Kulturwandel: Vom Traditionsunternehmen zum Digital Player
Best Practice Session auf der Neocom 2018
iXtenso / Pott
Auf der Neocom 2018 im Kameha Grand Hotel in Bonn sprachen vier Vertreter von etablierten deutschen Handelsunternehmen über den Spagat zwischen traditionellen Verfahren und der Anpassung an den Druck, den die Digitalisierung und der Wettbewerb ausübt.
Wie gehen klassische Versandhändler mit den Möglichkeiten, die das Internet bietet und vor allem mit steigenden Kundenerwartungen um? Referenten von Bonprix, Baur, Rewe und Fleurop stellten die Strategien ihrer Unternehmen vor.
Fleurop: Auf die Minute genau liefern
Die Fleurop AG wurde 1908 in Berlin als „Blumenspenden-Vermittlungsvereinigung“ gegründet und vermittelte schon damals Bestellungen ihrer Kunden an Partnerfloristen. Sebastian Marx, zuständig für Strategie und Vertrieb bei Fleurop, sprach über die Besonderheiten dieses Produkts.
Zuallererst sei das Versenden von Blumen eine hochemotionale Angelegenheit und Fleurop setze sich das Ziel, für ihre Marketingstrategien die (Vor-)Freude auf Versender- und Empfängerseite zu nutzen. Gleichzeitig aber sei enorm wichtig, dass Lieferungen pünktlich, schnell und an genau den richtigen Adressaten zugestellt würden, egal ob Versender und Empfänger Nachbarn seien oder auf unterschiedlichen Kontinenten wohnten. „Konsumenten gewöhnen sich an neuen Komfort und entwickeln schnell hohe Erwartungen“, gab Marx zu bedenken. Selbst mittelständische Versandhändler müssten am selben Tag liefern können, auch – oder gerade – bei Stoßzeiten wie am Valentins- oder Muttertag.
Fleurop garantiert für einen Teil der Produkte eine Lieferung innerhalb von 100 Minuten. Wie das möglich ist? Marx erklärte dazu: „Bei uns funktioniert das nicht dank eines leistungsstarken Algorithmus‘, sondern dank engagierter Servicemitarbeiter am Telefon.“
Baur: Sich nicht bequem zurücklehnen
1925 in Burgkundstadt gegründet, agierte Baur als der erste Schuhversender. Patrick Boos, Geschäftsführer Marke und Vertrieb für Baur Versand, gab mit einem Augenzwinkern zu, dass interne Maßnahmen wie Kollaboration, digitale Kommunikation und agile Innovation für ein oberfränkisches Traditionsunternehmen nicht selbstverständlich seien. „Ich verbringe 20 bis 30 Prozent meiner Zeit damit, den notwendigen Kulturwandel im Unternehmen voranzutreiben“, räumte er ein.
Die lange Historie komme Baur aber auch zugute, meint Boos. Immerhin gingen mehrere Innovationen, die heute selbstverständlich seien, auf den Schuhversand zurück: die Sammelbestellung, der Ratenkauf und das Rückgaberecht.
Der Konkurrenz durch Global Player will Baur mit ihren USPs begegnen. Hier sieht er die Qualitäten des Unternehmens vor allem als Inspirationsquelle, Berater und Contentproduzent für Mode und Einrichtung.
Bonprix: Alles aus einem Guss
Bonprix kann mit dem Gründungsjahr 1986 nicht ganz mit den drei anderen hier genannten Händlern mithalten, ist dafür aber schon seit 1997 im Onlinegeschäft tätig und damit für viele ein Vorreiter. Geschäftsführer Kai Heck erklärte in seinem Vortrag, der Modeanbieter vertreibe ausschließlich eigene Produkte auf den eigenen Vertriebskanälen. Auf diese Weise könne Bonprix das Sortiment, den Preis und den Verkaufsprozess sehr gut steuern und flexibel agieren.
Auch der Markenauftritt sei aus einem Guss, so dass der Wiedererkennungswert genutzt werde: vom Gesamtsortiment über den Webauftritt bis hin zur Markenbotschaft und Corporate Identity. Im Prinzip müsse Bonprix nur die Sprache und die Währung in den ausländischen Webshops anpassen, scherzt Heck, um damit einen neuen Markt zu erschließen.
Wichtig sei ein interner Kulturwandel, um sich agil weiterentwickeln zu können. Führungskräfte sollten ihren Mitarbeitern Freiräume geben, Vernetzung und Austausch seien entscheidend für den Erfolg. Nur so sei ein Händler in der Lage, flexibel zu reagieren. Unternehmen und Märkte sind eh nicht mehr beherrschbar, dazu sei alles zu komplex.
Rewe: Überall und immer
Vorläufer der Rewe Group ist der Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften, 1927 von selbstständigen Kaufleuten zum gemeinschaftlichen Einkauf von Waren gegründet. Heute ist Rewe einer der wenigen Supermärkte, die an ihrem Online-Lebensmittel-Lieferdienst festgehalten haben. Viele andere Lebensmitteleinzelhändler haben sich aus dem Liefergeschäft wieder zurückgezogen oder sind gar nicht erst in den Markt vorgedrungen.
Julian Breuer, Head of Digital Strategy der REWE Digital GmbH, erklärte bei seinem Vortrag auf der NEOCOM diese Zurückhaltung mit den operativen Herausforderungen, die auf einen Lebensmittelversender zukämen.
Große Warenkörbe mit vielen niedrigpreisigen Produkten, die Rückgabe von Pfandflaschen sowie die Kühlung und Frische von Lebensmitteln seien nur einige Faktoren, die die Lieferung erschweren, so Breuer. Bei Lebensmitteln herrsche generell eine hohe Skepsis bei Kunden, als Onlinehändler höre man regelmäßig den Vorwurf: „Ihr verkauft doch im Internet die Produkte aus dem Laden, die fast abgelaufen sind.“ Außerdem herrsche in deutschen Städten eine hohe Filialdichte und ein harter Wettbewerb durch Discounter im Lebensmitteleinzelhandel. Diesen Herausforderungen und Ansprüchen gelte es zu begegnen.
Breuer setze hier auf einen starken Vertriebskanalservice. Welchen Kanal der Kunde auch wähle – den Einkauf im Supermarkt, die Abholung bestellter Lebensmittel in der Filiale, die Bestellung im Onlineshop und die Lieferung nach Hause – man wolle den Kunden abholen. Ziel sei es auch, alle Einkaufsanlässe zu bedienen, vom Großeinkauf über den regelmäßigen Wocheneinkauf bis zum Spontankauf.
Zu guter Letzt setze Rewe auf ein flexibles Shopsystem, dieses sei unerlässlich für die Weiterentwicklung der eigenen Services, meinte Breuer. Zu diesem Zweck habe Rewe im Jahr 2014 den E-Commerce-Anbieter Commercetools gekauft. Profitabel sei das Unternehmen allerdings noch nicht.
Auch große etablierte Versandhändler spüren den Veränderungsdruck und suchen nach neuen Lösungen. Auf der NEOCOM 2018 war zu hören und zu sehen, dass sich etwas bewegt im Markt. Arbeitsbedingungen und Kundenerwartungen verändern sich und darauf müssen sowohl junge Firmen als auch Traditionsunternehmen reagieren.
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