Der völkerrechtswidrige Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar hat die Welt verändert. Während die politischen und militärischen Folgen bisher kaum absehbar sind, haben die massiven Sanktionen gegen Russland und die internationale Isolation des Landes bereits spürbare Auswirkungen auch auf die europäische und deutsche Wirtschaft.
Viele Unternehmen haben ihre Exporte nach Russland gestoppt, Investitionen zurückgezogen und die Zusammenarbeit mit russischen Firmen aufgekündigt. Zwar zielen die Maßnahmen in erster Linie gegen die russische Wirtschaft und die russische Regierung, doch wenn Lieferketten gestört und Transportwege unterbrochen sind, werden auch deutsche Händlerinnen und Händler die Auswirkungen der Sanktionen zu spüren bekommen.
Angespannte Lage der Logistikbranche verschärft sich
Vor allem die Logistikbranche leidet bereits unter den Folgen der Kampfhandlungen in der Ukraine und den daraus folgenden Sanktionen der EU und vieler großer Unternehmen. Die Öl- und Gaspreise sind auf einem Rekordhoch. Zwar stagnieren die Preise derzeit, das aber auf sehr hohem Niveau. Für Speditionen bedeutet das zusätzliche Kosten, bei ausbleibendem Umsatz wegen fehlender Fahrten nach Russland und Belarus. Auch Fahrerinnen und Fahrer fehlen. Denn ein Großteil der sonst für europäische Speditionen fahrenden Ukrainerinnen und Ukrainer sind zur Verteidigung ihres Landes in die Ukraine zurückgekehrt. Ihr Fehlen, in Kombination mit den gestiegenen Kosten, führt zu einer weiteren Verschlechterung der durch Corona sowieso schon angespannten Lage.
Industriezweige, die auf große Mengen Strom angewiesen sind, stehen ebenfalls vor enormen Problemen: Stahlwerke, Glashersteller und Chemieunternehmen in Deutschland fahren die Produktion tageweise oder grundsätzlich herunter. Diese Branchen sind abhängig von russischen Gasimporten und bekommen die hohen Preissteigerungen besonders zu spüren.
Einer Blitzumfrage des Deutschen Inudstrie- und Handelskammertages (DIHK) zufolge fühlen sich mittlerweile fast 80 % der deutschen Unternehmen direkt oder indirekt vom Krieg in der Ukraine betroffen. In der Industrie spürt nur einer von zehn Betrieben keine Folgen.
Wachsende Auswirkungen auf den Handel
Für Einzelhändlerinnen und Einzelhändler stellt sich die Situation aktuell noch nicht so düster dar. Doch auch sie spüren die Auswirkungen des Krieges bereits. Die internationalen Lieferketten halten zwar noch, stehen durch die bereits angesprochenen Probleme der Logistikbranche, die fehlenden Importe aus Russland und die eingeschränkten Produktionsmöglichkeiten in der Ukraine aber unter großem Druck. Eine Zerreißprobe für das stark verflochtene europäische Handelsnetz. Hamsterkäufe von Teilen der Bevölkerung fügen der Lage eine weitere Unbekannte hinzu. So wird zum Beispiel besonders günstiges Sonnenblumenöl, welches zu großen Teilen aus Russland und der Ukraine kommt, nicht mehr ausreichend geliefert. Die Konsequenz: Einige Kundinnen und Kunden decken sich mit größeren Mengen an anderen pflanzlichen Ölen ein und sorgen damit für eine Flaute in den Regalen.
Durch die schwierige Lage der Logistiker und vieler anderer, von russischem Gas abhängigen Unternehmen könnten auch die Preise für Endverbraucher steigen. Bereits vor Beginn des Krieges lag die Inflationsrate im Februar laut Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 5,1 % und damit 0,2 % höher als im Monat zuvor. Die Verbraucherpreise stiegen in diesem Zeitraum um 0,9 %. Für Händlerinnen und Händler stellt sich die Frage, wie weit man die Preissteigerungen mit Zugeständnissen an die Zulieferbetriebe abfangen kann, ohne die eigene Position auf dem Markt zu schädigen. Der Einkauf bei Edeka, Rewe, Kaufland & Co dürfte damit in Laufe des Jahres spürbar teurer werden. Davon profitieren könnten Discounter, die besonders dann aufblühen, wenn Kundinnen und Kunden jeden Cent zweimal umdrehen müssen.
Russische Wirtschaft im freien Fall
Die größte Last der Sanktionen trägt aber ohne Zweifel die russische Wirtschaft. Die Liste der namhaften Firmen, welche sich aus dem Land zurückziehen, wird von Tag zu Tag länger. Unternehmen wie McDonalds, Puma, Netflix oder Apple, die beinahe sämtliche Geschäftsaktivitäten und Verkäufe in Russland eingestellt haben, sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. So haben die meisten der großen Autobauer ihre Exporte nach Russland gestoppt. Logistikanbieter wie DHL, FedEx oder Maersk haben ihre Lieferungen nach Russland eingestellt und Energiekonzerne wie BP oder Shell ziehen sich schrittweise vom russischen Markt zurück.
Deutlich schwerwiegender als die sofort spürbaren Auswirkungen dürften für Russland die langfristigen Folgen werden. Denn große Investitionen in das Land sind für viele westliche Unternehmen aktuell undenkbar. Wie sich das auf die technologische und wirtschaftliche Zukunft Russlands in den kommenden Jahren auswirken wird, bleibt abzuwarten. Eine positive Prognose stellt aber, außerhalb des Kremls, niemand.
Einzigartige Chance auf Veränderungen
Gleichzeitig bietet sich hier sowohl dem Handels- als auch dem Energiesektor in Deutschland und in Europa eine Gelegenheit, die über viele Jahre vernachlässigt wurde: eine Unabhängigkeit vom russischen Markt zu schaffen. Bereits jetzt laufen von der Bundesregierung und von Unternehmen initiierte Maßnahmen zur Sicherung der zukünftigen Eigenständigkeit bei Gas und Öl oder zumindest die Verlagerung der Abhängigkeiten weg von Russland hin zu europäischen Partnern.
Wie sich die Lage weiter verändern wird, kann aktuell nicht vorhergesagt werden. Es bleibt zu hoffen, dass der Krieg in der Ukraine, dem bereits so viele Menschen zum Opfer gefallen sind, bald ein Ende findet und sich die Beziehungen der beteiligten Ländern langfristig wieder normalisieren. Denn während in Deutschland über steigende Spritpreise, fehlendes Sonnenblumenöl und gedämpftes Wirtschaftswachstum diskutiert wird, darf eine Sache dabei nicht vergessen werden: Nur zwei Grenzen entfernt sterben tausende Menschen aufgrund der Machtfantasien eines einzelnen Mannes.
Diesen Krieg zu beenden muss das oberste Ziel sein. Dafür müssen Verbraucherinnen und Verbraucher Hand in Hand mit Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Händlerinnen und Händlern auftreten und Einschränkungen zumindest akzeptieren oder sogar als Chance für Veränderung erkennen.
Anmerkung: Aufgrund des dynamischen Geschehens rund um den Krieg in der Ukraine, der sich laufend ändernden Gegebenheiten und vieler nicht überprüfbarer Quellen stellt dieser Artikel keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Informationen. Er wird, wenn nötig, aktualisiert.