Pioniergeist im Onlinehandel: Mitmachen ist erwünscht
Das Bremer Start-Up myEnso zeigt, wie ein Onlinesupermarkt funktionieren kann
Foodtruck; Copyright: myEnso
Moderne Pioniere: Bei myEnso dürfen Kunden über das Sortiment mitbestimmen. So entwickelt sich der Onlineshop mit seinen Kunden weiter. Im Fokus stehen Qualität, Nachhaltigkeit und Innovationsgeist.
Wir sprachen mit Isabella Henrichs und Hendrik Gericks von myEnso über ihr Konzept.
Hendrik, ihr betreibt einen neuen Onlinesupermarkt. Wie läuft es bisher?
Hendrik Gericks: Es läuft großartig, die Bestellungen schießen in die Höhe, das Sortiment wächst kontinuierlich, immer mehr Start-Ups möchten ihre neuen Produkte über uns anbieten und der Shop wird immer besser. Mittlerweile sind wir schon bei myEnso 8.0 angelangt und das innerhalb von nur anderthalb Jahren.
Allerdings sind wir noch ein Closed-Shop, das heißt, Kunden müssen sich bei uns zunächst als Pionier anmelden, bevor sie unser Angebot bestellen können. Unsere Liefergebiete für das komplette Sortiment sind auch noch eingeschränkt. Bestimmte Produkte liefern wir aber jetzt schon deutschlandweit.
Die Hürden, wie Lieferzeiten, Preispolitik, Logistik und Sortimentsauswahl, denen sich fast jeder E-Food-Händler gegenübersieht, versucht ihr auf eine ganz neue Art zu nehmen. Was macht ihr genau?
Isabella Henrichs: Wir haben durch intensive Marktforschung herausgefunden, dass es den Kunden viel wichtiger ist, dass die Ware zuverlässig zum geplanten Liefertermin ankommt, als dass sie auch am selben Tag ausgeliefert werden kann. Daran halten wir uns. Außerdem erfolgt die Auslieferung bei uns mit einem Mehrwegsystem, das heißt, die Lieferkisten werden wieder mitgenommen und der Kunde erhält die Ware wie bei einem normalen Einkauf in einer Papiertüte, sodass viel weniger Müll entsteht. Das funktioniert in mittlerweile 25 Großstädten in Deutschland. Für alle weiteren Städte müssen wir noch mit einem Standardpaketdienst liefern.
Mit unseren eigenen Liefertrucks, den Enso Tütts, beliefern wir die Kunden unseres Care-Konzepts. Dazu gehören Altenheime und Service-Wohnungen, da wir gemerkt haben, dass gerade hier ein besonderer Bedarf besteht. Außerdem nutzen wir diese Trucks auch für die ländliche Nahversorgung.
Die Logistik intern läuft über eine automatisierte Anlage mitten in der Innenstadt von Bremen.
Wir haben eine automatisierte Intralogistik gefunden, die wir mitten in der Überseestadt von Bremen realisieren können. Und sind gerade dabei, die ersten Roboter in unsere Prozesse zu implementieren. Dadurch sind wir unglaublich effizient, können viel schneller kommissionieren und bleiben konkurrenzfähig.
Gericks: Neben dem Standard-Supermarktsortiment verkaufen wir auch viele Start-Up-Artikel, Bioware und vieles mehr.
Ihr nennt eure Kunden Pioniere. Sie haben noch mehr Aufgaben als einfach nur den Einkauf zu tätigen. Warum macht ihr das?
Henrichs: Der Kunde steht bei uns ganz klar im Mittelpunkt. Er möchte mitgestalten und mit seinen Wünschen ernst genommen werden. Wenn ein Produkt oder ein Service fehlt, kann sich der Pionier diese wünschen. Wenn genügend Pioniere dafür stimmen, wird das Produkt oder der Service mit in den Onlineshop aufgenommen.
Start-Ups sind bei euch ein großes Thema. Sie bieten exklusiv bei euch ihre neuen Produkte an.
Gericks: Stimmt. Start-Ups erkennen häufig die neuen Trends. Da die große Sortimentbreite an Start-Up-Artikeln auf dem Markt selten ist, entsteht für uns ein USP, im Gegenzug haben die noch unbekannten Start-Ups eine Absatzplattform. Aus unserer Erfahrung und unserer durchgeführten Marktforschung wissen wir, dass die Hemmung, solche Produkte zu kaufen, viel geringer ist, als bei den Standard-Produkten des täglichen Bedarfs.
Was macht also der Kunde? Er findet das Start-Up-Produkt bei uns, sieht, dass wir auch alle anderen Produkte des Wocheneinkaufs anbieten, und dass nicht teurer als in jedem anderen Supermarkt, und bestellt diese gleich mit.
Verkauft ihr auch Kühlprodukte? Die sind ja für viele Onlinehändler die Herausforderung schlechthin.
Gericks: In den bisher 25 Städten in Deutschland vertreiben wir das ganz normale Supermarktsortiment. Dazu gehören natürlich auch Kühl- und Tiefkühlware. Unsere Kühlkisten, auch im Mehrwegsystem, halten sie für mindestens 48 Stunden auf Temperatur, je nach Bedarf bei minus 18 oder sieben Grad. So können wir die Qualität garantieren.
Können auch Büros und Unternehmen beliefert werden?
Gericks: Noch nicht. Es gibt aber ein Konzept, das wir uns auch für Büros vorstellen können. Wir haben eine Kooperation mit einem Bauunternehmer in Bremen, der hier einige Hochhäuser vermietet. In diesen Häusern beliefern wir mit dem myEnso-Truck einen speziellen Raum, aus dem dann die Ware abgeholt werden kann: die sogenannte „myEnso-Speisekammer“. Das ließe sich vielleicht auch auf Büros übertragen.
Wenn es in Bremen funktioniert, funktioniert es überall ...
Ihr beliefert bisher fünf Dörfer, Altenheime und Servicewohnungen. Wie funktioniert das?
Henrichs: Blender, zwischen Bremen und Hannover, war unser erstes Dorf. Der letzte Supermarkt dort hatte geschlossen – wie so häufig heutzutage. Für die jungen mobilen Bewohner ist das natürlich kein Problem, für die älteren sieht das wieder ganz anders aus.
Unser Konzept nennt sich Tante Enso, abgeleitet von Tante Emma, also nahe am Menschen, aber mit einem größeren Sortiment. Wir arbeiten mit den kleinen Geschäften, die schon da sind, zusammen. Das heißt, die Dorfbewohner können ihre Waren online oder vor Ort über einen Katalog und Einkaufszettel bestellen und sie auch dort wieder abholen. So verliert das kleine Ladengeschäft keine Kundschaft, sondern erweitert nur sein Sortiment. Einmal pro Woche liefern wir dann die Waren mit unserem Enso-Tütt aus.
Wieso schafft ihr das als kleines Start-Up, aber eine riesige Supermarktkette nicht?
Henrichs: Genau dieser Größenunterschied ist unser Vorteil. Wir sind dementsprechend sehr agil und bereit, neue Wege zu beschreiten und vieles auszuprobieren. Testen und Lernen ist momentan unsere Strategie. Uns geht es jetzt in erster Linie darum, unsere Kunden zu erreichen, Vertrauen zu schaffen, unsere Bekanntheit zu steigern und darüber hinaus unseren Supermarkt zu optimieren und zu vergrößern.
Welche Vorteile bringt es mit sich, bei myEnso zu bestellen, statt zu Edeka zu gehen?
Gericks: Der wichtigste Punkt ist natürlich, dass man bequem von zu Hause aus bestellen kann und kurze Zeit später wird direkt bis zur Haustür geliefert. Ein weiterer Vorteil ist unser Mehrwegsystem, dadurch entsteht nur wenig Müll bei der Lieferung. Wir haben eine enorme Sortimentsvielfalt, für die es immer bessere Filterfunktionen geben wird. So kann ich beispielsweise künftig angeben, dass ich nur Bioprodukte haben möchte oder einen gewissen Stoff nicht vertrage und schon werden nur noch passende Produkte angezeigt.
Außerdem sind wir der erste genossenschaftlich organisierte Supermarkt überhaupt. Unsere Kunden sollen einkaufen, mitgestalten und mitbesitzen.
Ihr seid sehr experimentierfreudig. Da ist es klar, dass nicht jede Idee auch einschlägt. Das bedeutet wieder höhere Kosten. Wie könnt ihr eure Risikobereitschaft finanzieren?
Henrichs: Wir haben zwei Säulen. Zum einen durch die Genossenschaft, also das Verkaufen von Anteilen an die Pioniere, und zum anderen durch Investoren und natürlich auch mit der Bank.
Was ist euer Erfolgskonzept?
Gericks: Wir positionieren uns anders als die großen Ketten. Bei uns ist der Mensch im Mittelpunkt, das spiegelt sich auch in unserem Markenkern und unserem Logo wieder. Wir haben dadurch aber auch unendlich viele Zielgruppen, die wir an den unterschiedlichsten Orten abholen müssen. Wir werden wohl nie mit der Entwicklung abschließen und sagen: „So machen wir das jetzt die nächsten 20 Jahre". Das geht nicht. Je mehr sich der Kunde verändert, desto mehr verändern wir uns auch.
Was sind die nächsten Pläne für myEnso?
Gericks: Natürlich wollen wir neue Dörfer und Pflegeheime erschließen. Das geht aber nur mit einem gewissen Bündelungsfaktor. Sonst ist es auch für uns logistisch nicht machbar. In Zukunft wollen wir unsere Konzepte und unser Liefergebiet auf ganz Deutschland ausrollen.
Henrichs: Außerdem wollen wir mehr Content anbieten. Ernährungsberater, Videos und Rezepte stehen bei uns auf der Liste. Das ist besonders für Start-Up-Produkte interessant, die man als normaler Verbraucher noch gar nicht kennt, um zum Beispiel zu erfahren, wie diese überhaupt zubereitet werden.
Was können die großen Supermärkte von euch lernen?
Henrichs: Sie müssen einfach offener werden und auf den Menschen schauen. Schließlich sind sie die Konsumenten, die Produkte kaufen. Da muss das angeboten werden, was der Kunde verlangt, nicht anders herum. Dem Kunden muss wieder die Macht zurückgegeben werden zu entscheiden. Das würde vielleicht schon reichen.
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