Der Dauer-Debatte um die Ladenöffnung an Sonntagen wurde in den letzten Monaten ordentlich eingeheizt. Ver.di klagte erfolgreich gegen zahlreiche verkaufsoffene Sonntage im ganzen Land. Gemeinden und Händler-Vertreter sehen die Sonntagsöffnung als geeignetes Mittel, um mehr Besucher zum Einkaufen in die Innenstädte zu locken. Aber ist die Aufweichung der sonntäglichen Arbeitsruhe die Antwort auf den Druck, den E-Commerce-Riesen auf stationäre Einzelhändler ausüben?
„Die Einzelhandelsverbände tun sich keinen Gefallen mit dem Ruf nach Sonntagsarbeit. Denn wer will den Onlinehändlern […], Paketdiensten, Banken, Kfz-Werkstätten und Versicherungen die Sonntagarbeit verweigern, wenn sie dem Einzelhandel zugestanden wird? Wenn alle am Sonntag arbeiten, beißt sich die Katze in den Schwanz.“ (Stefanie Nutzenberger, Ver.di)
Die Problematik in der Rechtsprechung zur Sonntagsöffnung: der Anlassbezug
Das Gesetz über den Ladenschluss (inzwischen meist durch Landesgesetze abgedeckt) regelt, dass die allermeisten Verkaufsstellen sonntags grundsätzlich geschlossen bleiben müssen. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte im Jahr 2009, dass diese Regelung zur Arbeitsruhe für den verfassungsrechtlich garantierten Schutz von Religionsfreiheit, Gesundheit sowie Ehe und Familie wichtig sei.
Ausnahmen bilden verkaufsoffene Sonntage, die in den meisten Bundesländern auf vier pro Jahr beschränkt sind und von den Gemeinden zugelassen werden. Dafür muss jedoch ein Anlass in Form von Veranstaltungen wie Volksfesten oder Messen gegeben sein. In einem Urteilsspruch präzisierte das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2015, dass diese Events allein eine beträchtliche Anzahl an Besuchern anziehen müsse, um eine Sonntagsöffnung zu rechtfertigen.
In zahlreichen Urteilen der letzten Jahre wurden verkaufsoffene Sonntage genau wegen dieser schwammigen Begründung auf Klagen von Arbeitnehmerverbänden hin – teilweise sehr kurzfristig – doch nicht umgesetzt. Solche Absagen können zu wirtschaftlichen Einbußen und Imageschäden für Gemeinden und Händler führen.
Mehr oder weniger Liberalisierung – Grabenkampf um den verkaufsoffenen Sonntag
So gelangt man zu der einen Schlussfolgerung, in der sich alle Interessenvertreter einig sind: Eine klare, rechtssichere Regelung muss her. So fordert beispielsweise der HDE, „dass unsere Betriebe die verkaufsoffenen Sonntage, die nach den jeweiligen Länderregelungen möglich sind, rechts- und planungssicher umsetzen können.“ Ab diesem Punkt der Übereinstimmung spalten sich die Interessensgruppierungen allerdings in zahlreiche Lager auf.
Die Skala der Forderungen reicht von einer völligen Freigabe bis zur Abschaffung der verkaufsoffenen Sonntage. Symbolisch für die zwei Pole stehen die Initiative „Selbstbestimmter Sonntag“ für Ladenöffnung – von Karstadt, Kaufhof, KaDeWe-Group ins Leben gerufen – und die „Allianz für den freien Sonntag“ der Katholischen Arbeitnehmerbewegung. Erstere fordert, den Händlern alle Sonntage für die Ladenöffnung freizugeben. Letztere ist der Auffassung, dass zwei verkaufsoffene Sonntage im Jahr ausreichen. Eine bundeseinheitliche Regelung sowie eine Evaluation der Ladenöffnungszeiten müsse her. Tatsächlich ist es schwierig, allgemeine und belastbare Studien zu finden, die Nachteile oder Nutzen liberaler Öffnungszeiten eindeutig belegen.
Die Befürworter für verkaufsoffene Sonntage sehen diese als effektives Instrument zur Steigerung des Erlebniswerts und der Aufenthaltsqualität in Innenstädten. Und das sei laut Kai Falk, Geschäftsführer des HDE, notwendig, denn „die demografische Entwicklung und ein verändertes Kundenverhalten haben zu rückläufigen Besucherfrequenzen in den Innenstädten geführt. Diesem Trend können gelegentliche Sonntagsöffnungen wirksam begegnen.“
„Frequenzen, Käuferzahlen und Durchschnitts-Bons sind an Sonntagen in der Regel deutlich höher als an anderen Wochentagen. Es kommt auch verstärkt zu zusätzlichen (Impuls-)Einkäufen.“ (Ein Sprecher der Initiative „Selbstbestimmter Sonntag“)
Die Kunden wieder in die Innenstädte locken – stationär versus online
Das Einkaufen in den Gemeinden attraktiv zu gestalten ist sicherlich der richtige Ansatz. Problematisch wird es, wenn die Sonntagsöffnung als Heilmittel für die Schwierigkeiten des stationären Handels gepriesen wird.
Die Initiative „Selbstbestimmter Sonntag“ will mit der Sonntagsöffnung „Chancengleichheit gegenüber den reinen Online-Händlern“ herstellen. „Wenn die Läden an Sonntagen zu sind, wandern die Kunden eher ins Internet […] ab, als ihren Umsatz innerhalb der Wochentage im City-Handel auszugeben“, erklärt ein Sprecher von Galeria Kaufhof.
„Interessante kleine Läden halten wenig bis gar nichts von der Sonntagsöffnung, weil sie das mit ihrem Personal meist gar nicht leisten können und wollen. […] Innenstädte, die von den immer gleichen Filialisten beherrscht werden, tragen zur Verdrängung der letzten mittelständischen Läden bei.“ (Stefanie Nutzenberger, Ver.di)
Doch genau an diesem Punkt greifen die Argumente zu kurz. Die Konkurrenz mit den Online-Pure-Playern kann von Einzelhändlern nicht nur dadurch gewonnen werden, all das zu leisten, was große E-Commerce-Händler bieten. Auch stationäre Einzelhändler sind mit ihren Webshops schließlich rund um die Uhr für die Kunden erreichbar. Wichtig wäre also, sich bei Kunden als Anlaufstation zu etablieren, egal über welchen Kanal, so dass die großen E-Commerce-Anbieter nicht alle Online-Bestellungen abfangen.
Customer Journeys gestalten, die dem neuen Kundenverhalten gerecht werden
Es stimmt wohl, dass Konsum und Shopping immer mehr zur Freizeitgestaltung gehören. Sicher können auch gewisse Branchen wie der Möbelhandel oder Tourismus und Gastronomie von verkaufsoffenen Sonntagen profitieren. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sollten dieser Entwicklung Rechnung tragen.
Aber das Einkaufsverhalten selbst ändert sich auch. Es werden im Internet Recherchen durchgeführt, Preise verglichen oder das im Laden Geprüfte später online bestellt. Die Umsatzzahlen einzelner verkaufsoffener Sonntage oder des Onlineshoppings lassen sich nicht unbedingt langfristig und eins zu eins auf den stationären Handel übertragen.
Sonntags das Gleiche anzubieten, wie die restlichen sechs Tage der Woche: So einfach sieht die Lösung für die meisten Einzelhändler nicht aus. Denn die Erwartungen der Kunden steigen ganz grundsätzlich: Einkaufen soll bequemer und schneller werden und nahtlos an die Internetnutzung der Konsumenten anschließen. Mit gut umgesetzten Omnichannel-Konzepten, einem positiven Einkaufserlebnis und kompetenter Beratung können sich Geschäfte gegenüber reinen Onlineshops hervortun, auch unter der Woche.