Interview • 14.01.2015

"Stationäre Händler können mit händlerübergreifenden Apps die Customer Journey zu ihren Gunsten beeinflussen"

Interview mit Professor Niklas Mahrdt, Media Economics Institut

Professor Niklas Mahrdt: Es sollten alle Möglichkeiten des Location Based...
Professor Niklas Mahrdt: \"Es sollten alle Möglichkeiten des Location Based Marketings ausgeschöpft werden\".
Quelle: Media Economics Institut

Welche Folgen haben Smartphones und andere Mobilgeräte auf das Konsumverhalten? Eine Frage, mit der sich auch Händler heute beschäftigen müssen. Denn sie müssen neue Wege suchen, um die Kunden zu erreichen. Professor Niklas Mahrdt vom Media Economics Institut hat für eine aktuelle Studie mögliche Reaktionen des stationären Handels auf die zunehmende mobile Internetnutzung am PoS untersucht. Im Interview spricht er über seine Erkenntnisse zum Thema.

Herr Professor Mahrdt, ein Ergebnis Ihrer Studie ist, dass 60 Prozent der Befragten ihr Smartphone am PoS nur selten oder nie beim Einkaufen nutzen und viele gar keinen Einfluss des Geräts auf ihr Konsumverhalten sehen. Wo können hier mobile Marketing-Maßnahmen ansetzen? 


Unsere Studienergebnisse zeigen, dass die Reise des Kunden, die sogenannte "Customer Journey" bereits lange vor dem Besuch des stationären Ladens beginnt. 90% der Befragten besaßen zum Zeitpunkt der Befragung ein internetfähiges Smartphone. Mehr als 70% greifen mobil auf das Internet zu. Vor dem Kauf finden bereits mehrere Kontakte (Touchpoints) im Zuge von Recherchen zu Online-Angeboten statt. Hier stellt sich die Frage, wo stationäre Händler ansetzen können?

Stationäre Händler können unter anderem mit Hilfe von Suchmaschinenoptimierung, Aktivitäten in Sozialen Netzwerken, mit exzellenten Zusatzservices sowie mit händlerübergreifenden Apps die Customer Journey zu ihren Gunsten beeinflussen. Sie müssen zurück in das "Relevant Set" des Kunden. Übrigens sollten mögliche Zusatzservices, die vom stationären Händler vor Ort angeboten werden, auch online oder über soziale Netzwerke kommuniziert werden. Weiterhin sollten alle Möglichkeiten des Location Based Marketings ausgeschöpft werden. Hierzu zählen alle Maßnahmen, die der stationäre Händler im Internet und auf Suchmaschinen-Ergebnisseiten ergreifen kann, um seine Produkte auch für Kunden die sich mit dem Smartphone in der Nähe des stationären Ladens befinden, verfügbar und interessant zu machen. 

Smartphones gewinnen aber nichtsdestotrotz an Bedeutung und erhalten zunehmend eine Rolle als wichtiger Kontaktpunkt zum Kunden. Mit welchen Lösungen kann ein Händler seinen Kunden über sein Smartphone am besten erreichen? 

Unsere Studie bezieht sich auch auf das Konsumverhalten in sogenannten SHOPPING ENVIRONMENTS, also nicht nur in stationären Geschäften sondern auch in Fußgängerzonen, in Shopping Center (Einkaufszentren), in Einkaufsstraßen von Sub-Zentren sowie in Ladenpassagen. 

Wir unterscheiden zwei grundlegende Situationen: Was machen Kunden mit dem Smartphone, wenn sie sich nicht direkt im PoS befinden und was machen Kunden mit dem Smartphone im PoS. Außerhalb des PoS sind die bereits genannten Maßnahmen zu empfehlen. Unsere Studie ergab spannende Ergebnisse zu der Kundengruppe, die im stationären Laden das Smartphone benutzen: fast die Hälfte fotografiert gerne Produkte, um z.B. via SMS, What'sApp oder auch für Postings in Sozialen Netzwerken, um ein Feedback von Freunden zu bekommen. Mehr als 40% nutzen am PoS Suchmaschinen zum Produkt- oder Preisvergleich oder sie besuchen andere Online-Shops. An dieser Tatsache kann man nicht vorbei gehen. 

Andererseits haben die stationären Händler die Kunden vor Ort und können mit exzellenter Beratung punkten. Schließlich wollen die Kunden die Produkte anfassen, fühlen und ausprobieren und direkt mitnehmen. Das Verkaufspersonal sollte allerdings die Trends zu konkurrierenden Produkten und Preisen im Netz kennen. Idealerweise auch dazugehörige Online-Kundenbewertungen und Meinungsbilder. Mir ist bewusst, dass das aufwändig ist und erheblichen Schulungsbedarf nach sich zieht, aber nichts anderes macht der Kunde auch, wenn er im Laden nach mehr Information sucht. 

Die Kunden sind aber bereit, stationär zu kaufen und ggf. mehr zu bezahlen, wenn sie gut beraten werden und das Gefühl haben mit dem Verkaufspersonal gut beraten zu sein. Unsere Studie hat gezeigt, dass die Kunden im PoS es gar nicht schätzen, wenn das Verkaufspersonal bei Fragen nach Produktbewertungen im Netz ahnungslos reagiert. Die komplette Verkaufsargumentation muss unverkrampfter und flexibler bei Gesprächsinhalten ablaufen, die sich auf konkurrierende Angebote im Netz beziehen. 

Nutzt der Kunde sein Smartphone im Laden, dann oft zum „Showrooming“. Welche Möglichkeiten hat ein Händler, die Abwanderung des Kunden zu verhindern? 

Showrooming birgt einerseits die reelle Gefahr, dass Kunden den Laden verlassen und bei anderen Online-Anbietern kaufen. Andererseits hat der Händler die Kunden bereits vor Ort und Händler können durch geschicktes Aufgreifen mobiler Trends die Kunden auch zum Kauf bewegen. Die Kunden schätzen beispielsweise mobile Coupons. Bei Händlern mit existierendem Cross-Channel-Vertrieb (also ein stationärer Händler mit einem Online-Shop) sollte auch die Ausgabe von kanalübergreifenden Rabattcoupons durch das stationäre Verkaufspersonal in Erwägung gezogen werden. 

Weiterhin kommt es für die Kunden im Laden darauf an, mit dem Smartphone Kundenbewertungen im Netz zu checken oder sich mit Freunden in Sozialen Netzwerken über einen anstehenden Kauf auszutauschen. Für letztere Variante ist es wichtig, dass der stationäre Händler eine lebhafte Fanpage aufgebaut hat. Die soziale Peergroup des im Laden befindlichen Kunden sieht dann, dass der Kunde bei einem stationären Händler vor Ort ist und checken die Fanpage auf interessante Angebote hin ab. Kurz: der Händler gewinnt durch seine Fanpage an Relevanz für die Peergroup des im Laden stehenden Kunden und der Händler kann den stationären Kunden sogar zum Markenbotschafter machen. 

Welche Rolle spielen QR-Codes im mobilen Marketing? Bisher hat sich die Nutzung der Codes noch nicht auf breiter Basis durchsetzen können. 

Unsere Studie ergab, dass bislang weniger als 20% der Befragten jemals eine Interaktion mit einem QR-Code hatten. Bislang stelle ich aber auch fest, dass kommerziellen Anreize in Verbindung mit QR-Codes noch nicht ausgeschöpft wurden. So wäre es beispielsweise denkbar, dass ein cross-channel-orientierter Händler einen QR-Code-Rabattcoupon postalisch zum Kunden sendet. Dieser kann dann entscheiden, ob er den Gutschein stationär oder im Online-Shop einlöst. 

Bei der Nutzung von Facebook und Co. zur Kundenansprache und -bindung haben bereits einige Unternehmen schwere Fehler gemacht. Wie können soziale Netzwerke als effektives Marketing-Tool genutzt werden? 

Als Antwort auf diese Frage kann ich leider kein pauschal gültiges 5-Elemente-Konzept nennen. Je nach Zielsetzung existieren aber eine Vielzahl von möglichen Inhalten und Maßnahmen in Sozialen Netzwerken und Blogs. Bei sozialen Netzwerken, wie beispielsweise Facebook, geht es darum, zu einer geschmeidigen Tonalität in der Ansprache der Facebook Fans zu finden - und zwar auf Augenhöhe. 

Smalltalk-Kommunikation und Produktvorschläge können sich dann abwechseln mit Abstimmungen oder Votings oder auch Gewinnspielen. Das dauert allerdings und der Weg dorthin ähnelt einer Lernkurve mit Trial & Error-Charakter. Blogs hingegen sehe ich in der Themenwahl eher nutzwertorientiert, wohingegen sich YouTube sehr gut für das Thema Tutorials (z.B. Gebrauchsanweisungen) oder Employer Branding eignet. 

Unsere Studie hat gezeigt, dass es allenfalls bei der Zielgruppe der 14-19jährigen erste Zusammenhänge zwischen produktorientierten Postings bei Facebook und darauf folgenden Kaufimpulsen am PoS gibt. 

Interview: Daniel Stöter, EuroCIS.com 

Mehr Informationen zur Studie "Shopping Environments 3.0" finden Sie hier

Niklas Mahrdt ist Professor für Marketing und E-Commerce an der Rheinischen Fachhochschule in Köln. Sein 2003 gegründetes MEDIA ECONOMICS INSTITUT forscht, berät und trainiert in den Bereichen Marketing, E-Commerce, Crossmedia und Cross-Channel-Management.

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