher im Bereich der Logistik anzutreffen. Wann können wir mit der Einführung des Ringes im Lebensmittelhandel rechnen?

RFID bietet einige Vorteile im Vergleich zu Barcodes. Zum Beispiel, wenn Produkte durch RFID markiert werden, können sie identifiziert und in Rechnung gestellt werden, ohne sie aus dem Einkaufswagen zu nehmen; das erspart den Märkten Zeit und Arbeit. Der Grund, warum Supermärkte Barcodes verwenden, besteht darin, dass RFID Chips ungefähr 5-8 Cent pro Chip kosten, das ist mehr, als sich Supermärkte leisten können. RFID wird weiterhin in der Logistik verwendet, weil die finanziellen Einsparungen dort bereits die Kosten decken. Sobald die Preise fallen und RFID weniger als ein Cent pro Chip kosten, werden auch Supermärkte RFID verwenden; es liegt einfach in ihrem Interesse, das zu tun. Wir bereiten den Ring für diesen Tag vor und suchen nach Industriepartnern, die uns helfen, den Ring weiter zu entwickeln, ihn optisch ansprechend zu machen und ihn zu erschwinglichen Kosten zu produzieren.

Ingrid Spicker, Erstveröffentlichung: InterMopro.de


 

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