Ob im Jemen, in Syrien oder Russland -– überall auf der Welt fordern Gewalt und Wirtschaftskrisen ihren Tribut. Und das bleibt nicht ohne Auswirkung auf den Handel der jeweiligen Region. Auch globale Filialisten bekommen das immer mehr zu spüren. Doch ihr Drang zur Expansion ist ungebrochen.
„Viele Händler reagieren mit Beharrlichkeit und Weitblick. Selbst in aktuell schwierigen Märkten wie Russland sehen wir nur wenige Marken, die sich komplett zurückgezogen haben“, so Dr. Mirko Warschun, Partner bei A.T. Kearney und Leiter des Bereichs Konsumgüterindustrie und Handel in EMEA (Europa, Mittlerer Osten und Afrika).
Welche Schwellenländer aus Sicht von Händlern bereits lukrativ sind und wo in Zukunft noch mehr gekauft wird – dies sind die zentralen Fragen, die dem diesjährigen „Global Retail Development Index“ der weltweit agierenden Unternehmensberatung zu Grunde liegen. A.T. Kearney führt die Studie seit 2001 durch und identifiziert jedes Jahr die 30 attraktivsten Märkte für Handelsunternehmen in Schwellenländern.
Ausschlaggebend für eine hohe Platzierung im Ranking sind Faktoren wie wachsender Wohlstand, sozialer Frieden, wirtschaftliche Stabilität und Marktgröße. Aber auch wie groß und wie entwickelt das Konsumangebot bereits ist, gewichtet der Index.
’Gold, Juwelen und Haute Couture’ sind das Sonderthema, mit dem sich der GRDI 2015 beschäftigt. Unter die Lupe genommen wurden 15 führende Luxuslabels in Schwellenländern. Die größten Chancen, einen wachsenden Abnehmerkreis zu finden verorten die Autoren demnach in Indien und Afrika – allein es fehlen hochwertige Flaniermeilen. In dem mit führenden Marken bereits gut ausgestatteten China dagegen schließen etablierte Händler wie Hugo Boss erste Läden: Der Markt ist saturiert. Denn junge Labels wie Céline und 3.1 Phillip Lim prosperieren.
„Luxusmarken insgesamt scheinen von Turbulenzen kaum betroffen zu werden“, konstatiert Hana Ben-Shabat, A.T. Kearney-Partnerin und GRDI-Koautorin. „Unbeirrt erschließen sie sich jeden interessanten Markt. Denn im Gegensatz zur Mittelklasse wird die Kauflust der besser situierten kaum durch Wirtschafs- und andere Krisen gedämpft.“
Seit 2010 belegt in diesem Jahr China zum ersten Mal wieder den ersten Platz und verdrängt im Vergleich zum Vorjahr Chile auf Platz 3. Die Prognosen sind beeindruckend: Auf 8 Billionen US-Dollar soll der Konsum bis 2022 ansteigen.
Subsahara-Afrika arbeitet sich unterdessen im Top-30-Ranking mit den Ländern Botswana, Nigeria und Angola nach vorne. Die Autoren erwarten, dass der bislang eher mit Armut assoziierte Landstrich 2040 ein Magnet für Händler sein wird.
Und ob Uruguay, die Mongolei oder Katar – überall in der Welt blitzen kleine, fast jungfräuliche ’Juwelen’ hervor. Hier entwickelt sich Konsum gerade erst. Zunehmend mehr Käufer zu finden ist deshalb leichter.
Krisenbedingte Instabilität ist ein Risiko, mit dem expandierende Händler vertraut sind: Lateinamerika konnte nicht an seine Spitzenperformances von 2014 anknüpfen. Zu schwer wiegen die strukturellen Probleme der Wirtschaft. Auf den Märkten im Mittleren Osten lasten die sinkenden Ölpreise und regionalen Konflikte: Kuwait (Platz 27) knickte um 19, Oman (Platz 26) um neun Plätze ein. Gebeutelt von internationalen Sanktionen sowie der Finanzkrise büßte auch Russland (Platz 21) neun Plätze ein.
Dass Krisen zugleich Chancen sind, dafür ist Russland das wohl beste Beispiel: Der historisch niedrigen Rubel bietet die Möglichkeit, günstig zu expandieren oder gar neu in den Markt einzutreten. Denn dass der Markt wieder auf Wachstumskurs kommt, ist unstrittig.
„Händlern, die in Zukunft mehr Waren absetzen wollen, bleibt heute keine Wahl: Sie müssen sich immer wieder neue Schwellenländer erschließen“, resümiert Handelsexperte Warschun. Jedes der Top-30-Schwellenländer böte große Chancen, aber auch Risiken. „Mit dem GRDI geben wir internationalen Filialisten einen Expansionsradar an die Hand, der ihnen dazu verhelfen kann, die für sie langfristig richtige Investitionsentscheidung zu treffen.“
Quelle: A.T. Kearney GmbH