Interview • 18.05.2015

“Handel und Hersteller brauchen eine gemeinsame Strategie”

Interview mit Andreas Bauer, CPO der 004 GmbH

Andreas Bauer: Der Hersteller muss in der Lage sein, die Kundenbedürfnisse...
Andreas Bauer: "Der Hersteller muss in der Lage sein, die Kundenbedürfnisse auch durch einen eigenen Online-Shop zu bedienen."
Quelle: 004 GmbH

Der Online-Handel birgt nicht nur Umsatzpotentiale für Händler, sondern auch für Hersteller. Wie aber kann vermieden werden, dass Händler und Hersteller online in eine unangenehme Konkurrenzsituation geraten? Andreas Bauer, CPO der 004 GmbH, plädiert für eine gemeinsame Online-Offline-Strategie von Herstellern und Handel, von der am Ende beide profitieren.

Herr Bauer, 004 hat vor kurzem für eine Studie in Zusammenarbeit mit dem ECC Köln die Online-Potentiale für Hersteller in verschiedenen Branchen untersucht.  Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Herausforderungen für Händler und Hersteller beim Eintritt in den eCommerce?

Die wichtigste Herausforderung ist hier eindeutig der Kanalkonflikt, der bei Herstellern in den allermeisten Fällen deutlich ausgeprägter ist als bei Handelsunternehmen. Hersteller vertreiben ihre Waren oft primär über den Großhandel. Wenn nun ein Hersteller plant, selbst in den eCommerce einzusteigen, bedeutet das natürlich einen Umsatzverlust für den Großhändler. Nimmt er daraufhin die Produkte des Herstellers aus seinem Sortiment, kann das je nach Anteil des Großhandelsvertriebs in der jeweiligen Branche zu Umsatzverlusten von bis zu 30 Prozent führen – das kann für den Hersteller schnell existenzbedrohend werden. Die Hersteller sollten daher bei Investitionen in den eCommerce auf möglichst schlanke Lösungen mit geringem Ressourcenverbrauch setzen, um das unternehmerische Risiko bei einer negativen Umsatzentwicklung zu minimieren. Ein Händler hat dieses Problem natürlich nicht im selben Maße, denn er verkauft direkt an den Endkunden und ist nicht auf „Zwischenstationen“ angewiesen, um seinen Umsatz zu machen.

Darüber hinaus geht es hier oft auch um ganz grundlegende Probleme. Zum Beispiel muss der Hersteller erst einmal ein Gefühl für die Wünsche des Endkunden bekommen, denn bisher hat er sich ja primär an der Nachfrage des Großhandels orientiert. Bei vielen Herstellern sind auch die internen Prozesse und Strukturen – wie zum Beispiel das Marketing – gar nicht darauf ausgelegt, direkt den Verbraucher zu erreichen. Hier wird dem Hersteller natürlich einige Flexibilität abverlangt. Ohne die Bereitschaft, sich auf diese Herausforderungen einzulassen, wird er im Online-Direktvertrieb keinen Erfolg haben.

Welche konkreten Vorteile bietet der eigene Online-Direktvertrieb dem Hersteller? Das Verkaufen über den Einzelhandel funktioniert doch gut …

Der Vorteil des Direktvertriebs ist ganz einfach die höhere Marge. Indem ich Zwischenstufen wie den Großhandel vermeide, kann ich als Hersteller meinen eigenen Gewinn erhöhen. Hier darf man jedoch nicht das Risiko außer Acht lassen, das ein Hersteller mit der Investition in einen eigenen Online-Vertrieb eingeht. Und dieses unterscheidet sich ja auch je nach Branche. Ein Fashion-Hersteller kann seine Produkte weitaus einfacher direkt an den Verbraucher verkaufen  als das zum Beispiel bei einem Unternehmen aus der Baubranche der Fall ist. 

Möchten Kunden überhaupt direkt beim Hersteller kaufen?

Es gibt inzwischen verschiedene Studien, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Man geht davon aus, dass zwischen einem und drei Prozent der Kunden sehr gerne direkt beim Hersteller kaufen wollen – Tendenz steigend. Diese Kunden versprechen sich davon insbesondere einen besseren und persönlicheren Service und sind im Regelfall auch bereit, deutlich mehr Geld pro Einkauf auszugeben. Es sind also eher emotionale Gründe, aus denen Kunden direkt beim Hersteller kaufen möchten. Insofern ist es für die Hersteller natürlich wichtig, den Wunsch dieser Kundengruppe zu erfüllen. Und man muss ganz klar sagen: Die Hersteller, die als erstes reagieren und mit auf ein solches Vertriebsmodell setzen, sichern sich innerhalb ihrer Branche einen wichtigen Vorsprung. Die aktuelle Entwicklung zeigt ganz klar: In absehbarer Zeit wird der eigene Online-Direktvertrieb auch für Hersteller zum Standard und damit unverzichtbar werden. In einigen Branchen ist die Entwicklung ja schon so weit – kein Fashion-Hersteller kann es sich heute noch leisten, nicht auch selbst online zu verkaufen.

Wie können Hersteller die Potentiale des Online-Vertriebs nutzen, ohne dass sie sich in eine unangenehme Konkurrenzsituation zu ihren Partnern aus dem Handel begeben?

Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Zusammenarbeit. Auch die Ergebnisse unserer Studie bestätigen die große Bedeutung einer integrierten Online-Offline-Strategie, die Hersteller zusammen mit ihren Handelspartnern fahren sollten. Ein eigener Online-Shop des Herstellers führt nicht nur zu höheren Umsätzen, sondern trägt auch zur Markenbildung bei. Davon profitieren wiederum auch die Händler.

Der Hersteller muss in der Lage sein, die Kundenbedürfnisse auch durch einen eigenen Online-Shop zu bedienen, da die Nachfrage in diesem Bereich nun einmal da ist. Um gleichzeitig aber einen Kannibalisierungseffekt zu vermeiden, sollten die beteiligten Parteien auf Kooperationsmodelle setzen. Das heißt, sie müssen gemeinsam eine Strategie entwickeln und sich beide darüber im Klaren sein, welches Produkt wann, wo und von wem verkauft wird, denn so lässt sich die bestmögliche Positionierung der Marke am Markt erreichen. Einfach gesprochen: Sie müssen eine maximale Kundenorientierung erreichen, ohne dass die jeweiligen Partner zu große Umsatzeinbußen hinnehmen müssen. Ein solches Gleichgewicht ist natürlich schwierig zu erreichen, auf lange Sicht führt aber kein Weg daran vorbei.

Welche Branchen sind in diesem Bereich bereits besonders gut aufgestellt?

Die Entwicklung ist naturgemäß in den Branchen am weitesten fortgeschritten, die von jeher die stärkste Orientierung am Endkunden aufweisen. Neben dem Bereich Fashion gehören auch die Bereiche Consumer Electronics, Büro und Schreibwaren sowie Spielwaren dazu. Aber auch in der Baubranche ist durchaus eine Nachfrage vorhanden – viele Bauträger verlassen sich nicht mehr einfach auf die Preise des Großhandels, sondern wollen ihre Materialien ebenfalls direkt vom Hersteller beziehen.

Das gilt eigentlich für alle untersuchten Branchen. Daher stellt sich heute gar nicht mehr die Frage, ob es sich für Hersteller lohnt, einen Direktvertrieb aufzubauen. Die Frage ist viel mehr, wann die verschiedenen Branchen dieses Geschäftsmodell für sich entdecken. Und beide Seiten, Handel und Hersteller, müssen zusammenarbeiten - nur dann sind sie in der Lage, das volle Potential des Marktes zu erschließen.

Interview: Daniel Stöter, iXtenso.com

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