Der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die trotz Vollzeitarbeit ein niedriges Monatsentgelt von weniger als zwei Dritteln des mittleren monatlichen Bruttoarbeitsentgeltes aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten bekommen, ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen, vor allem in Ostdeutschland. Trotzdem haben auch 2020 bundesweit noch knapp 19 Prozent der sozialversicherungspflichtig in Vollzeit Beschäftigten in diesem nach Definition der Bundesagentur für Arbeit (BA) „unteren Entgeltbereich“ gearbeitet. Dessen Obergrenze lag 2020 bei maximal 2284 Euro brutto monatlich. Deutschlandweit zählten 2020 nach der Abgrenzung der BA 18,7 Prozent der Vollzeitbeschäftigten zu den Geringverdienenden.
Das ergibt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, die auch die neusten verfügbaren Daten für alle deutschen Landkreise und kreisfreien Städte liefert. Die Auswertung zeigt große Unterschiede nach Regionen, Geschlechtern, Branchen und Qualifikation.
Obwohl sich der Abstand zwischen West und Ost verringerte, bleiben die regionalen Differenzen nach der WSI-Analyse weiterhin groß: Unter den ostdeutschen Stadt- und vor allem den Landkreisen sind Geringverdienerquoten von mehr als 30 Prozent weiterhin relativ häufig. Dagegen bleiben im Westen auch jene vorwiegend ländlich geprägten Regionen mit vergleichsweise hohen Anteilen unter dieser Marke, wenn auch in einigen Kreisen von Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und vereinzelt in Bayern nur relativ knapp. Generell ist Vollzeitarbeit im unteren Entgeltbereich in ländlichen Regionen, in denen es vor allem Kleinbetriebe und eher wenig Industrie gibt, stärker verbreitet.
Ausführliche Informationen finden Sie in der Pressemeldung der Hans-Böckler-Stiftung.
Niedriglohnquoten nach Branchen: Handel mit überdurchschnittlichen Anteilen
Auch die Branchenverteilung spielt eine wichtige Rolle: Im Gastgewerbe (68,9 Prozent), in Leiharbeit (67,9 %) und Land- und Forstwirtschaft (52,7 %) arbeiten mehr als die Hälfte der Vollzeitkräfte im unteren Entgeltbereich. Deutlich überdurchschnittliche Anteile weisen unter anderem auch der Bereich „Kunst und Unterhaltung“ sowie private Haushalte (33,2 %), die Logistik (28,3 %) oder der Handel (24,9 %) auf. Das Sozial- (19,5 %) und das Gesundheitswesen (17,8 %) liegen knapp über bzw. knapp unter dem allgemeinen Mittel. Im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt sind 11,5 Prozent der Vollzeitkräfte im unteren Entgeltbereich beschäftigt, in der Metall- und Elektroindustrie 7,6 Prozent. In der Finanz- und Versicherungsbranche liegt der Anteil bei 4,2 Prozent und im öffentlichen Dienst bei 2,5 Prozent (siehe auch Tabelle 1 in der Studie).
„Unsere Analyse zeigt einerseits einige positive Tendenzen: In den letzten Jahren ist es gelungen, den unteren Entgeltbereich zurückzudrängen“, fasst sein Forscherkollege Helge Emmler die Befunde zusammen. Dies gelte insbesondere für Ostdeutschland. Allerdings sei vor allem dort der untere Entgeltbereich weiterhin stark verbreitet und zugleich die Tarifbindung weit niedriger als im Westen. „Die geplante Anhebung des Mindestlohnes auf 12 Euro ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Um hier weiter zu kommen, ist darüber hinaus eine Stärkung der Tarifbindung erforderlich“, so Emmler.