Im internationalen Handel entscheidet der Ursprung einer Ware über ihre zollrechtliche Behandlung bei der Einfuhr – die Herkunft ist sozusagen „Nationalität“ des gehandelten Guts. Bisher liegt grundsätzlich der Ursprung einer Ware in dem Land, in dem die „letzte wesentliche Be- oder Verarbeitung“ vorgenommen wurde. Der Exporteur erklärt das bei Bedarf in einem Ursprungszeugnis. Dieses Prinzip wird weltweit akzeptiert.
Aufwendiges Verfahren droht
Die Europäische Kommission will nun ein wesentlich komplizierteres Verfahren einführen, nach dem u. a. der Zeitpunkt des Kaufs, der Warenwert und die Fertigungsschritte jedes Bestandteils dokumentiert werden müssen. In Listen werden für jedes einzelne Produkt spezifische Kriterien vorgeschrieben, die ausschlaggebend für dessen Ursprungsbeurteilung sind. In vielen Fällen ist der Wert der Bestandteile maßgebend. Damit würden viele Produkte nicht mehr als „made in Germany“ gelten, wenn sie teure Vormaterialien oder Rohstoffe aus Drittländern enthalten. Ein weiteres Problem: Bei Preisschwankungen könnte sich der Ursprung für die gleiche Ware mehrmals ändern.
Leichteres Antidumping – aber zu welchem Preis?
Hauptanliegen der EU-Kommission ist es, mit der neuen Regelung mehr Rechtssicherheit für ihre Antidumping-Maßnahmen beim Import zu schaffen. Strafzölle gegen Dumping-Produkte könnten heute durch eine Ursprungsänderung umgangen werden, weil eine „wesentliche“ Be- oder Verarbeitung interpretationsfähig ist. Nur 0,7 % der europäischen Importe sind allerdings von solchen Antidumping-Maßnahmen betroffen. Dennoch würden alle Wirtschaftsbeteiligten zur Umsetzung der neuen Ursprungsregeln verpflichtet werden. Denn nach geltendem WTO-Recht müssen bei der Ursprungsbestimmung für den Export die gleichen Regeln wie beim Import angewandt werden, sofern die Drittstaaten auf Ursprungszeugnissen bestehen. Vor allem die exportstarken deutschen Unternehmen wären belastet. Denn hierzulande stellen die IHKs jährlich über 1,3 Mio. Ursprungszeugnisse für den Export aus.
Risiken und Nebenwirkungen
Exporteure aus Drittländern müssten die neuen Regeln ebenfalls einhalten, um ihre Güter in die EU einführen zu können. Mit weitreichenden Folgen: Drittstaaten könnten umgekehrt von europäischen Exporteuren ein ähnliches Verfahren verlangen. Europäische Unternehmen müssten dann die Vorschriften sämtlicher Länder kennen, in die sie ihre Waren versenden wollen – ein immenser Aufwand. Zudem: Wenn die letzte wesentliche Be- und Verarbeitung in Deutschland irrelevant für den Ursprung und damit für das Qualitätssiegel „made in Germany“ ist, könnten zusätzliche Fertigungsschritte von Deutschland ins nicht europäische Ausland verlegt werden, wo z.B. Lohnkosten niedriger sind.
Handelserleichterung soll Priorität Nr. 1 sein
Die neuen Ursprungsregeln dürfen nicht in der geplanten Weise eingeführt werden; das über Jahrzehnte bewährte Ursprungsrecht muss erhalten bleiben. Die Europäische Kommission benötigt zwar für ihre Antidumping-Maßnahmen verbindlich anzuwendende und klare Ursprungsregeln. Diese sollten aber ausschließlich in Streitfällen zur Ermittlung des Ursprungs herangezogen werden. Sie allgemein für alle Handelsgeschäfte anzuwenden, würde deutlich über das Ziel hinausschießen und dem erklärten Ziel der EU-Kommission widersprechen, den Handel durch den Abbau bürokratischer Hürden zu erleichtern.