Wer Waren online verkauft, ist dazu verpflichtet, Mehrwertsteuern abzuführen. Die Höhe richtet sich dabei nach den jeweiligen nationalen Vorgaben. Doch was passiert, wenn nicht mehr nur innerhalb eines Landes gehandelt, sondern über die Ländergrenzen hinweg exportiert wird? Wieviel MwSt. müssen dann gezahlt werden und an wen? Die Berliner ClearVAT AG hat eine Softwarelösung entwickelt, mit der E-Commerce-Händler die Mehrwertsteuer leichter abführen können.
Die Gesetzeslage sieht aus wie folgt: Wer Waren an einen Endverbraucher in einem anderen EU-Land liefert, ist gesetzlich verpflichtet, sich im jeweiligen EU-Land steuerlich zu registrieren und den dort geltenden Mehrwertsteuersatz zu zahlen. Für Onlinehändler, die ihren Warenverkehr in der Regel nicht nur auf ein Land beschränken, führt dies schnell zu einer unübersichtlichen Fülle an Zahlungen und Meldungspflichten. Nicht wenige Händler verlieren in diesem Chaos den Überblick oder sind sich ihrer Pflichten nicht voll bewusst. Doch Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Steuerhinterziehung ist nach Paragraph 370 der Abgabenordnung eine Straftat und kann mit Bußgeld oder Freiheitsentzug geahndet werden.
„Das Problem ist, dass es faktisch keinen gesamteuropäischen Markt für E-Commerce-Händler gibt“, resümiert Roman Maria Koidl, Gründer und CEO der ClearVAT AG, die Sachlage. Das Start-up bietet E-Commerce-Händlern eine Softwarelösung, über die der Einzug, die Abfuhr und die Meldung der Mehrwertsteuer innerhalb der EU automatisch abgewickelt wird. „Der Händler braucht eigentlich nur unser Plug-In und einen Vertrag mit uns und kann dann automatisch in alle 28 EU-Staaten liefern“, erklärt Koidl. Bislang sieht das Angebot von ClearVAT für Onlinehändler folgende Leistungen vor: Die Produkte DISPLAY und THRESHOLD CONTROL sorgen dafür, dass die MwSt. auf der jeweiligen Online-Plattform korrekt berechnet und angegeben wird, je nachdem aus welchem Land der Käufer beziehungsweise der Adressat der Lieferung stammt. Mit dem Produkt COLLECT&CLEAR werden Abfuhr und Meldung der MwSt. unter Beachtung geltender Lieferschwellen der einzelnen EU-Staaten automatisiert vorgenommen.
Für sein Projekt konnte Koidl auch prominente Mitstreiter wie den ehemaligen Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück gewinnen, der dem Aufsichtsrat von ClearVAT vorsitzt. „ClearVAT leistet einen wichtigen Beitrag zur Steuergerechtigkeit“, findet Steinbrück, „Bei der Mehrwertsteuert stehen wir diesbezüglich in Europa erst am Anfang. Die Technologie schafft, woran sich die Politik seit über zehn Jahren die Zähne ausbeißt: eine einfache, praktische und faire Lösung, die Händlern Rechtssicherheit verschafft.“
Auch die Europäische Kommission hat das Problem der innereuropäischen Mehrwertsteuer erkannt. 2016 veröffentlichte sie einen Aktionsplan über einen einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum. Doch abgesehen von einigen Vorschlägen, die kurz darauf innerhalb der Kommission erarbeitet wurden, liegen die Pläne brach und gehören nicht zur aktuellen Agenda. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass die geltenden Mehrwertsteuergesetze Händler noch eine ganze Zeit lang begleiten werden.
Selbstverständlich hört der Onlinehandel jedoch nicht an den Grenzen der Europäischen Union auf. Auch für diesen Warenverkehr hat ClearVAT bereits Pläne: Mitte 2020 wollen sie ein neues Produkt auf den Markt bringen, das den Export von Produkten aus der EU in die Schweiz, Norwegen und das Vereinigte Königreich regulieren soll. Bei DECLARE handelt es sich um ein Verzollungsprodukt, das dafür sorgt, dass Waren am Zoll nicht mehr aufgehalten werden, sondern nahtlos durchlaufen können. Ende 2021 wollen sie das Produkt dann auch für den Import aus Drittstaaten in die EU anbieten.