Firmennachricht • 13.03.2014
Mehrweg im Tauschrausch
Studie macht wirtschaftlichen Tumult der Getränkeindustrie transparent
Es ist wie beim Kartenspiel "Schwimmen". Die Karten werden gemischt und ausgegeben. Die Spieler untereinander tauschen solange Karten, bis der Erste eine Einheit in Farbe oder Symbol erzielt hat. Es gewinnt der Spieler mit dem höchsten Blatt.
Ein guter Zeitvertreib, dachte sich wohl auch die Getränkebranche und macht aus dem vor Jahrzehnten geplanten Einheitssystem, sprich Normflasche und Normkiste, ein unkontrollierbares Massenchaos, das täglich wächst und ökologisch und wirtschaftlich immer mehr belastet.
Die Tauschrate im Mehrwegsystem nimmt hierbei ständig zu. Große Getränkehersteller sortieren selbst, kleine Abfüller und der Getränkefachhandel bereinigen ihren Pool über Sortierzentren. Und vielen Abfüllern und Logistikern ist das Thema zu chaotisch bzw. zu teuer und verirrte Flaschen werden häufig entsorgt.
Einen Gewinner gibt es nicht, zeigt die nun fertiggestellte Studie der Unternehmensberatung Weihenstephan GmbH, Tochter der Deloitte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die auf Anforderung der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. und des Handelsverbands Deutschland e.V. erstellt wurde. Die Arbeit bestätigt die von Robert Sauer bereits 2009 erschienene und für die Branche bekannteste Studie "Zukunft Mehrweg". Bereits hier wurden erste Umlaufzahlen veröffentlicht, die damals kontrovers diskutiert wurden. Robert Sauer ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung CIS GmbH und seit August letzten Jahres selbst Brauereibesitzer der Bergbräu in Niedersachsen. Er selbst leidet unter dem täglichen Durcheinander auf dem Hof seiner Brauerei.
Die Weihenstephan-Studie zeigt Flaschen-Umlaufzahlen und Transportentfernungen in der Getränkeindustrie. Mit einer Marktabdeckung von 53 Prozent im Bierbereich ist die Studie die repräsentativste Studie, die zu diesem Thema jemals erstellt wurde.
Der Lebenszyklus und Kreislauf des gesamten Mehrweg-Flaschenpools inklusive Individualflaschen für Bier, Wasser und Erfrischungsgetränke wurde hierbei in Kooperation mit renommierten Branchenverbänden, Lebensmittelhändlern und Getränkeherstellern analysiert. Berücksichtigt wurden alle Flaschentypen, von Bügelverschluss über Long-Neck und Brunneneinheitsflasche bis hin zur NRW-Flasche, die zwar dominiert, jedoch mit nur noch 39 Prozent Marktanteil stetig verliert.
Das Ergebnis ist genauso faszinierend wie erschreckend. Die Pool-Mehrwegflasche 0,5 Liter erreicht im Schnitt 8 Umläufe vor Tausch und 36 Umläufe nach 100-prozentigem Tausch. Individual-Mehrwegflaschen zählen ohne Tausch 4 und mit Tausch 23 Umläufe. Aufgrund der Komplexität des gesamten Mehrwegsystems ist nicht feststellbar, wie viele Umläufe tatsächlich erreicht werden, da sich der Flaschentausch nur bedingt nachweisen lässt. Zwar zeigt die Studie Umläufe bei theoretisch vollständigem Tausch, es kann aber in der Praxis davon ausgegangen werden, dass nur 90 Prozent aller Fremdflaschen getauscht werden, der Rest wird sehr wahrscheinlich entsorgt. Die Umläufe liegen also trotz Sortierung deutlich unter den angegebenen, was die Zahlen der Neuglasbeschaffung bestätigen. Und jede fehlende Flasche reduziert die Umlaufquote drastisch. Die in der Vergangenheit für Ökobilanzen zugrunde liegenden Umlaufzahlen von 50 für Bier-Mehrwegflaschen (gemäß UBA I des Bundesumweltamtes), auf dessen Basis das Mehrwegpfand-System aufbaut, können von Weihenstephan nicht bestätigt werden. Gerade Individualflaschen belasten das System gewaltig. Betrachtet man den Sortieraufwand, lässt sich der Nutzen des Tauschrausches der Branche leicht in Frage stellen.
Im Bierbereich kommt man bei 59 Mio. HL in Mehrweg-Flaschen laut Robert Sauer auf geschätzte 9 Milliarden Tauschvorgänge pro Jahr. Allein die Sortierkosten liegen je nach Größe des Betriebs und Art der Sortierung, ob interne Sortierung oder extern über einen Dienstleiter, zwischen 0,5 und 1,2 Cent pro Gebinde. Bei einem realistischen Mittelwert von 0,85 Cent Sortierkosten pro Flasche bedeutet dies eine wirtschaftliche Branchen-Belastung von 76,5 Millionen EUR jährlich, zuzüglich Logistikkosten. Ein weiterer Kostenfaktor für Abfüller ist die zunehmende Neuglasbeschaffung, die sich je nach Brauereigröße zwischen 7 und 15 Prozent beläuft. Mit durchschnittlich mindestens 11 Prozent Neuglasanteil im Jahr fällt diese Anschaffung mit geschätzten 170 Millionen EUR zusätzlich ins Gewicht.
Im Wasser- und Erfrischungsgetränkebereich dominieren bereits zu jeweils 58 Prozent und 72 Prozent Einwegverpackungen. Zumindest der restliche Mehrweganteil galt hier als umlaufsicher. Weihenstephan zeigt allerdings auch hier, dass die Umläufe weit unter 50 liegen. Im Schnitt liegen die Umläufe der Poolflasche bei 38, der Individualflasche bei 23 und der PET-Mehrwegflasche bei 19 Umläufen.
Betrachtet man vor allem die aus Umweltsicht hinsichtlich des CO2-Ausstoßes wichtigen Transportwege, zeigen sich für das Biersegment ebenfalls hohe Unterschiede im Vergleich zur der Gesetzgebung zugrunde liegenden Ökobilanz. Während das Umweltbundesamt für Hin- und Rückfahrt von einer Gesamtstrecke von 200 km ausgeht, sind es tatsächlich im Gesamtdurchschnitt 437 km, die eine Flasche zurücklegt. Die weiteste Strecke legen mit 537 km Individual-Mehrwegflaschen zurück, Pool-Flaschen kommen auf 419 km. Nur kleine Brauereien unter 50.000 Hektoliter liegen mit 154 km gemäß Umweltbundesamt im Rahmen.
Laut den Auftraggebern der Arbeit, der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. und des Handelsverbands Deutschland e.V., zeigt die Studie, dass sich der Markt stark verändert und die Branche mit der steigenden Kostenintensität immer mehr zu kämpfen hat. Die Aussage "Mehrweg ist gut und Einweg schlecht", ist schlicht weg veraltet. Das Mehrwegsystem wird aus ökologischer Sicht viel zu sehr von neuen Faktoren belastet. Regional im engen Radius ist Mehrweg vorteilhaft, national werden die Karten aber neu gemischt, steigende Transportwege und eine scheinbar unbeherrschbares Flaschenchaos brechen jeden Tag mehr den Grundgedanken des Mehrwegsystems. "Ökonomisch und ökologisch müssen für die Branche neue Rahmenbedingungen und Spielregeln aufgestellt werden, welche aktuelle Marktbedingungen berücksichtigen und die Unternehmen und die Umwelt nicht weiter be- sondern entlasten", fasst Robert Sauer den Handlungsbedarf zusammen.
Quelle: CIS GmbH - Beratung für Industrie & Handel
Themenkanäle