Eine Frage umtreibt zurzeit fast alle Händler: Wie verbindet man den bekannten Vertriebsweg „stationär” mit dem revolutionären „online”? Und wie nutzt man parallel die Unmengen an Daten über Kunden und Produkte, die inzwischen zur Verfügung stehen, für höheren wirtschaftlichen Ertrag? Ohne beim komplexen Multichannelmarketing die Übersicht zu verlieren?
Auch wenn sie unterschiedliche Antworten präsentierten – einig waren sich alle Referenten des ETHALON Retail-Tags „Erfolg ist, wenn’s passt“: Das exponentielle Wachstum der Datenbestände, also Big Data, revolutioniert den Handel, den Umgang mit Werbung und vor allem den mit den Kunden. Und wie die Pioniere des 19. Jahrhunderts vor der Herausforderung standen, das Öl aus dem Boden zu holen, um das industrielle Wachstum zu fördern, sehen sich heute die Revolutionäre der digitalen und mobilen Medien in der Pflicht, „Data-Mining“ zu betreiben.
Von Big Data zu Big Brother
„Daten revolutionieren die Wirtschaft. Auch das menschliche Denken hat sich längst verändert – wir sind alle datengetrieben“, sagte Andreas W. Bauer, Senior Partner & Chairman International von Roland Berger Strategy Consultants. Und wir sind datenverfolgt. „Aus Big Data wird schnell Big Brother, wenn Kreditkartenunternehmen durch Datenanalyse mehr über den Verbraucher wissen als er selbst.“
Aber das Sammeln von Unmengen an Daten macht nur Sinn, wenn man sie für das Geschäft auch erfolgreich nutzen kann. Nur dann wird Datenwissen zu Macht. Portale dagegen, wie beispielsweise Facebook, denen es nicht gelungen ist, ein Geschäftsmodell zu präsentieren, wie die Datenfülle in wirtschaftlichen Gewinn umzumünzen ist, bekommen an der Börse die Quittung. Genauso löschen Kunden Applikationen auf ihrem Smartphone, wenn diese keinen realen Nutzen bieten.
Fordernde Kunden
Denn die Ansprüche des Kunden sind immens gestiegen. Er nutzt längst modernste Technik und alle Kanäle der Multimediawelt. Über die sich nur der Händler den Kopf zerbricht, weil er sie anbieten muss. „Der Kunde ist mündiger und damit fordernder geworden“, so Bauer. „Er möchte eine schnelle Lieferung und Werbung nur individuell zugeschnitten. Er will Preise genau vergleichen. Und vor allem seine Wünsche im Produkt wiederfinden. Es am liebsten selbst gestalten.“
Aber wie erfährt der Händler von diesen besonderen Wünschen? Denn die Zeiten, in denen sich Tante Emma in ihrem kleinen Laden mit ihrem Kunden persönlich unterhielt, sind längst vorbei. Tante Emma hatte kein Datenproblem im Vergleich zu heutigen Massenanbietern, bei denen die Kommunikationslücke zwischen Kunden und Händlern immer größer klafft. „Wie im Tante Emma Laden muss jedoch das Verständnis für die individuellen Wünsche des Kunden zurückgewonnen werden“, so Bauer.
Neue Trends im Multichannelmarketing
Aktuelle Multichannellösungen mit datenbasierten Marketing bieten hierfür eigentlich die notwendigen Instrumente, um die Kunden in ihrer Gesamtheit besser zu verstehen. Die Zeit der umständlichen Marktumfragen ist so passé.
Aktuelle Multichannellösungen mit datenbasierten Marketing bieten hierfür eigentlich die notwendigen Instrumente, um die Kunden in ihrer Gesamtheit besser zu verstehen. Die Zeit der umständlichen Marktumfragen ist so passé. Denn möglich sind inzwischen differenziertere Analysen der Kunden über verschiedene Quellen. Händler können danach zielgruppengerecht Sortimente, Preise, Shopkonzepte und Leistungen von Lieferanten optimieren. Und in einem letzten Schritt Daten sogar verkaufen. Leitfrage ist dabei immer: Wer kauft wo und warum was und wie?
Allerdings verwirren diese vielen neue Trends: Apps, Loyalty Programme oder Social Media sind längst etabliert. Werden aktuell ergänzt durch QR-Shopping oder Google Wallet. In naher Zukunft dominieren womöglich Near Field Communication oder Brillen, die Smartphones ersetzen. „Der Händler verliert die Übersicht oder hat sogar Angst, ob es gelingt, die neuen Technologien erfolgreich für das Kerngeschäft einzubinden“, sagte Jochem Wessling von ETHALON.
Die Bezahlung ist in dieser neuen Datenflut dabei zwar nur ein Element, aber laut Holger Spielberg, Head of Mobile Payment & Innovation bei PayPal Deutschland, ein elementares. „Das mobile Bezahlen boomt weltweit, auch wenn Deutschland noch etwas hinterherhinkt“, so Spielberg. „Der Anteil an mobilen Geldtransaktionen hat sich mehr als verdoppelt. Transparenz und Sicherheit sind Kunden dabei am wichtigsten.“
Attraktive Apps
„Gefragt ist deshalb eine Plattform, die offen für jede neue Technologie ist“, so Wessling. „Die eine niedrige Hürde hat, damit alle mitmachen. Wenn man Kunden gewinnen möchte, ist es wichtig, dass das Portal Spaß macht und einfach zu bedienen ist. Aber der Kunde muss sich auch mitteilen können, sonst nutzt er diese Form der Kommunikation nicht.“
Idealerweise hat er wie bei NuBON, dem neuen Shoppingerlebnis, nur eine App und ein Portal. Diese Community nutzt er geschäftlich wie privat. „Der digitale Kassenbon auf das Smartphone, den NuBON ebenfalls bietet, ist dabei unser Einstieg in den Handel. Viele Daten kommen aus dem Kassensystem, wo viel Wissen entsteht. Diese nutzt man für Coupons auf dem Smartphone oder Loyalty Programme, um Kunden zielgerichtet anzusprechen.“ Die Unternehmen Rudolf Wöhrl und Deichmann starten mit NuBON daher Anfang 2013.
Mobile Bestandsauskunft
Neue Technologien für die Datenübersicht helfen aber auch konkret beim Service in der Filiale: So kommen bei Görtz mobile Endgeräte zum Einsatz. Ein Kassen- und Filialsystem „to go“ unterstützt Mitarbeiter bei der Bestandsauskunft. Sie prüfen nicht mehr über den PC, sondern über ein iPhone mit App den Lagerbestand. Artikel bestellen sie im Lager leichter. „Dank des Zugriffs auf den Online-Shop über das iPhone können sie im Kundengespräch zudem weitere Informationen zu den jeweiligen Produkten ergänzen“, sagte Friederike Augustin, Projektkoordinatorin bei Görtz.
„Die Qualität der Kundenbetreuung verbessert sich so merklich. Es wird mehr verkauft und der Kunde wird außerdem für die Onlinedienste von Görtz sensibilisiert. Diebstähle reduzieren sich, weil die Mitarbeiter auf der Fläche präsenter sind. Und sie empfinden weniger Stress und haben viel Spaß an der neuen Technik.“
Auftragserfassung auf dem iPad
Belmondo wiederum unterstützt seinen Außendienst mit einer App auf dem iPad: Sie hilft mobil bei der Auftragserfassung. Die App kombiniert die Daten der Sortiments- und Artikelkataloge, der Kundendaten und unterstützt bei der Erstellung neuer Daten der Bestellung.
Besonders Mitarbeiter auf Messen oder bei Kunden vor Ort profitieren davon. Aufträge können sie schneller und leichter erfassen, Bestellungen sofort übermitteln, Produkte attraktiver präsentieren und sich im Gespräch intensiver um den Kunden kümmern. Und der Innendienst greift jederzeit auf die aktuellsten Dateninformationen zurück.
Perfekte Personalplanung
Auch bei den sehr komplexen Daten der Personaleinsatzplanung verzichten immer mehr Unternehmen auf komplizierte Zettelwirtschaft und setzen stattdessen auf Softwareprogramme für die digitale Bearbeitung: Die Gries Deco Company führte beispielsweise für den Mitarbeitereinsatz in ihren 250 Depot-Filialen mit Möbel- und Wohnaccessoires die Personaleinsatzplanungssoftware Argos ein.
Das Ziel, bedarfsorientiert zu planen, also die richtigen Mitarbeiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben, ist nun einfacher. „Die Anwendung ist webbasiert und erfordert daher keine zusätzliche Software in den Filialen, sondern wird zentral verwaltet. Und nur in der Zentrale wird sie gewartet und aktualisiert“, sagte Dieter Dix, Leiter Revision bei Gries Deco.
Die Personaleinsatzplanung kann auf nahezu jedem webfähigen Gerät benutzt werden. „Die Einsätze von festen wie freien Mitarbeitern sind bei uns jetzt transparenter“, so Dix. „Auch der Einfluss der Personalplanung auf den Umsatz in den einzelnen Filialen lässt sich ab sofort leichter analysieren bzw. optimieren. Das spart Zeit und viel Geld.“
Neues bei Argos
Erweitert wird das Produkt Argos laut Volker Diekmann, Teamleiter Vertrieb bei ETHALON, zurzeit um zahlreiche Neuerungen – bei technischen Komponenten, funktionaler Erweiterung und Bedienkomfort. So hat der Händler mehr Möglichkeiten beispielsweise für die Unterstützung aller gängigen Browser, Selbstverplanung von Mitarbeitern, Änderungsprotokollierung, Krankheitsworkflow, Nachtarbeit, regelbasierte Tarifmodelle oder Standardtagespläne.
Datenquelle Fachwissen
Parallel führte Gries Deko die Personaleinsatzplanung Argos über ein E-Learning ein: Man schulte circa 500 Mitarbeiter unterschiedlicher Zielgruppen wie Filial-, Regional- und Vertriebsleiter und Personalabteilung. Dafür trainierte man erst 50 so genannter Mentoren in zwei Tageseminaren in den einzelnen Filialen. Diese gaben ihr Wissen wiederum an maximal zwei bis drei Anwender im direkten Gespräch weiter. Denn auch die Daten bezüglich dieses fachlichen Know-hows, das konstant anwächst, beschäftigen Unternehmen im täglichen Alltag.